Wer die Nachtigall stört, Harper Lee, ungekürzt gelesen von Eva Mattes,
Argon Verlag, 2 MP3 12 h 22 min
Alabama in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts: Die Geschwister Scout
(getauft auf Jean Louise zu Beginn sechs Jahre alt) und ihr vier Jahre älterer
Bruder Jem wachsen im liberalen Haushalt ihres Vaters, des Anwalts Atticus
Finch und der schwarzen Haushälterin Calpurnia auf. Ihre Mutter verstarb, als
Wildfang Scout noch ganz klein war, weshalb sie sich nicht mehr an sie erinnern
kann. Rückblickend erzählt Scout, wie es eigentlich kam, daß Jems Arm und Hand
nach einem komplizierten Ellbogenbruch schief verheilten. Eigentlich begann
alles, als im Sommer bei der Nachbarin der siebenjährige recht exzentrische
Dill einzog. Nachdem sie alle Theaterspiele durch geprobt hatten, zog der
geheimnisvolle Nachbar Arthur (genannt Boo) Radley seine Aufmerksamkeit auf
sich. Es wurde zur Mutprobe die Aufmerksamkeit des scheinbar unsichtbaren und
vielleicht verrückten oder gefährlichen Nachbarn zu wecken. Doch dann wird das Interesse
des Städtchens durch ein bislang beispielhaftes Verbrechen erschüttert. Ein bis
dato unbescholtener Schwarzer, wird beschuldigt, die 19-jährige Tochter, eines
weißen Tunichtguts vergewaltigt zu haben. Atticus wird von Richter Taylor die
Pflichtverteidigung übertragen. Nun kippt auch die Stimmung der vermeintlich
„ehrbaren“ Bürger gegen Atticus. Doch dieser folgt seinem Gewissen und seinem
Sinn für Gerechtigkeit. Dies bringt er auch seinen Kindern bei und einige
Nachbarn und Freunde sehen dies auch so. Die Prozessvorbereitungen heizen die
Gemüter in den heißen Sommertagen an, ehe der Prozess sie zum Überkochen
bringen könnte.
Dies ist eines meiner Lieblingsbücher und gewann 1962 den Pulitzerpreis. Es
wurde schon kurz nach dem Erscheinen zu einem Welterfolg, der 1964 mit Gregory
Peck verfilmt wurde. Vor Jahren habe ich es im Original gelesen und es geliebt.
Für die Vielschichtigkeit seiner Themen, für seine Warmherzigkeit und
Denkanstöße. Dadurch, dass es aus der Sicht eines Kindes erzählt wird, dachte
ich, dass es ein gutes Familienhörbuch sei. Nach dem gemeinsamen Hören wollte
ich mit den Kindern über Toleranz, Rassismus und Inklusion reden. Denn in
diesem Klassiker geht es nicht nur um Vorurteile auf Grund der Hautfarbe. Es
geht auch um die Vorurteile gegenüber Nachbar Arthur „Boo“ Radley, der einfach
völlig anders ist, auch wenn die Kinder nicht wissen warum, denn sie sehen ihn
ja nie. Was man nicht kennt oder sieht, kann manchmal eine unglaubliche
Faszination ausüben. Eine Faszination, die Erwachsenen bisweilen entgeht, die
kindliche Fantasie aber zu Höhenflügen ermutigt. So lernt man auch durch Scouts
unvoreingenommenen Blick ihre Tante kennen, die eine echte Südstaatenlady ist,
aber wenn man ihre Motive und ihr Verhalten mal genauer überdenkt, durchaus
auch Anlass zu Kritik geben vermag. Ein wunderbarer Kontrast bildet hierzu die
gewissenhafte Calpurnia, die das Richtige tut, auch wenn es gerade nicht der
gesellschaftlichen Norm entspricht. Sie ist gebildet: als eines von 4
Mitgliedern der schwarzen Gemeinde kann sie Lesen und Schreiben. So blickt man
ins Herz der damaligen Südstaaten, die auch heute noch in einigen Köpfen
weiterleben. Es ist ein einfühlsames Gemälde der damaligen Zeit, der
Gesellschaft, ihrer Sitten und Gedanken, die auch von der Hitze des Landes
geprägt wird. Immer wieder wird die Unerträglichkeit der Temperaturen betont.
Es ist ein Gesellschaftsroman, eine Story of initiation (denn Scout und vor
allem Jem reifen im Rahme dieser Geschichte unheimlich heran) und ein
Justizkrimi in einem, ohne dass einem der relevanten Themen nicht genug
Aufmerksamkeit geschenkt würde, aber vor allem ist es ein leidenschaftliches
Plädoyer für Toleranz, nicht nur im Hinblick auf den gelebten Rassismus.
Eva Mattes ist nun wirklich älter als 6 Jahre, immerhin lieh sie Tommy in
den legendären Pippi Langstrumpf Filmen ihre Stimme, aber man hört es ihr nicht
an. Ihre unglaublich warme Stimme klingt zeitlos und passt ebenso zu Scout als
Kind, wie Vater Atticus oder der resoluten Calpurnia. Ihre Stimme umarmt die
Charaktere, ohne sich zu verstellen. Sie trägt die Geschichte in all seinen
Facetten und seiner Tiefe. Sie gibt ihr die Leichtigkeit der kindlichen Sicht
und transportiert doch auch das Grauen und die Ernsthaftigkeit der Lage. Eine
sehr gute und einfühlsame Wahl. Lediglich bei einigen wenigen Wörtern, habe ich
etwas bei der Übersetzung gezuckt, da ich an zwei/drei Stellen andere Begriffe
verwendet hätte. Insgesamt ist aber auch die Übersetzung sehr gelungen. Der
Film wird ab 12 Jahren empfohlen, das Buch ab 14 Jahren. Da nicht alle
Erzählstränge glücklich enden, sollte man wirklich bis mind. 12 Jahren
warten...
Ein Werk für die Ewigkeit, über dessen ständige Verfügbarkeit für meine
Ohren ich mich sehr freue und das ich dank der Interpretin auch noch mehrfach
hören werde. Noch immer eines meiner Lieblingsbücher, da man es in
verschiedenen Lebenslagen auch anders wahr- und aufnimmt.
Ein Meisterwerk für Ohren, Hirn und Herz.
Ich bedanke mich ganz herzlich beim Argon Verlag, für dieses geliebte
Rezensionsexemplar.
Eine Hörprobe findet ihr hier:
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