Pullerpause im Tal der Ahnungslosen, Franziska Gehm, Klett
Kinderbuch
Jobst ist eigentlich ein ganz normaler Zwölfjähriger, aber
eigentlich auch wieder nicht. Sein Vater hat sich entschieden, daß er in der
falschen Zeit lebt und hat sich mit Hilfe eines Zeitreisekoffers in die Antike
abgesetzt. So lebt er mit seiner ziemlich exzentrischen Mutter alleine im
heutigen München. Ihre Ferien verbringen sie stets in anderen Zeiten. Als sie
von ihrem Sommerurlaub im Mittelalter mit dem Zeitreisekoffer zurückkehren
wollen, zieht Susanne die Notbremse, denn sie muss ganz dringend auf Toilette.
Dieser Zwischenstopp in der sächsischen Pampa dauert aber länger als geplant.
Denn während Susanne hinter einer Häuserecke verschwindet, geht Jobst wie
gebannt auf einen Trabi zu. Als er sich umdreht, ist der Koffer weg! Wie sollen
sie nun wieder nach Hause kommen? Susanne mit ihrer extrovertierten Art fällt
in ihrer Mittelalterkleidung auf wie ein bunter Hund und ehe sie richtig Ärger
mit der Volkspolizei oder der Stasi bekommen kann, erklärt
Provinztheaterregisseur Frank Kühne den gestrandeten Zeitreisenden Asyl und
behauptet, Susanne wäre eine seiner Schauspielerinnen. Mit seiner Tochter Jule
und deren guten Kumpel Letscho begibt sich nun Jobst auf die spannende und
kniffelige Suche nach dem verschollenen Koffer.
Eine wirklich tolle Zeitreise für heutige Kinder in den
damaligen DDR-Kinderalltag, ohne jedoch alltäglich zu sein. Denn die Suche nach
dem Koffer gestaltet sich nicht nur schwieriger als Jobst es sich hätte
vorstellen können, nein diese Gemeinschaft von drei völlig unterschiedlichen
Kindern gegen die Widrigkeiten des Arbeiter und Bauernstaates ist auch echt
witzig. Einige witzige Passagen, mögen für mitlesende Eltern noch ulkiger sein,
als für die Kinder selbst, da die oft ausufernde sozialistische
Propaganda-Nonsense-Sprache für Kinder vor allem merkwürdig klingt, für
Erwachsene aber auch Erinnerungen weckt.
Klar, heutige Kinder haben einfach keine Ahnung von dem
damaligen Leben in der DDR, dieses Buch schafft es aber wirklich sehr
kurzweilig, den heutigen Kindern zumindest eine gewisse Idee davon zu
vermitteln. Damit das auch gelingen kann, ist hinten im Anschluß an die
Geschichte ein Glossar, hier „kleines Pionierwörterbuch“ genannt, damit Kinder
nachschauen können was z.B. ein „Klassenfeind“ war, oder wer „Erich Honecker“
oder „Karl Marx“ waren.
Meine Kinder (10 und 8 Jahre) wurden durch Jobst, Jule und
Letscho sehr zum Nachdenken angeregt und so kamen bei uns immer wieder lebhafte
Diskussionen über Demokratie, gefüllte Supermärkte, freie Wahlen und gestern
sogar die „Bannmeile“ und die „Weltklimakonferenz“ auf. Ich finde es super, daß
wir so nicht nur Einblick in die deutsch-deutsche Geschichte bekamen, sondern
auch über politische Systeme und damit auch irgendwie unsere aktuell schwierige
Regierungsbildung diskutierten.
Hierdurch haben wir natürlich viel länger gebraucht, das
Buch zu lesen, als es für das spannende Abenteuer nötig wäre, aber hier war
irgendwie der Weg das Ziel. Natürlich habe ich auch einiges gelernt, denn
während ich mich gut über Jobst bisweilen mehr als nur exzentrische Mutter
amüsierte, lernte ich, daß alle Mütter immer peinlich sind, Väter manchmal
(nein unserer ist nicht in die Antike abgetaucht). Das wollte ich ja eigentlich
lieber nicht wissen….
Sehr schön fand ich auch die Illustrationen von Horst Klein
im Inneneinband, das beschriftete Fotografien der Hauptprotagonisten in einem
Schaufenster darstellt, inklusive des allgegenwärtigen Portraits von Erich
Honecker, für Jobst nur kurz der „Obstonkel“, weil sein Bild sogar die Auslage
des Obstladens zierte, aus Mangel an anderer Deko oder Auslage.
Sehr interessant fand ich auch die These für Honeckers
starren Blick und andere tiefere Einblicke in das Leben eines
Staatsratsvorsitzenden der Deutschen Demokratischen Republik. Wie viel Wahrheit
dahinter steckt, werde ich wohl nie erfahren.
Auf dieses Werk wurden wir anlässlich einer Lesung der
Autorin Franziska Gehm beim rheinischen Lesefest Käptn Book aufmerksam. Die
geistige Mutter der Vampirschwestern und der Vulkanos, ist nämlich selbst 1974
in der DDR geboren und gehört somit einem der letzten Jahrgänge an, die sich
noch richtig an ein Aufwachsen in der DDR erinnern können. Dieses Gefühl will
sie auch an die heutigen Kinder weitergeben, aber mit Spaß und Spannung. Meine
dort geborenen Freunde haben mir alle versichert, daß es eigentlich ganz schön
gewesen wäre, dort aufzuwachsen, wir sind einfach die Generation, für die die
Mauer gerade im richtigen Moment fiel. Als Kind habe man gar nicht so viel
vermisst und ein Leben ohne Mikrowelle und Bananen war durchaus möglich.
Auch wenn die Geschichte lustig ist, will sie die damaligen
Probleme, die zum Fall des Regimes nicht übergehen und sie klingen auch
durchaus an. Sie belasten aber weder die Geschichte noch das Leseerlebnis. Denn
mit Spaß lernt man einfach lieber!
Ein tolles Buch für alle die in der DDR aufgewachsen sind
und dieses Gefühl ihren Kindern vermitteln wollen, ohne sie zu belasten und
ohne den belehrenden Zeigefinger. Aber nicht nur für die, denn zu denen gehöre
ich aus dem tiefsten Westen stammend auch nicht. Es ist einfach ein wirklich
tolles Stück deutsch-deutscher Geschichte, fernab von den üblichen
Erzählweisen.
Kommentar meiner Jüngsten: Die Geschichte war toll!
Na, da sind wir uns wohl alle mit 5 von 5 Sternen einig!
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