Belgravia, Julian
Fellowes, gelesen von Beate Himmelstoß, 2 MP3, der Hörverlag
London 1841 James
Trenchard ist ein ehrgeiziger, fleißiger Mann, der sich aus einfachen Verhältnisses,
als Proviantmeister der englischen Armee zur Zeit der letzten napoleonischen
Schlachten, in Belgien, hochgearbeitet hat. Damals in Belgien lebte er mit
seiner intelligenten, weitsichtigen Frau Anne, seiner schönen, aber
dickköpfigen Tochter Sophia und seinem zu weichen Sohn Oliver. Sophia hatte es
durch Hartnäckigkeit geschafft, der Familie Eintrittskarten für einen privaten
Ball in höchsten aristokratischen Kreisen zu besorgen, da sie und der Neffe der
Gastgeberin Edward Brockenhurst, eine heimliche Liaison hatten. Während Edward
kurz darauf auf dem Schlachtfeld fiel, starb Sophia im Kindbett. Ihr Sohn wurde
heimlich einem kinderlosen Landpfarrer in Obhut gegeben. Nun 25 Jahre später
ist James Trenchard ein reicher Bauunternehmer und nimmt den nichtsahnenden
Enkelsohn Charles Probe unter seine Fittiche. Dieser hat nach einem Studium und
einer erfolgreichen Zeit in einer Bank nun eine Baumwollspinnerei erworben und
ist in seinen Anfängen sehr froh über seinen Mentor und Mäzen, sehr zur
Missbilligung von Sohn Oliver. Als die hochwohlgeborene Lady Brockenhurst
erfährt, daß der Sohn ihres einzigen Kindes lebt, nimmt sie so regen Anteil an
seinem Werdegang, daß die feine Gesellschaft sich zu wundern beginnt. Das nimmt
sie hin, da ein illegitimes Kind eines Sohnes, nicht die gesellschaftliche
Ächtung bedeutet, wie dies für die Familie der Mutter sein könnte. Doch ist
dies nicht die einzige Gefahr, auch der designierte Brockenhursterbe und die
Dienstboten schmieden ihre eigenen Pläne für ihr vermeintliches Glück.
Dieses Hörbuch
stammt aus der Feder des Autors der erfolgreichen BBC-Serie „Downton Abbey“ und
das macht sich sofort bemerkbar, auch wenn diese Geschichte in einer anderen
Zeit spielt.
Geschildert wird
diese Familiengeschichte, in der die Schicksale eines alteingesessenen
Adelsgeschlechts mit der einer neureichen Kaufmannsfamilie unwiderruflich
miteinander verwoben sind, aus verschiedenen Perspektiven. Es gibt keine
Hauptfiguren, denen Blickrichtung man annimmt, doch gleich mehrere intelligente
und starke Frauen, mit denen man sympathisieren kann, bzw. deren Kunst zur
Intrige man in anderen Fällen nur bestaunen kann. Die Damen dieses
Gesellschaftsromans, sind deutlich gerissener, als die Männer, deren
gesellschaftliche Stellung zu Beginn der viktorianischen Regentschaft deutlich
gefestigter ist. Die Industrialisierung kommt in Schwung, der Bau der großen
Eisenbahnstrecken lässt Entfernungen schwinden und die Städte scheinen näher
aneinander zu rücken. Landgüter werden nach Fertigstellung der Bahnlinien
deutlich schneller erreichbar sein. Es wird der Fokus jedoch weniger, auf die
Entwicklung und die Folgen des Fortschritts wie der Verelendung der
Arbeiterklasse, wie bei Dickens gelegt, als viel mehr auf die gesellschaftliche
Stellung, der aufsteigenden, reichen Kaufmannsklasse. Diese haben oft ein
vielfaches an Vermögen gegenüber dem bisweilen stark verarmten Adel, der alles
tut, um den Untergang ihrer Häuser durch geschickte Heiraten zu verhindern und
die Fassade aufrecht zu erhalten. Besonders deutlich wird dies an Lady Maria,
auf deren Schönheit die Hoffnung ihrer verarmten Mutter liegt, die aber deren
Intellekt und Menschenkenntnis. nicht im geringsten zu schätzen weiß. Doch
gerade diese Eigenschaften verhindern ihren gesellschaftlichen Untergang und
behüten sie vor den um sie herumtobenden Intrigen.
