Das Dorf in den roten Wäldern, der erste Fall für Gamache, Louise Penny,
gelesen von Hans-Werner Meyer, Der Audio Verlag
Three Pines ist ein kleines Dorf in Québec, Kanada, tief versteckt in den
Wäldern und so unbedeutend, daß es nicht in den Landkarten verzeichnet ist. Wer
dort lebt genießt den Indian Summer, die Ruhe und die kleine verschworene
Dorfgemeinschaft, in der jeder jeden kennt und das quasi schon seit immer. Man
kennt sich, man schätzt sich und ist eigentlich auch tolerant, egal welche Muttersprache
man eigentlich hat. Unvorstellbar, daß dort die 76 jährige pensionierte
Dorfschullehrerin Jane Neal unter ungeklärten Umständen tot aufgefunden wurde.
Kommissar Armand Gamache, Leiter der Mordkommission der Sûreté du Québec, der
gerade auf dem Weg zur Thanksgiving Feier mit seiner Frau ist, geht daher erst
einmal von einem Jagdunfall aus. Doch vor Ort stellt er fest, daß es auch in
solch engen Gemeinschaften eine Menge Geheimnisse und Animositäten und
mindestens ebenso viele Künstler und Bogenschützen gibt. Doch wenn es ein
Jagdunfall war, wo ist dann der Pfeil, der Jane versehentlich traf und warum
wurde der Unfall nicht gemeldet? Während er die Familienfeier absagen muss,
nimmt die Dorfgemeinschaft ihn und sein Team erstaunlich selbstverständlich auf.
Armand Gamache ist 55, er ruht in sich selbst, ist seit 35 Jahren glücklich
verheiratet, erzählt seiner Frau alles und hat kein Alkoholproblem und keine
Profilneurose. Über jeden Toten staunt er noch immer, wie am ersten Tag, was
wohl der Grund dafür sein dürfte, daß seine Karriere derzeit stagniert. Dennoch
ist seine Aufklärungsquote unschlagbar, dank seines feinen Spürsinns und seiner
Menschlichkeit. Diese lernen die Bewohner von Three Pines auch bald kennen. Die
Dorfgemeinschaft ist ein bunt gewürfelter Haufen von echten Originalen, denen
Hans-Werner Meyer jedem seine eigene Stimme leiht, egal ob dem
tuntig-exaltierten Bistrobesitzern, der rauchig-whiskeygewohnten Dichterin Ruth
oder dem verträumt-antriebslosen Erben Ben, als stimmlich auffälligste Beispiele.
Wäre jeder Charakter so stimmlich ausgeprägt, wäre es wohl eher anstrengend,
als ausdrucksstark, so bewundere ich ihn dafür, daß er bei den rauchigen
Passagen von Dichterin Ruth nicht husten muss. Aber Hans-Werner Meyer, Jahrgang
1964 ist ein echter Profi. Wem der Name dieses bekannten Film- und
Theaterschauspielers nichts sagt, kann ihn aktuell in der neuen Staffel von
„Letzte Spur Berlin“ als besonnen Leiter der Vermisstenstelle freitags abends
um 21.15h im ZDF bewundern. Während Gamache sehr bodenständig ist, sind es die
meisten Dorfbewohner eher nicht, aber dennoch ebenfalls sympathisch, was einen
interessanten Kontrast bildet. Nicht zuletzt ist dies wohl auch der Grund für
den Erfolg dieser kanadischen Krimreihe in seiner Heimat, denn dieser Reihenauftakt
hat schon einige Jahre auf dem Buckel, weshalb hier mit Herz und Köpfchen statt
mit Technik und Handy ermittelt wird. Zum idyllischen Indian Summer in den
kanadischen Wäldern inmitten von Künstlern und Bogenschützen passt es auch viel
besser. Da dies die zweite kanadische Krimireihe ist, die ich lese (mehr kenne
ich auch gar nicht), in der man im Québec Bogen schießt, drängt sich mir der
Verdacht auf, daß auch dies typisch kanadisch ist, oder Autorin Louise Penny
ist wie ich, ein großer Fan der kanadischen Altmeisterin Charlotte
Macleod/Alissa Craig. Louise Penny wurde 1958 in Toronto geboren, arbeitete als
Rundfunkjournalistin und Moderatorin. Ihr erster Gamache-Krimi wurde weltweit
als Entdeckung gefeiert und seither erobern die Folgebände die
Bestsellerlisten.
Louise Penny gibt ihren Charakteren viel Raum sich zu entwickeln, so daß
man wirklich die Qual der Wahl hinsichtlich Motiv und Gelegenheit hat. Wie der
Kommissar und die beste Freundin der Verstorbenen kommt man bei der großen
Auswahl an möglichen Tätern ganz schön ins Grübeln. Ich habe das Original mal
vor vielen Jahren mit Begeisterung gelesen, dennoch kam ich erst ganz am Ende
wieder auf den Täter. Die Atmosphäre und die Sympathie für die bisweilen sehr
exzentrischen Protagonisten, lenken beim Hören herrlich ab und führen auf die
falsche Fährte. Die Kürzungen sind mir beim Hören gar nicht aufgefallen, so
sensibel wurden sie vorgenommen. Neben der Eigenheiten der Dörfler, für deren
Exzentrik Louise Penny viel Respekt zeigt, nimmt sie auch immer wieder
kanadische Eigenheiten liebevoll aufs Korn. So leben in Three Pines durchaus
kanadische Stars der Kunst- und Lyrikszene, doch ist diese weltmarkttechnisch
relativ unbedeutend, so daß sie sich ein Leben in der Großstadt nicht leisten
könnten.
Das Klappcover wird von wunderbaren kanadischen Herbstlandschaften geziert,
die bestens die Stimmung des Krimis zu vermitteln vermögen. Trotz aller Idylle
gelingt es der Autorin die Fantasie des Zuhörers beim Showdown zu überlisten
und ihn das Gruseln zu lehren. Denn es ist gerade die Vorstellungskraft des
Hörers, angeleitet von der Autorin, die mit den Möglichkeiten des Grauens im
Dunkeln spielt, daß die Spannung ins kaum Erträgliche steigert. Beim Lesen
würde man durch die Seiten flitzen, aber Hans-Werner Meyer lässt sich nicht
hetzen, er kostet die Spannung voll aus. So entgeht einem Nichts, auch wenn zum
Schluss alles genau aufgeklärt und keine Frage offen gelassen wird. Eine
wirklich runde Sache! Ich hoffe sehr, daß die Reihe nun auch in Deutschland fortgesetzt
wird. Für Freunde gepflegter Krimiunterhaltung, mit echten Originalen.
Ich bedanke mich sehr bei Der Audio Verlag, für diese wunderbare
Wiederentdeckung.
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