Donnerstag, 13. Dezember 2018

Wirf dein Herz voraus und spring hinterher, Anna Paulsen, Penguin Verlag



Wirf dein Herz voraus und spring hinterher, Anna Paulsen, Penguin Verlag

Liane ist 37 Jahre alt und arbeitet als persönliche Assistentin des Inhabers einer Eventagentur. Mit ihren Business-Kostümen mit Bleistiftröcken, Dutt und Pumps sieht sie aber eher wie eine gestrenge Gouvernante aus. Genauso geregelt und diszipliniert führt sie ihr Leben – völlig Angst und Spaß befreit, immer auf Nummer Sicher! Daher geht sie auch bei der kleinsten bemerkten Veränderung zum Arzt, so wie jetzt, mit diesem Beklemmungsgefühl im Hals und der heiseren Stimme. Als sie dann die Überweisung zu einem Facharzt bekommt und auf den Diagnosetermin warten muss, ist sie plötzlich nicht mehr sie selbst. Durch einen Zufall nimmt sie aus Verwirrung einen Anhalter mit, dessen Auto liegen geblieben ist und der mit seinem Gespräch Liane plötzlich klar macht: wenn ihr Leben nur noch kurz ist, gibt es ein paar Dinge, die sie unbedingt vorher noch machen sollte. So zum Beispiel den Brief ihrer Adoptivmutter lesen, der seit fast 20 Jahren in ihrer Schublade verbuddelt ist, seit sie sich überworfen haben. Doch das erfordert Mut, viel mehr Mut, als kurzerhand ihr Leben umzukrempeln.

Liane ist ausgesprochen korrekt und so durchgeplant und übervorsichtig, daß fast jeder Atemzug vorherbestimmt ist! Alles läuft seinen Weg, aber dabei hat sie völlig aus dem Augen verloren, daß sie früher mal Spaß hatte, damals, als sie noch eine glückliche Kindheit und Jugend hatte und dachte, daß ihre Mutter ihre Mutter sei. Die Offenbarung, daß alles, was sie über sich selbst zu wissen schien, alles nur eine Lüge zu sein scheint, hat sie damals mit 17 völlig aus der Bahn geworfen. Liane musste sich selbst finden und hat sich vor lauter Vorsichtigkeit selbst verloren. Dies ändert sich nun, da sie durch schiere Verzweiflung und Zufälle andere Menschen wieder in ihr Leben lässt, Menschen, die sie mit ihrem Lebenswillen anstecken. So macht sie sich auf die spannendste Entdeckungsreise überhaupt, die Reise zu sich selbst. Sie auf dieser Reise zu begleiten und Lianes Entwicklung aus der Perspektive der Menschen um sie herum zu erleben, hat mir sehr großen Spaß gemacht. Auch wenn es ein ernstes Thema ist, ist es locker leicht, doch niemals seicht. Amüsante und denkwürdige Momente säumen Lianes neuen Alltag und so macht es großen Spaß die teilweisen radikalen neuen Wege und Mutproben mit Liane und ihren neuen Freundinnen mitzuerleben. Diese Freundinnen, die schon so lange in ihrer Umgebung lebten, die aber bislang nie etwas miteinander zu tun hatten und dann stolpern auch noch Männer in Lianes Leben. Ja, Romantik gibt es auch ein wenig, aber es ist nur am Rande ein Liebesroman, denn die  und wahre Liebe die Liane entdeckt, ist eigentlich das Leben und ihr eigenes Ich.

Einige Figuren sind etwas überspitzt beschrieben, aber pointiert und nicht überzogen, es sind Typen, die wir alle kennen und in diesem Wiedererkennen beim Lesen schmunzeln lassen. Ein echtes Wohlfühlbuch, über einen Roadtrip zu sich selbst. Denn Lianes Reise führt letztendlich zu ihr und der Weg ist das Ziel. Daher ist es ein Genuss, ihr beim Abarbeiten ihrer Bucket-List, der Liste der Dinge, die sie unbedingt noch erledigen möchte, ehe sie stirbt, zu begleiten. Dabei zeigt Liane auch immer wieder eine bewundernswerte Größe und Humor, wenn sie sogar die Bucket-List ihrer Freunde und Bekannten mitabarbeitet und man mit ihr Charleston lernen oder giftigen Kugelfisch essen darf.

Anna Paulson, auch bekannt als Heike Abidi, schafft es dabei zwar Charaktere ein wenig zu überzeichnen, aber nicht stereotypisierend. Szenen werden nicht übertrieben und nicht überstrapaziert, sie schafft es wirklich ein ausgewogenes Maß an den unterschiedlichsten Gefühlen in diesen Selbstfindungstrip zu packen. Auch wenn von Anfang an klar ist, daß es gut ausgehen wird, bleibt der Weg zum Ziel überraschend und Liane wächst einem währenddessen richtig ans Herz. So war ich am Ende richtig ergriffen, wobei einige Punkte noch offen blieben, allerdings genau im richtigen Maße, um der Fantasie noch ein wenig Freiraum zu lassen, der Leserin aber dennoch die Gewissheit zu verschaffen, daß nun alles gut ist, und was noch nicht gut ist, ist halt noch nicht zu Ende. Ich wünsche ihr und ihren Lieben nun ganz viel Glück auf ihrem neuen Weg.

Ein wunderbarer Frauenroman, der die dunkle Jahreszeit erhellt und den Alltag versüßt, ganz ohne Kalorien, aber ein Lächeln ins Gesicht zaubert.

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