Es gefällt mir gut,
daß sowohl Anne und James Trenchard als auch Lady und Lord Brockenhurst
vielschichtige Charaktere sind. Gerade Anne und Lady Brockenhurst taktieren,
aber planen nicht gezielt jemandes gesellschaftlichen Untergang, wobei Lady
Brockenhurst dies jedoch durchaus billigend in Kauf nimmt. James Trenchard ist
jedoch vor allem ein ehrenwerter Kaufmann, der es durch Fleiß und
Kaufmannsgeist es sehr weit gebracht hat, wenn auch noch nicht zu der
gesellschaftlichen Position, die seinem Vermögen entspricht. Richtig
hinterhältig und durchtrieben sind vor allem die Nebenrollen, deren soziale
Absicherung so mies ist, daß sie natürlich auch nicht mit der
Selbstverständlichkeit und Zuversicht in die Zukunft schauen können, wie eine
hochwohlgeborene Lady Brockenhurst.
Beate Himmelstoß hat
mich sehr positiv überrascht bei diesem Hörbuch. Bislang kannte ich sie vor
allem aus Agatha Christie Vertonungen, in denen sie deutlich älter klang (gut
Miss Marple ist auch nicht mehr die Jüngste). Gerade bei Susan Trenchard der
Schwiegertochter finde ich ihre Interpretation sehr überzeugend. Jung, schön
und taktierend. Lady Maria klingt vor allen Dinge jung und überschwänglich,
jedoch nicht ganz so intelligent und gebildet, wie ihr Verlobter, der
designierte Erbe der Brockenhursts beklagt. Bei Anne Trenchard und Lady
Brockenhurst liefert sie sich selbst ein Duell der Geister, dem Lady
Templehurst, die Mutter von Lady Maria, einfach nicht gewachsen ist. Doch auch
die Herrenrollen bewältigt sie mit Bravour, ebenso wie die Dienstboten.
Interessant fand ich auch, daß ein männlicher Autor, den weiblichen
Protagonisten mehr Raum und Esprit gibt, die eigentlichen Stars der Geschichte,
sind hier eindeutig die Frauen.
Julian Fellowes
wurde 1949 in Ägypten geboren, wuchs in England auf und studierte in Cambridge.
Er ist Schauspieler und Drehbuchautor. Für Gosford Park erhielt er den Oscar
und Downton Abbey machte ihn berühmt. 2009 wurde er von Queen Elisabeth II in
den Adelsstand erhoben. Wie bereits bei Gosford Park und Downton Abbey gibt es
zahlreiche Protagonisten und Handlungsstränge mit Intrigen. Anders als in den
klassischen Romanen von Jane Austen, den Brontes oder Charles Dickens, gibt es
nicht eine erklärte Hauptperson, aus deren Sicht man die Welt sieht und mit der
man mitleidet. Man nimmt mehr Anteil am Familienschicksal, als an Freud und
Leid eines einzelnen. Hierdurch wird diese Geschichte, die durchaus ihre
emotionalen Höhen und Tiefen hat, jedoch weniger emotional berührend, was ich
etwas schade finde. Nichtsdestotrotz ist es dramatisch und spannend und ich
wollte unbedingt beide MP3 zu Ende hören, obwohl mir das Medium eigentlich
nicht sonderlich liegt.
Die Pappklappbox ist
sehr edel und dem Sujet entsprechend gestaltet, der Anblick eines großen
Herrenhauses umrahmt von einem Goldrahmen. Schade nur, daß auf ein
Personenverzeichnis im Inneren verzichtet wurde, genügend Platz hätte sich auf
den Pappflügeln befunden, denn gerade mit den Dienstboten, allen voran der Zuordnung
der Zofen, habe ich mir etwas schwer getan.
Ein wirklich
packendes und gut interpretiertes Hörbuch über die gesellschaftlichen
Verquickungen zweier sehr unterschiedlicher Familien.
Ich bedanke mich
ganz herzlich bei Lovelybooks und der Hörverlag für diesen Gewinn aus der „Der
Sound der Bücher“-Aktion.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen