Die Schwestern von Mitford Manor: Unter Verdacht, gelesen von Juliane
Köhler, Jessica Fellowes, Random House Audio, gekürzte Lesung, 2 MP3, 10 Std.
49 Min.
Louisa Cannon wächst in London zu Beginn des 20. Jahrhunderts in
bescheidenen Verhältnissen auf. Als ihr Vater stirbt, bringt ihre Mutter sie
als Wäscherin durch, doch ihr schmarotzender Onkel, macht sich nach der
Beerdigung seines Bruders bei ihnen breit. Durch Glück besorgt eine alte
Freundin, die vorteilhaft geheiratet hat eine Stellung als Kindermädchen bei
der adeligen Familie Mitford 1920. Die älteste Tochter Nancy Mitford ist nur 2
Jahre jünger als Louisa und bedauerte es bislang stets, keine Schule besuchen
zu dürfen, da ihr stets eine Vertraute fehlte. Diese findet sie nun in Louisa,
die die temperamentvolle und überschäumende Nancy nicht immer zu bremsen weiß.
Denn als Nancy in der Zeitung von dem Mord an der Krankenschwester Florence
Nightingale Shore (Patentochter der englischen Krankenschwesternlegende
Florence Nightingale) am hellichten Tag in einem Abteil der Brighton Line
liest, stellt sie fest, daß diese eine gute Freundin der Zwillingsschwester
ihrer Nanny war und möchte sofort mit Louisa ermitteln. Auch Bahnpolizist Guy
Sullivan geht dieser Mord, ebenso wenig aus dem Kopf, wie die junge Frau Louisa
Cannon, die er kennenlernte, als sie aus dem fahrenden Zug der Brighton Line
kurz vor Hastings sprang. So kreuzen sich ihre Wege immer wieder, und klären
einen Mordfall, der in der Realität bis heute ungelöst ist.
Zu Beginn begegnet die junge Louisa ihrer Schulfreundin Jenny und die
Kontraste könnten kaum krasser sein. Jenny hat es geschafft einen jungen, gut
situierten Architekten zu heiraten und somit in gesellschaftlich scheinbar
unerreichbare Höhen aufzusteigen, während Louisa ihrer Mutter hilft, für reiche
Familien die Wäsche zu waschen. Ein unfassbarer gesellschaftlicher Aufstieg für
Jenny, doch sie ist in ihrem Herzen noch immer Louisas beste Freundin geblieben
und begegnet ihr noch genauso unbekümmert, wie zuvor. Ihr verdankt Louisa die
Empfehlung als Kindermädchen, obwohl sie noch keinerlei Erfahrung auf dem
Gebiet hat. Doch die Not, in die ihr nichtsnutziger Onkel sie bringt ist so
groß, daß sie bei ihrer Bewerbung bei Lady Redesdale ein wenig schummelt um
ihre Aussichten zu erhöhen. Louisas Angst und Not wird eindringlich geschildert
und auch wenn der Titel dieser Familiensaga sich um die 6 Töchter des Hauses
Mitford dreht, widmet sich dieser erste Band um die älteste Tochter Nancy, die
sich ihrem Kindermädchen Louisa anvertraut. Beide sind ausgesprochen neugierig
und hartnäckig, wenn es darum geht, einem Geheimnis auf die Spur zu kommen.
Nancy langweilt sich aber auch unter den strikten Konventionen ihrer Zeit, denn
auch in den goldenen Zwanzigern legen ihre Eltern durchaus großen Wert auf das
Ansehen in der Gesellschaft. Sorgen, die ihre 6 Töchter nicht unbedingt teilen.
So ist es bei Nancy wohl auch mehr Langeweile, als persönliche Betroffenheit,
die sie dem Schicksal der Ermordeten Florence Shore auf den Grund gehen lässt.
Bei Louisa hingegen ist es der Gedanke, daß dieses Verbrechen in dem Zug
stattfand, in welchem sie saß und daß der Bahnpolizist, ihres Vertrauens sich
an diesem Fall festgebissen hat.
Es werden reale Fakten anhand von Briefen und Vernehmungsprotokollen mit
Fiktiven Elementen verknüpft. So verbindet sich ein Kriminalfall mit einem
Gesellschaftsroman und einer Familiensaga. Auch wenn der einzige Sohn der
Familie Tom, wohl der Augapfel der Eltern war, wurden die Töchter mit ihrem
später extravaganten Lebensstil berühmt. Obwohl dieser Lebensstil bereits in
der Hülle als Teil von Luisas Leben erwähnt wird, so ist er für die Klasse, der
Nancy entstammt doch recht zurückhaltend. Sie ist noch nicht offiziell in die
Gesellschaft eingeführt und ist daher während der London-Aufenthalte auch kein
ständiger Gast auf rauschenden Adelsbällen. Aufgrund seiner traumatischen
Erlebnisse im 1. Weltkrieg bevorzugt Lord Redesdale doch eher die beschauliche Lebensweise eines Landadeligen.
