Schwarze Reichswehr, Gunnar Kunz, Kriminalroman, Gmeiner Verlag
Dies ist ein historischer Krimi, in dem sowohl ein Mord während der
Weimarer Republik 1927/1928, als auch gegen Ende des 1. Weltkrieges im
Mittelpunkt des 6. gemeinsamen Falles des ungewöhnlichen Ermittlertrios der
Familie Lilienthal bestehend aus Philosophieprofessor Hendrik, seiner besten
Freundin Diana, selbst eine Akademikerin und Fliegerin, sowie deren Mann und
Hendriks Bruder Kriminalkommissar Gregor. Weihnachten 1927 wird auf dem
Weihnachtsmarkt ein Mann von einem Weihnachtsmann ermordet. Dank des Kostüms
bleibt der Täter unerkannt. Das Opfer war Gregors Vorgesetzter im 1. Weltkrieg,
ein Sadist und Opportunist, der sich aktuell an der illegalen Wiederbewaffnung
der geheimen schwarzen Reichswehr bereichert. Gregor vermutet den Täter unter
seinen ehemaligen Waffenbrüdern und spürt sie in Berlin auf. Dabei kommen alte
Erinnerungen an einen früheren Mord an einem von ihnen hoch. Wie hängen die
beiden Morde zusammen, denn das dem so ist, davon ist er überzeugt. Doch wer
von ihnen hat wirklich ein Motiv und die Möglichkeit?
Sehr interessant war für mich der Einblick in die illegale
Wiederbewaffnung, die geheimen Zusammenkünfte radikaler Kräfte, die sich nicht
darum scheren, daß sie längst verboten wurden. Darunter auch Dr. Goebbels und
der junge Horst Wessel. Beim Lesen wurde mir wieder schmerzlich bewußt, wie
wenig ich eigentlich über die Weimarer Republik weiß, die wir lediglich 1 mal
in der Schule durchgenommen haben, im Gegensatz zum 2. und 1. Weltkrieg. Diese
Zeit ist unheimlich spannend. Um zu verstehen, wie denn jemand wie Hitler, der
bereits für seine brutalen, rücksichtslosen Aktionen berüchtigt und dessen
Bewegung verboten war, derart mächtig werden und die Macht übernehmen konnte.
Die Zusammenhänge zwischen dem Untergang des Kaiserreichs und dem späteren 3.
Reichs werden sehr gut dargestellt, es wird allerdings auch einiges an
historischer Allgemeinbildung vorausgesetzt. Sehr eindrucksvoll fand ich auch
die Schilderungen von Gregors Erlebnissen in den Schützengräben in Flandern
1917/1918. Die Arroganz der adeligen Offiziere, die Skrupellosigkeit einiger
Ärzte an der Front, die gerade kriegsbedingte Nervenleiden als Simulation oder
Ausdruck einer verweichlichten Konstitution ansahen, ist keine leichte Kost.
Bei aller Faszination, war es für mich nicht als Einschlaflektüre geeignet.
Aber keine Sorge, es ist kein Kriegsroman, daher wird auch noch die
nachfolgende Revolution beschrieben, um die Mächte, mit denen Gregor sich
anlegt plastisch vor Augen zu führen. Neben den historischen Zusammenhängen und
dem Einblick in das Leid der Bevölkerung, fand ich besonders Hendriks
philosophischen Überlegungen interessant. Der feinsinnige Philosoph leidet sehr
an der wachsenden Begeisterung seiner Studenten für nationalistisches
Gedankengut. Diana hingegen kämpft mit der aufkeimenden Hoffnung einer erneuten
Schwangerschaft und Übelkeit. Dennoch ist sie nicht bereit, sich aus den
Ermittlungen heraus zu halten. Eine ungewöhnlich progressive Frau für ihre
Zeit.
Der Kriminalfall hat mich sehr lange im Ungewissen gelassen. Anders als
Kommissar Gregor ging ich nicht zwingend von einem Täter aus dem Kreis der
Kriegskameraden aus. Einmal Sadist, immer Sadist – hätte sich so jemand nicht
in den letzten 10 Jahren eine riesige Zahl von Feinden schaffen können? Gregors
Spürsinn trügt ihn nicht, doch an der Auflösung wird er noch einige Zeit zu
knabbern haben. Ermittlungen ohne die heutigen technischen Möglichkeiten finde
ich immer wieder reizvoll, da hierdurch verstärkt der Blick auf das Motiv und
die Möglichkeit gerichtet wird. Auch ohne Kriminaltechnik kommt es hier zu
überraschenden Wendungen, denn so recht passen die Morde nicht in Gregors Bild
von seinen Kriegskameraden.
Ich bin schon sehr gespannt, wie Hendrik mit der immer engstirnigeren
Gesinnung in Deutschland klar kommen wird, wie eine mögliche Mutterschaft Diana
eventuell verändern wird (ob sie wohl vorsichtiger wird?) und wie Gregor mit
seinen Entscheidungen wird leben müssen.
Bis der 7. Band erscheint habe ich nun noch genügend Zeit, mir die
Vorgängerbände durchzulesen und mein Wissen über die Weimarer Republik auf
spannende und kurzweilige Art und Weise zu erweitern. Die Reihe wird voraussichtlich
von Beginn der Weimarer Republik, bis zu Hitlers Machtergreifung fortgeführt.
Autor Gunnar Kunz wurde 1961 in Wolfsbüttel geboren und hat 14 Jahre an
Theatern als Regieassistent und Regisseur gearbeitet, ehe er sich entschieden
hat, seine eigenen Geschichten zu Papier zu bringen.
Eigentlich fand ich es während des ganzen Lesens einen klaren Fall für 5
Sterne, aber mit Gregors Entscheidungen am Schluß, bin ich nicht ganz
glücklich. Dies ist allerdings eine Geschmacksfrage, die nicht von allen Leserundenteilnehmern
geteilt wird. Daher 4,5 von 5 Sternen.
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