Vom Fuchs, der ein Reh sein wollte, von Kirsten Boie, gelesen von Karl
Menrad, ill. Barbara Scholz, Jumbo Verlag
Während eines Gewitters schlägt der Blitz in einen Baum ein und schon steht
ein kleines Wäldchen in Flammen. Die Tiere fliehen und bringen sich in
Sicherheit. Dabei verliert der kleine Fuchs jedoch seine Familie. Unglücklich
hockt er unter einer Hecke am Feldrand neben dem abgebrannten Wald und
schluchzt. Die umstehenden Tiere sind verwirrt. Was kann das kleine graue
puschelige Wesen wohl sein? So genau weiß das erst mal keiner, bis Papa Dachs
einschreitet, der sich mit Füchsen schon den Bau geteilt hat. Nun haben die
anderen Tiere Angst vor ihm, denn sie sind ja die Beute von Füchsen, auch wenn
dieser noch ganz klein und grau ist. Letztendlich erbarmt sich Mama Reh vorerst
und nimmt ihn und ihre 3 Jungtiere Langbein, Vielpunkt und Glanzfell mit aufs
Feld, um sich eine neue Schlafstätte zu suchen. Das ist sehr ungewohnt für das
kleine Tier, daß sonst immer im Dunkeln schläft. Aber er ist froh nicht mehr
allein zu sein und strengt sich mächtig an, um alles so zu machen wie sie. Doch
ein Fuchs ist ein Fuchs und kein Reh, daher klappt es nicht so ganz. Der
liebenswerte Vielpunkt bewundert seine Anstrengungen und schon bald sind sie
beste Freunde. Aber das Misstrauen der anderen gegenüber dem Findelkind bleibt,
so wie auch dessen Sehnsucht nach seiner Familie.
Kirsten Boie ist wieder eine
Geschichte für die Ewigkeit gelungen. Sprachlich wunderschön und voller
Wahrheit, ist es gespickt mit zitierenswerten Aussprüchen wie: „Es gibt immer
verschiedene Wege, um ans Ziel zu kommen.... Man muss nur herausfinden, welcher
Weg für einen selbst der richtige ist“. So ausgedrückt verstehen es auch schon
Kinder. Die Brillianz von Sprache zeigt sich oft erst beim Vorlesen und da
bewährt sich dieses Buch eindeutig. Für Kinder unbekannte Begriffe oder
Zusammenhänge werden, von älteren oder erfahreneren Tieren den Jungtieren
erklärt und so erweitert sich der Wortschatz der Zuhörer und ihr Wissen über
das Leben in Wald und Feld. Wir wussten z.B. alle nicht, daß Jungfüchse noch
nicht rot, sondern grau gefärbt sind.
Die Geschichte kombiniert die kindliche
Urangst vor dem Verlust der Familie mit ihrer größten Sehnsucht, der nach
echten Freunden und Abenteuern. Das wird wunderbar thematisiert, ganz nach dem
Motto des Uhus, der Kirsten Boie diese Geschichte erzählt hat: So muss eine
gute Geschichte mindestens 1.000 Wörter haben, spannend sein, lustig und an
einigen wenigen Stellen ein kleines bisschen traurig, wobei am Ende alle wieder
fröhlich sein müssen.
Das ist hier ausgezeichnet gelungen. Gerade wenn der
kleine Fuchs mal wieder merkt, daß er ein Fuchs ist und niemals wie seine
Rehfamilie sein wird, ist es ein wenig traurig. Aber dann erinnert die
Erzählerin daran, was eine gute Geschichte ausmacht und stellt das Happy End in
Aussicht, ebenso wie einen tröstenden Freund, der schon hinter dem nächsten
Gebüsch auf ihn wartet.
Es geht um Andersartigkeit, Neugierde den Andersartigen
gegenüber, Zusammengehörigkeit, Mut und Übermut, Vorsicht und das Annehmen von
Ratschlägen und darum niemals aufzugeben.
Aus ihrem Wald vertrieben, wagen sich
die Tiere in den Garten eines einsamen Hauses. Dort finden die Rehe in den
Rosen echte Delikatessen, für den kleinen Fuchs ist es ein echtes Abenteuer,
erfährt er doch dort einiges über die Menschen. Die Sichtweise der Tiere auf
die Menschen ist einfach lustig, zeigt aber auch kritische Einblicke in unser
Verhalten und es macht den Zuhörern einfach Spaß aus den Umschreibungen der
Tiere, das jeweilige Verhalten oder Objekt aus der Menschenwelt zu erraten.
Dieser immerwährende Perspektivwechsel der Einblicke in die verschiedenen
Tiereigenheiten und die Distanz zur Menschenwelt zeigt, zeugt von großer
Empathie.
Barbara Scholz schafft es mit ihren freundlichen, farbigen
Illustrationen die Stimmung einzufangen und die Handlung noch zu
unterstreichen. Schon als meine Jüngste die Abbildung mit der
Hörbuchankündigung sah, war ihr klar, dass sie diese Geschichte hören wollte,
so sehr sprach sie das Cover an. Auch die drei Tonträger zieren drei
unterschiedliche Illustrationen aus dem Buch.
Auf 3 CDs knurrt und zwitschert
Karl Menrad die Geschichte des kleinen Fuchses. Dabei scheinen ihm die
verschiedenen Tierstimmen wie selbstverständlich über die Lippen zu kommen.
Ganz lebendig schlüpft er in die verschieden Rollen und bleibt dabei doch stets
gut verständlich. Seine Stimme ist warm und angenehm und selbst weibliche
Stimmen klingen bei ihm nie übertrieben oder verstellt. Besonders die kleine
Amsel mit ihrem Sprachfehler hat es uns angetan. Durch den Konsonantentausch
muss man richtig mitdenken, was sie denn zu erzählen hat, es ist einfach witzig
und toll umgesetzt.
Jede einzelne CD ist länger als eine Stunde. Die Kinder
sollten also schon an längere Geschichten gewöhnt sein. Auch wenn die
Geschichte sehr kurzweilig ist, benötigen die Kinder eine gewissen Ruhe, um der
Geschichte lange genug folgen zu können. Die Altersangabe ab 6 Jahren empfinden
wir daher und wegen der Komplexität der Darstellung der Themen als absolut
angemessen, auch wenn das Cover sicher auch schon jüngere Kinder
anspricht.
Autorin Kirsten Boie ist selbst Mutter, erfahrene Lehrerin und
promovierte Literaturwissenschaftlerin. Daher schafft sie es auch hier gekonnt,
sowohl sprachlich, als auch inhaltlich auf den kindlichen Wahrnehmungs- und
Verständnishorizont einzugehen. Emotional spricht sie an, ohne den Kindern zu
viel zuzumuten und auch sprachlich erklärt sie, ohne belehrend zu wirken oder den
Zuhörern den Eindruck zu vermitteln, sie wären noch zu klein um etwas zu
wissen. Egal für welche Altersgruppe sie schreibt, ist ihre Sprache dieser
angemessen und ihr Schreibstil einfach wunderschön. Es liest sich fast von
allein und so klingt Karl Menrad auch. Die Tierstimmen kommen klingen natürlich
und lebendig, als könnte es gar nicht anders sein.
Eine echte
Kinderhörbuchperle, die es wert ist, mehr als einmal gehört zu werden. Absolut
empfehlenswert!
Wir bedanken uns ganz herzlich beim Jumbo Verlag für diese Hörbuchperle.
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