Der Wald, Nell Leyshon, gelesen von Laura Maire Random House
audio, 8 CDs 10 h 2 min.
Warschau im zweiten Weltkrieg. Die großbürgerliche Familie
des kleinen Pawel erträgt die Besetzung ihrer Heimat nicht und engagiert sich
im Widerstand. Bislang war seine Oma eine erfolgreiche Ärztin, seine Mutter
eine begabte Cellistin und sein Vater ein Maler. Die Eltern lebten in ihrer
Welt der schönen Künste, bis der Krieg hereinbrach. Doch dann bringt der Vater
einen schwer verletzten englischen Piloten ins Haus, dem die Großmutter das
Sterben erträglicher machen soll. Allerdings verliebt sich seine labile Tante
Joana sich in Fremden und pflegt ihn gesund. Mit Kindern im Haus kann man keine
Geheimnisse bewahren und Pawel und seine Mutter müssen in den Wald flüchten und
ihr einst so kultiviertes Leben dreht sich nur noch um ihr Überleben, eine
Aufgabe, auf die sie bislang niemand vorbereitet hat. Ganz anders als die alte
Einsiedlerin Baba, die sie gegen Bezahlung aufnimmt.
Laura Maire erzählt diese Geschichte aus Pawels zu Beginn
kindlich naiver, verwunderter Sicht. Mal klingt sie verstört, mal verwirrt.
Sehr verletzlich in dieser Welt, in der nichts so ist, wie er es kennt. Sie
nimmt bisweilen ihre Emotionen zurück, wodurch sie noch eindringlicher klingt,
denn das Kind, in das sie sich einfühlt weiß nicht, was es denken und fühlen
soll. Doch trotz der unaufgeregten Interpretation klingt sie nie gleichgültig
oder monoton, wie es mir bisweilen bei Hörbüchern mit ähnlich ernster Thematik
vorkommt. Hier hat die Zurückhaltung, Stil und Ausdrucksstärke. Auch wenn diese
preisgekrönte Interpretin den Charakter dieses ungewöhnlich nachdenklich,
verträumten Kindes trifft, vermag auch sie es nicht über die Längen im
Mittelteil hinweg zu helfen. Der Kontrast zwischen den Kriegsszenen in Warschau
und den introvertierten Szenen auf dem einsamen Waldhof, auf dem die Zeit nicht
zu existieren scheint und sich alles auf das Sein zu reduzieren scheint, ist zu
groß. Die einst so feinsinnige, kultivierte Mutter Sophia, die ein Leben mit
Dienstboten und gepflegten Gesprächen gewöhnt war, kommt mit der Einfachheit
und Eintönigkeit im Wald nicht klar. Statt wie ihr Sohn lieben zu lernen, was
die Natur um sie herum ihr bietet und seine Regeln zu lernen und zu verstehen,
scheint sie in Apathie zu verfallen. Sie versteht sich und ihre Gefühle nicht
mehr. Wahrscheinlich ist sie soviel Introspektion nicht gewohnt und doch ist
sie ein Mensch der stets nachdenkt und das Denken nicht sein lassen kann. . Sie
ist zerrissen zwischen ihrer Mutterliebe und ihrer Irritation über seine
ungewöhnliche Sensibilität und über die Stärke ihrer eigenen Gefühle. Bislang
gab es auch immer Angestellte die ihr alle lästigen Arbeiten abnahmen, so dass
sie sich ganz sich selbst und dem, was einer Frau in ihrer Position oblag,
widmen konnte. Dabei wirkt sie bisweilen hart. Anders als z.B. die meisten
Trümmerfrauen dargestellt werden, die anpacken, weil es sonst nicht
weiterginge, schafft sie durch ihre Gedanken Distanz statt Bewunderung. Die
feinsinnige Künstlerin lernt man als bisweilen sehr selbstkonzentriert kennen.
Doch Pawel kennt es nicht anders. Erst Jahre später begreifen beide die
Bedeutung dessen, was diese Zeit in der Abgeschiedenheit des Waldes für sie
bedeutet hat. Während Pawel die Welt so akzeptieren lernt wie sie ist, kämpft
Sophia auch nach dem Krieg mit unerfüllten Wünschen und Erwartungen. Trotz
teilweise erstaunlicher Weitsicht, ist sie jedoch lange Zeit nicht bereit, sich
ihren eigenen Schlussfolgerungen zu beugen. In dem letzten Teil der Geschichte,
der mehr aus ihrer Sicht erzählt wird, schafft es die Interpretin gekonnt, den
Perspektivwechsel auch stimmlich nachzuvollziehen, und klingt nun nach der vom
Leben gezeichneten Mutter.
Dieser Roman hat bisweilen etwas kammerspielartiges, selbst
in den Kriegsszenen, wobei mir diese durch die innere und äußere Entwicklung
deutlich besser gefallen. Sowohl Pawel, als auch seine Mutter beobachten stets
und können das Denken nicht lassen. Doch anders als Sophia ist Pawel ein
Träumer. In Kriegszeiten ist dies eventuell gefährlich, aber auch vielleicht,
die beste Möglichkeit nicht den Verstand zu verlieren. So ist dieser Roman auch
sehr stark von inneren Monologen geprägt. Wer bei diesem Thema actionreiche
Szenen auf der Flucht erwartet, ist hier völlig auf dem Holzweg, sehnt er sich
nach Action, sollte er sich ein anderes Hörbuch suchen. Hier liegt die Stärke
in der Poesie der Beobachtungen und Gedanken zweier Künstlerseelen, die in eine
unbarmherzige Zeit hinein geboren wurden und sie dennoch begreifen möchten. So
sind ihre Gedanken auch bisweilen poetisch und auch entsprechend verbalisiert.
Es ist keine dahinplätschernde seichte Unterhaltung und man sollte auch ein
gewisses Sprachniveau besitzen. Schade finde ich, daß man das ungefähre Jahr,
in dem die Geschichte jeweils spielt, stets erraten muß und man die Zeitsprünge
nicht unmittelbar bemerkt, sondern erst wenn er bereits eine Weile begonnen
hat, wenn es z.B. Hinweise auf das Alter, Umzüge oder ähnliches gibt. Ob das in
der Buchvorlage auch so ist, weiß ich nicht.
Eine Geschichte über das Leben, das uns prägt, mit allen
Schicksalsschlägen, daß wir aber lernen müssen uns, und die, die wir lieben so
zu akzeptieren, wie wir bzw. sie sind. Ändern kann man nur sich selbst, nicht
seine Lieben. Die Schicksalsschläge machen uns auch nicht zu anderen Menschen,
das liegt alles schon von Geburt an in uns, aber unsere Teevorlieben könnten
zum Beispiel durch ein Überleben im Wald verändert werden oder wir lernen, die
Natur zu verstehen, von der uns bislang gar nicht bewußt war, wie sehr wir sie
lieben. Eine starke Mutter-Sohn-Beziehung, die durch die Zeit und ihre
Entwicklungen dahin mäandert.
Ein schönes Hörbuch, dessen Titel und Klappentext aber etwas
anderes erwarten lässt, als man zu hören bekommt. Es bedarf schon einer
gewissen Bereitschaft, sich auf eine Geschichte und Gedanken einzulassen, die
mehr eine Familiengeschichte, als ein Widerstandsdrama ist.
3,5 Sterne gerundet auf 4.
Ich bedanke mich ganz herzlich beim Bloggerportal für dieses
ungewöhnliche Hörexemplar.
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