Die Richterin und die Tote vom Pont du Gard, Liliane Fontaine, Piper Verlag
Mathilde de Boncourt (37 Jahre) unverheiratet, ist mit ihrer
hochgewachsenen schlanken Gestalt und ihrer wallenden rotblonden Mähne in ihrer
südfranzösischen Heimat nicht nur ein Hingucker. Man kann die
Untersuchungsrichterin aus Leidenschaft gar nicht übersehen! Als sie am späten
Nachmittag den Palais de Justice nach einem kurzen Plausch mit dem Wachmann
verlässt, zufrieden einem ehrenwertes Arztehepaar des Menschenhandels und der
Freiheitsberaubung überführt zu haben, wird sie von 3 Kugeln eines
vorbeirauschenden Motorradfahrer schwerst verletzt. Mathilde überlebt nur knapp
und regeneriert auf dem nahegelegenen Weingut ihres Großvaters Rémy de Boncourt.
Sie ist überzeugt, daß zwischen der Verurteilung und dem Anschlag auf sie ein
Zusammenhang besteht. Doch sie ist beurlaubt und darf nicht ermitteln, anders
als ihr Vertrauter bei der örtlichen Kriminalpolizei Commandant Rachid
Bouraada, der sie stets auf dem Laufenden hält. Was er zu berichten hat ist
nicht viel, denn alle Spuren wurden professionell verwischt. Als der
Zeugenschutz für die Belastungszeugin aufgehoben wird, wird sie nur wenige Tage
später tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Bouraada und Mathilde glauben nicht an
Selbstmord. Unterdessen reist Martin Endress Reisejournalist aus Bonn in den
Midi um einen kulturell geprägten Reiseführer über das Languedoc mit Recherchen
der jüdisch-französischen Familie seiner Mutter zu verbinden. Hierbei lernt er
zufällig Mathilde kennen, die fasziniert von dem geheimnisvollen Unfall seiner
Großeltern während des Vichy-Regimes ist. Da sie offiziell noch nicht wieder
ermitteln darf, ist sie über diese Gelegenheit ihrer Spürnase nachzugehen hoch
erfreut, wobei die sympathische Erscheinung und Art von Martin ebenfalls eine
nicht zu vernachlässigende Rolle spielen.
Wie Martin bin ich ja der Meinung, daß die Camargue in der
Reiseführer-Szene schmächlich vernachlässigend wird. Daher konnte ich in diesem
Roman wunderbar in Erinnerungen schwelgen, da ich diese Gegend als meine zweite
Heimat betrachte. Ich finde die Beschreibungen unglaublich treffend und präzise
und wurde auch mehrfach zum Schmunzeln gebracht, als z.B. beschrieben wurde,
wie Martin sich auf der Suche der Cathédrale de Maguelone im Ort verfranst hat.
Ja das ging uns auch so, auch der Kampf mit der sengenden Hitze während der
Suche.... Anders als Martin, sind wir allerdings zum Glück nie über
Mädchenleichen gestolpert, während wir uns irgendwo umsahen... Auch ganz
beglückt war ich, über das Transferlager „Les Milles“ in einer alten Ziegelei
zu lesen, die inzwischen eine Gedenkstätte für die dort Internierten enthält
u.a. Lion Feuchtwanger, Max Ernst.... Das stand dieses Jahr auf meiner
Wunschliste, ist aber an familiären Gründen gescheitert. Nächstes Jahr also auf
jeden Fall!
Kriminalistisch gibt es hier zwei wichtige Themen: Menschenhandel und
Zwangsprostitution, gerne auch in höchsten Kreisen mit ausgefeiltester
Vertuschung (aber natürlich, die Grundstücke sind größer, die Nachbarn können
weniger beobachten....) und menschenverachtender Skrupellosigkeit. Wenn es um
den Schutz des eigenen Rufes geht, wird auch vor Mord, auch mehrfach nicht
zurückgeschreckt. Das macht die Ermittlungen umso penibler und für die
Wahrheitssuchenden umso frustrierender.
Doch auch die Wahrheit über den Unfall, der seine Großmutter letztlich das
Leben kostete herauszufinden, ist nicht so einfach. Nach 70 Jahren trifft
Martin auf eine Mauer des Schweigens und viele die ihm hätten weiterhelfen
können, sind nicht mehr am Leben. Doch was will er, wenn er in so alten Wunden
wühlt? Gerechtigkeit? Rache? Was der Täter nicht ahnt ist, daß Martin als
Journalist nur nach der Wahrheit sucht und nicht danach jemanden nach all der
Zeit bloß zu stellen. Dies scheint für den Täter, der den Unfall aus
Fremdenfeindlichkeit herbeiführte, auch heute nicht vorstellbar. Ein
interessantes Gedankenspiel, sollte man den Mantel des Schweigens über alte
Taten hüllen? Für Hinterbliebene ist die Gewissheit jedoch meist, das
Wichtigste und ein solches Schweigen würde zu leicht zum Vergessen der Gräuel
in der Geschichte führen, die jedoch nie vergessen werden dürfen, auch damit
sie sich nicht wiederholen.
Im Vordergrund stehen für mich in diesem Kriminalfall jedoch Land und
Leute. So lebt Mathilde auf dem Schloss ihres Großvaters nicht mit diesem
alleine und da sie schon seit Generationen dort verwurzelt sind, kennen sie
auch Hinz und Kunz dort. Sowohl die Familienbande finde ich interessant, als
auch die einzelnen Freunde von Rémy und Mathilde. Allerdings muß ich einräumen,
daß mir bisweilen ein Personenverzeichnis weitergeholfen hätte, da ich grübelte
„wer war noch mal Vincent? Der mit der Manade, mit dem Bauunternehmen oder dem
Restaurant?“. Denn durch die Berufe der Freunde bekommt man auch einen
wunderbaren Einblick in deren Berufe und Traditionen: Weinbau, Bau der
Feriensiedlungen auf Wunsch des damaligen Präsidenten, die Stierzucht,
Stierkampf, Gastronomie....
Liliane Fontaine ist der Mädchenname der Autorin mit französichen Wurzeln,
die sich auch regelmäßig längere Zeit im Languedoc aufhält. Dies macht sich in
diesem Krimi ebenso bemerkbar, wie ihr Kunstgeschichtsstudium. Es ist
sicherlich hilfreich, wenn man Frankreich und seine Sprache kennt, da einige Begriffe
als bekannt vorausgesetzt werden. Da ich die Sprache beherrsche, kann ich
leider nicht beurteilen, wie es wäre das Buch mit null Sprachkenntnissen zu
lesen.
Ein Krimi für alle Liebhaber sich entwickelnder Geschichten mit einem Focus
auf den Ort des Geschehens. Thrillerliebhaber die auf Action stehen, werden
nicht auf ihre Kosten kommen. Die Spannung ist bisweilen moderat da es keine
schnellen Erfolge und keine Verfolgungsjagden gibt, die Auflösung jedoch
logisch und nicht offensichtlich, was ich sehr schätze. Man wird mit wirklich
tollen Einblicken in die Gegend und ihre Kultur und wirklich ausgearbeiteten
Personen belohnt. Ich bin ja schon gespannt, wie sich das Verhältnis zwischen
Mathilde, Martin und Rachid weiter entwickeln wird.
Ein guter Krimi, der sorgfältig recherchiert ist und mich im ungemütlichen
November mit schönen Sommererinnerungen gewärmt hat.
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