Dienstag, 25. Dezember 2018

Der Verrat, Ellen Sandberg, Penguin Verlag



Der Verrat, Ellen Sandberg, Penguin Verlag

Die drei ungleichen Schwestern Pia, Birgit und Ariane (Nane) wachsen in Frankfurt am Main auf, in einem gutbürgerlichen Haushalt, in dem ihre schöne Mutter ihre Schuld hinter einem Mythos versteckt und der Vater geistig/emotional abwesend ist. Pia, die kühle Schöne, die rational Pragmatische ist der Liebling der Eltern und ihr scheint alles zu gelingen. Was ihr nicht zufliegt, das nimmt sie sich. So sieht es zumindest ihre jüngste Schwester Nane, die stets eine tiefe Abneigung gegen die scheinbar Perfekte hegt, ein Umstand, den die harmoniebedürftige Mittlere Birgit mit all ihren Vermittlungsbemühungen nicht ändern kann. Birgit folgt ihrem Herzen und Nane lässt ihren Emotionen freien Lauf. Beide sind damit nicht gut gefahren und Pia schwört sich, nie so zu werden wie sie. Als Restaurateurin Pia heiratet, nimmt das Unglück seinen Lauf, ein Unglück, das Nane für 20 Jahre ins Gefängnis bringt, während Pia ein Leben wie aus dem Bilderbuch führt, auf einem schlossgleichen Weingut, hoch über den Saarschleifen. Nach 20 Jahren endlich wird Nanes Restfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Alles in ihr schreit nach Klarheit, denn ihre Erinnerungen an die Nacht von vor 20 Jahren sind verschwommen Sie will wissen, wie groß ihre Schuld wirklich ist, mit der sie leben muß. Dabei ist sie bereit alles zu riskieren, doch sie muss es wissen, sie ist getrieben.

Dies ist der neue Roman der Bestsellerautorin Ellen Sandberg („Die Vergessenen“) und psychologisch spannender und packender als die meisten Krimis, die ich dieses Jahr gelesen habe. Es geht um die ganz großen Gefühle, die die Menschen antreibt. Liebe, Verlangen, Hass, Rache, Schuld, Sühne, Geborgenheit, Angst und trotz der Komplexität der Gefühle wird es nie kitschig oder rutscht ins Triviale ab.

Nane weiß nicht mehr genau was damals vor 20 Jahren geschehen ist, aber sie braucht die Klarheit und Gewissheit, daß sie nicht völlig skrupellos ist, um weiterleben zu können. Sie versucht die Puzzlestücke zusammenzusetzen, auch wenn die, die es gut mit ihre meinen, ihre Getriebenheit nicht nachvollziehen können. Aber Nane kann nicht anders, sie muss es wissen! Daher wird die Geschichte in zwei Zeitebenen geschildert. Damals 1997/1998 als sich das Drama anbahnte und heute, nachdem Nane vorläufig wieder auf freiem Fuß ist. Vorläufig, denn sie steht unter laufender Bewährung, verstößt sie gegen die Auflagen, ist die Freiheit nur von kurzer Dauer gewesen. Doch es gibt da jemanden, der sie lieber heute als morgen wieder in der vermeintlichen Sicherheit der Mauern einer Justizvollzugsanstalt wüsste. Dies ist ein Punkt, der mir sehr gut gefällt. In diesem Roman stimmt alles, auch die juristische Seite, es ist sehr gut recherchiert (gut, mit dem Weinbau kenne ich mich nicht genug aus, aber daher geht die Autorin auch hier nicht so sehr ins Detail, ebenso bei der medizinischen und juristische Seite. Aber was sie schreibt, das stimmt.).
Normalerweise mag ich Erzählungen in Rückblicken nicht so. Oft finde ich es unnötig und habe den Eindruck, daß es sich nur um eine literaturtechnische Mode handelt. Doch hier ist dies nicht nur sinnvoll, sondern zwingend, aus der Geschichte heraus. Neben Nane sucht auch die Tochter des Opfers nach der Wahrheit dessen, was damals wirklich passiert ist, um darüber ein Buch zu schreiben. Dabei ist die Umsetzung ganz klar, man weiß stets, in welcher Zeit der aktuelle Erzählstrang spielt, denn es steht fett über jedem Zeitsprung.
Nane ist emotional nicht die Stabilste. Sie kennt die ganz großen Gefühle und das bringt sie oft in unglaubliche Schwierigkeiten. Mithilfe von kleinen weißen Pillen (sie werden nie benannt, es dürfte sich aber wohl um den Wirkstoff Diazepam) handeln, versucht sie ihr Leben in den Griff zu bekommen. Dabei übertreibt sie es auch hier mit der Dosis und sie merkt, wie sie sich selbst entgleitet. Immer wieder versucht sie davon loszukommen, aber das Zeug und ihre Emotionen sind tückisch. Das ist unglaublich gut geschildert, sehr nah und sehr realistisch, wie ich es nach den Schilderungen eines Substitutionsmediziners sehe, mit dem ich mal lange sprach. Interessant sind auch immer wieder kulturelle Anspielungen auf Kunst, Literatur und Antiquitäten.
Unglaublich geschickt finde ich das Spiel der Autorin mit den Emotionen des Lesers. Eigentlich ist Nane ziemlich unmöglich und dennoch komme ich nicht umhin sie zu mögen, ebenso wie ihre idealistische Schwester Birgit, während mir Pia immer unsympathischer wird und ich spüre, wie Nane mich für sich vereinnahmt. Da die Arbeit auf einem Weingut vieler Hände bedarf, dreht sich nicht alles nur um diese drei Schwestern, doch auch die übrigen Charaktere sind vollständig ausgearbeitet und man fragt sich stets, was man von ihnen halten soll? Sind sie gut, sind sie böse? Welche Rolle spielen sie eigentlich in diesem Drama shakespeareschem Ausmaßes?

Unglaublich packend und spannend, dabei immer emotional nachvollziehbar, detailreich und gut recherchiert. Trotz der Details fand ich es nie langatmig und hatte ausnahmsweise nicht das Bedürfnis dieses über 400 Seiten lange Buch zu kürzen. Man ahnt, was auf einen zukommt, aber kommt es tatsächlich? Sind die bösen Vorahnungen richtig? Am Ende dachte ich mal, oh, nun ist sie zu weit gegangen, nun hat sie es übertrieben, aber nein, es kommt anders. Die Personen bleiben sich treu und das macht diesen Roman nicht nur fesselnd, sondern gibt ihm auch einen runden Abschluss. Absolut gelungen.

Ich bedanke mich ganz herzlich beim Penguin Verlag für dieses Vorabexemplar mit der absoluten Leseempfehlung.

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