Sehr gut hat mir gefallen, daß weder Nancy noch Louisa ohne Fehl und Tadel
sind, sondern Ecken und Kanten haben. Man merkt Nancy durchaus an, daß sie
zeitweise flatterhaft, dickköpfig und bisweilen verwöhnt ist. Trotz ihres
scharfen Verstandes denkt sie meistens nicht an die Konsequenzen ihres Handels
für Louisa. Doch auch Louisa hat von ihrem Onkel Steven einige Tricks gelernt,
die den aufrechten Guy Sullivan dann doch schockieren. Wegen seiner starken
Kurzsichtigkeit konnte er übrigens nicht in den Krieg ziehen und wird von
seinen Brüdern daher nicht ganz für voll genommen. Schon allein damit hat er
auf Anhieb meine Sympathien sichern können.
Dass aber Nancy so vertraut mit ihrem Kindermädchen verkehrt, die
eigentlich keinerlei wahre Referenzen hat, fand ich da schon erstaunlicher. Es
gefällt mir aber gut, da ich so als Hörerin einen viel persönlicheren Einblick
in ihr Leben fand und emotional involvierter war. Anders als es der Klappentext
vermuten lässt, geht es nicht nur um einen Mordfall und rauschende Bälle. Da
die Geschichte in den Jahren 1920 - 1922 sind auch die Folgen für die
heimkehrenden Soldaten, die Krankenschwestern und der Männermangel ein Thema.
Dabei fällt mir immer wieder auf, daß in englischen Romanen die sogenannten
Kriegszitterer (heute PTBS) viel stärker thematisiert werden, als in deutschen.
Bei uns wurde es wohl eher totgeschwiegen, weil nicht sein kann, was nicht sein
darf. Dies mag für einige teilweise langatmig sein, aber die Autorin
orientierte sich auch an existierenden Briefwechseln und will eben auch einen
Eindruck von Zeit, Gesellschaft und Werten liefern, was ihr für meinen
Geschmack, sehr gut gelingt.
Jessica Fellowes ist die Nichte des Downton Abbey Autors und dem auch
Belgravia bei Random House Audio vertont wurde. Sie hat auch die Begleitbücher
zur Serie geschrieben und nun mit diesem Band eine 6 bändige Familiensaga über
realexistierende recht exzentrische und konträre Schwestern begonnen. Ich empfinde ihre Stil
als persönlicher und emotionaler als den ihres Onkels, da sie ihren Blickwinkel
mehr auf wenige Personen beschränkt. Dabei kann man der Geschichte sehr gut
folgen, trotz der Verwicklung zahlreicher Personen und des großen Haushaltes.
Auch wenn dies nicht ausschließlich ein Krimi ist, sie der Fall logisch
stringent aufgelöst, was ich echt zu schätzen weiß.
Juliane Köhler ist mir bislang nur als Schauspielerin bekannt gewesen
insbesondere aus Aimée und Jaguar und Nirgendwo in Afrika. Ich empfinde ihre
sehr weibliche Stimme als ausgesprochen angenehm und jung.Dabei spricht sie die
ungestüme Nancy sehr lebhaft und lebendig, während Louisa ruhiger und
bedächtiger klingt. Trotz ihres eindeutig weiblichen Klanges, wirken ihre
Männerinterpretationen jedoch nie schrecklich aufgesetzt, sondern nur einen
Tacken dunkler im Timbre.
Die Klapppapphülle ist sehr schön mit Goldrahmen im zeitgemäßen
Jugendstilmuster gestaltet. Für Interessierte enthält sie nicht nur
Informationen zur Autorin und Sprecherin, sondern auch zu den Fakten, auf denen
dieser erste Band beruht und ein Hinweis auf die Fiktion, mit der die Autorin
den Tatsachen Leben und Frische einhaucht.
Ich hätte Juliane Köhler noch deutlich länger lauschen können und bin
gespannt, ob sie auch die Folgebände lesen wird, oder ob die gegensätzlichen
Schwestern von unterschiedlichen Stimmen eingesprochen werden.
Für Fans der Epoche und Familiensagas, sowie des Cosy-Crime-Genres sehr zu
empfehlen.
Ich bedanke mich ganz herzlich bei Random House Audio für den Hörgenuss.
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