Die Zarin und der Philosoph, Martina Sahler, List Verlag
Diese Geschichte beginnt weder mit der Geburt der Zarin,
noch des Philosophen, sie schließt zeitlich auch nicht unmittelbar an den
ersten Band „Die Stadt des Zaren“ an. Sie beginnt 1761 mit dem Entschluss eines
alten Eremiten sein außerordentlich aufgewecktes fünf jähriges Findelkind aus
der Waldhöhle in die Stadt St. Petersburg, in die Obhut der Zarin zu bringen.
Er hat ihre Barmherzigkeit schon mal am eigenen Leib erlebt, nun soll die
kleine Sonja in den Genuss ihrer Förderung kommen. Katharina erkennt die
außergewöhnlich Begabung und den fragenden Geist des Mädchens und zieht sie
ihrem leibliche Sohn Zarewitsch Paul vor. Sie sieht sich selbst als
fortschrittliche Vorreiterin und will die Bildung von Mädchen und Frauen
fördern. Preußenkönig Friedrich der Große betrachtet die durch einen Putsch an
die Macht Gekommene mit Misstrauen. Daher schickt er den jungen Philosophen
Stephan Mervier und seine junge Frau die Malerin Johanna an ihren Hof als
Spion. Schließlich weiß jeder, daß Katharina sich gerne aufgeschlossen und
fortschrittlich gibt, ist doch ihr Briefwechsel mit Voltaire legendär. Doch was
steckt dahinter? Was plant sie wirklich? Anders als seiner Frau fällt Stephan
der Neustart in St. Petersburg unter lauter Intellektuellen leicht. Er liebt es
zu debattieren und hat bald einen geheimen Männerzirkel um sich versammelt,
während er sich in Katharinas Gegenwart nie ganz frei fühlt. Johanna jedoch
fühlt sich ausgeschlossen und überfordert damit ihren Ruf als Künstlerin wieder
ganz von vorne aufbauen zu müssen. Eine Stadt mit ihren ganz eigenen Gesetzen
und Anforderungen.
Ein Roman über die Macht der Worte und die Freiheit der
Gedanken und die Faszination einer Stadt die jeder geografischen Widrigkeit zum
Trotz aus dem Boden gestampft wurde, innerhalb kürzester Zeit. Wie bereits
Stadtgründer Peter hat auch seine Nachfolgerin Katharina gerne westliche
Intellektuelle um sich geschart. Sie genoss den europäischen Einfluss und zog
daher stets das westlich orientierte St. Petersburg dem russisch abergläubigen
Moskau vor. Die Größe des Reichs war kaum zu überblicken und zu regieren. Ihrem
Volk traute sie es nicht zu, nur einer festen Hand mit einem aufgeschlossenen
Geist wie ihrem. Die Gelehrten um sie sollten den Gedankenaustausch
sicherstellen, doch letztendlich sich ihrer Erkenntnisse anschließen. Die
Freiheit der Andersdenkenden besteht, so lange sie sich „bekehren“ lassen.
Gedanklich kommt man in diesem Roman Katharina sehr nah, emotional nur
bisweilen, in aufblitzenden Bruchstücken, die meine Highlights des Romans sind.
Neben der schüchternen und doch fortschrittlichen Malerin
Johanna, sind meine Lieblingsfiguren daher der manipulative Buchhändler und
Verleger Lorenz Hermann und Eremit Emilio. Sie sind klar in ihrer Art zu Denken
und zu Fühlen, ohne simpel zu sein.
Als Leserin hat mich das unaufhaltsame Auseinanderdriften
dieser einst glücklichen Ehe aufgrund der neuen Gegebenheiten von Land und
Leuten etwas bedrückt. Ich hätte Johanna gerne eine glückliche Ehe gewünscht.
Mit dem was sie dort, wo sie nie hinwollte, erwartete, hat sie nicht gerechnet.
Doch auch Katharina kämpft mit ihren Zielen und Plänen. So durchkreuzen Kriege
und Aufstände ihre sich selbstauferlegte Aufgabe, die russische Verwaltung zu
strukturieren und reformieren, zum Wohle der Allgemeinheit und eines wachsenden
Wohlstandes. Anders als Peter zog sie als Frau nicht in den Krieg, sondern ließ
diese von Männern ihres Vertrauens für sich führen. Frauen in der Armee waren
damals undenkbar, von den Plänen Katharinas für eine Veränderung der weiblichen
Lebensverhältnisse hat sich durchaus schon einiges getan und zwar in einem, für
sie damals wohl unvorstellbaren Ausmaß. Doch war sie damals nicht die einzige
mächtige Frau in der alten Welt. So wird der Leser immer wieder daran erinnert,
daß zu diesen Zeiten, als Frauen für die Familie da zu sein hatten und auch ein
Studium eigentlich nicht in Betracht kam, Maria-Theresia von Österreich
ebenfalls die Geschicke ihres Landes lenkte und sehr belesen war.
Während mir der philosophische Diskurs im Roman sehr gefiel,
hätte ich gerne mehr Einblick in die angeprangerten höfischen Seilschaften,
Intrigen und Verschwendung gewünscht. Immerhin ist dieser Zeitraum der
Aufklärung zeitlich recht nah an der aufziehenden französischen Revolution, nur
14 Jahre nach Ende der hier beschriebenen Ereignisse. Diderot der sich zu
seiner Gönnerin Katharina begibt, hat für mich einiges im geschichtlichen
Kontext in Frankreich klarer gemacht, ebenso wie Johanna, die sich um die
Aufnahme in die Kunstakademie bemüht. Solche elitäre Strukturen findet man bei
uns heute nicht, in Frankreich schon.
Ein Roman, der meinen Geist bereichert hat, meine Seele aber
nicht immer beflügelt hat.
Ich bedanke mich ganz herzlich bei Martina Sahler und dem
List Verlag für diese Leserunde.
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