Der Hof der Wunder, Kester Grant, gelesen von Marie Bierstedt,
Random House Audio, 2 MP3 9 h 25 min.
1823 in einem alternativen Paris, in dem die Revolution
gescheitert ist. Der Hof schlemmt, während das Volk weiterhin hungert. Es hat
sich eine Parallelgesellschaft der vom Kömogshof Vergessenen gebildet: Der Hof
der Wunder, nennt sich das Regiment der Verbrecher, es hat ein eigenes Gesetz,
eigene Regeln und eigene Strukturen geglieder in 9 Verbrechensgilden und
Grundsätze. Die zwölfjährige Nina ist ausgemergelt, zierlich und unterernährt,
dafür flink und geschickt, wird sie von ihrem versoffenen Vater Tabernier,
einem Herrn der Diebesgilde für Einbrüche missbraucht und um in seiner Schänke
zu arbeiten. Ihre geliebte Schwester Azelma, die sie anstelle der
durchgebrannten Mutter großzog, ist am Boden zerstört und weint seit Tagen. Sie
vertraut Nina ihrem Geliebten an und empfiehlt ihr sich als Junge zu kleiden
und auf den Schutz des Boten der Gilden, ihres Geliebten zu vertrauen. Der übergibt
sie der Obhut von Thomasis, dem Meister der Gilde der Diebe. Schnell zeigt sich
ihr besonderes Geschick zu klettern und in gesicherte Räum einzudringen. Sie
wird eine Katze und wird unter dem Namen „Die schwarze Katze“ bewundert. Doch
sie vergisst nie, dass ihr Vater ihre Schwester an den grausamen Tiger, den
Meister der Gilde des Fleisches in die Prostitution verkauft hat. Sie überlegt
fieberhaft, wie sie sie befreien kann. Wegen der scheinbaren Aussichtslosigkeit
ihres Unterfangens nimmt sie die schöne und wehrlose, junge Ettie unter ihre
Fittiche. Sie würde alles dafür tun, um sie vor der Gier des Tigers zu
schützen. Diese Mission riskiert nicht nur einen Krieg unter den Gilden,
sondern einen Auffuhr in ganz Paris.
Es beginnt mit einem Zitat aus dem Dschungelbuch und es werden
noch einige folgen, denn für Nina steht das Leben im alternativen Paris 1823
einem Überlebenskampf im Dschungel gleich. Sie als kleines, hilfloses
Menschenmädchen muss lernen, in diesem Urwald zwischen Verbrechen und Maßlosigkeit
zu überleben. Doch erinnert es mich eigentlich mehr an eine alternative
Erzählung von Victor Hugo's „Les Misérables“. Es gibt eine Vielzahl von
Personen und Gesellschaften. Sehr interessant finde ich den alternativen
königlichen Hof kennenzulernen, an dem der Dauphin (Thronfolger) in völliger
Ignoranz des Leids seines künftigen Volkes in Pomp und Überfluss aufwächst. Er
ist unendlich einsam und ahnt nichts von den rücksichtslosen Intrigen seiner
Eltern und deren Beratern. Neben dem Adel geht es dem Bürgertum auch recht
passabel, so dass sich die Studenten den Luxus leisten können, einen erneuten
Aufstand zu planen, der die herrschenden Strukturen beenden soll. Soviel
Idealismus können sich die Elenden der Gilden nicht leisten. Wobei man durchaus
einräumen muss, dass es den Meistern der Gilden nicht an Materiellem fehlt,
doch die Nahrung wird knapp und das bekommen auch sie zu spüren. Es fällt ihnen
schwer ihr Gefolge zu ernähren, Hunger und Verzweiflung zeichnet die Kinder der
Gilden. Einzig Nina gelingt es scheinbar mühelos zwischen all diesen Kulturen
und Strukturen zu wandeln und sich deren Wünsche zu nutze zu machen, in ihrem
Bestreben nach Freiheit für ihre Schwestern. Eigentlich ist in dieser Welt
Freundschaft nicht möglich, da zu gefährlich, doch ist es genau das, wonach
sich viele heimlich sehnen und was sie in Nina sehen. So schart Nina Verbündete
um sich, die sich eigentlich niemals unterstützen würden, doch Nina macht das
Unmögliche möglich.
Zuerst hat mich Ninas allzu leichte Bereitschaft zu stehlen und
ihr Stolz auf ihr Geschick, abgestoßen, ebenso wie ihre scheinbare
Rücksichtslosigkeit. Wieso nur hat ihre Schwester sich für sie geopfert? Doch
Nina ist klug, listig, mutig und loyal. Dadurch hat sie nicht nur Verbündete
erobert, sondern auch mein Zuhörerherz. Aber selbst als ich Nina noch nicht
mochte, war ich irgendwie vom Hörbuch gefesselt und wollte immer wissen wie es
weitergeht. Kann Nina eigentlich schaffen, was sie sich vornimmt, wo es doch
unmöglich ist? Ihre Pläne sind ja nur halbgar und nicht wirklich zu Ende
gedacht, aber da kommt letztendlich immer ihre persönliche Überzeugungskraft
und ihre Fähigkeit sich Verbündete zu machen ins Spiel. Die Unterwelt des Hofes
der Wunder, fasziniert und stößt gleichzeitig ab. Es gibt jede Menge Regeln,
die es zu lernen gibt und Nina lernt schnell, was ihr von viel größerem Nutzen
ist, als es Schönheit wäre. Doch muss sie eine enorme Anziehungskraft dank
ihrer Ausstrahlung und Persönlichkeit haben, so wie ihr das Undenkbare gelingt.
Ich habe mich keine Minute gelangweilt, bisweilen fand ich diese Welt der
Elenden aber sehr hart und grausam.
Die schlanke Pappklapphülle finde ich sehr ansprechend und
geschmackvoll gestaltet. Allerdings hätte ich mich hier eine Übersicht über die
Gilden und auch den königlichen Hof und die Sûreté gewünscht. Gerade bei
Hörbüchern kann man schon mal durcheinander kommen, wobei das auch tatsächlich
eine Frage des Geschicks des Autors ist. Ich hatte mal ein Hörbuch mit einer
unendlich langen Personenliste aller im Hotel Vorkommenden und hatte daher
Hemmungen zu beginnen, habe sie jedoch nie benötigt, es war mir immer klar, um
wen es sich handelte. Hier musste ich während des Zuhörens bisweilen nachdenken
und währenddessen ging die Handlung natürlich weiter.
Marie Bierstedt empfinde ich als hervorragende Wahl! Die Intrigen
am Hof der Wunder werden ausschließlich aus der Sicht der jungen Nina und in
der Ich-Form erzählt. Marie Bierstedt klingt jung, entschlossen,
unwiderstehlich, freundlich, erzürnt und doch auch verletzlich. Ausdrucksstark
unterstreicht sie die Spannung, so sehr, dass ich sie bisweilen kaum aushalten
konnte und erst mal auf „Pause“ drückte. Sie spricht klar und verständlich und
durch die zahlreichen Tracks, kommt man immer wieder gut an die letzte Stelle
zurück. Der Sound ist kristallklar und gut ausbalanciert.
Ein wirklich guter und spannender Start in eine neue
Fantasy-Triologie, bei der ich auf die Fortsetzung gespannt bin.
Ich bedanke mich ganz herzlich bei Random House Audio und
Lovelybooks für das Hörexemplar.
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