Grado im Sturm, ein Adria Krimi, Andrea Nagele, Emons Verlag
Es liegt eine unerträgliche Hitze über Grado. Es weht kein
Lüftchen.Als dann doch ein Gewitter heran bricht, fällt der Strom aus. Der 14
jährige Emmanuele ist währenddessen gerade in einem kleinen Supermarkt und
belauscht ein Gespräch, dass ihm trotz der Hitze das Blut in den Adern
gefrieren lässt. Hat er da wirklich eine Morddrohung mitangehört? Eilig rennt
er zur Polizei, um von dem Belauschten zu berichten, doch er wird als Dieb
bezichtigt, seine Aussage und Daten nicht aufgenommen und er fortgeschickt. Am
nächsten Mittag ist wird der Junge von seiner Mutter als vermisst gemeldet und
die Dienststelle hat ein echtes Problem. Während Maddalena mit Nachdruck nach
dem Vermissten sucht, versucht ein passionierter Meteorologe eine Sturmwarnung
zu verbreiten. Doch sein Chef meint, er würde die Bevölkerung nur unnötig in
Schrecken vor einem Jahrhundertsturm versetzen, der nur in seiner Fantasie
aufzöge und nimmt die Warnung aus dem Netz. Eine deutsche Familie baut ihr Zelt
nahe der Lagune auf. Eine Krankenschwester geht endlich ihrem persönlichen
Albtraum nach und stellt sich der Vergangenheit, ohne zu ahnen, was sie damit
lostritt. Der Wellnessurlaub von zwei alten Schulfreunden, läuft alles andere
als entspannt...
Dies ist der 4. Band um die attraktive Commissaria Maddalena
Delgrassi aus Grado, mit dem sehr eigenwilligen Chef, der mittlerweile mit
ihrer Mutter verbandelt ist. Für mich war es der Einstieg, der problemlos
gelang, auch wenn mir bei der Lektüre bewusst wurde, dass es einige
Komplikationen aus ihrem Privatleben gibt, die ich nicht kenne, die soweit
erforderlich angerissen werden, aber nicht so weit ausgeführt werden, dass man
keine Lust mehr auf die Vorgängerbände bekommt.
Jedes Kapitel wird aus einer anderen Sicht geschildert, von Paaren
oder Familien, die scheinbar nichts verbindet, außer, dass sie derzeit eine
persönliche Krise durchleben. Man spürt dadurch wie sich der Sturm in ihrem
Innern zusammenbraut, während sich das Wetter dem Siedepunkt nähert, von den
meisten unbeachtet. Zu sehr sind sie in ihren eigenen Sorgen und Gedanken
verhaftet. Das ist eine ungewöhnliche Erzählweise, auch weil sich der Mord erst
anzukündigen scheint, aber keine Leiche auftaucht, deren Herkunft geklärt
werden müsste. Ein Krimi ohne Tat, nur mit vibrierender Vorahnung in der Luft?
Mit dem Sturm scheint sich der Zorn Gottes zu entladen und es
kommen ungeahnte Leichen ans Licht, während sich andererseits persönliche
Krisen Bahn brechen. Ein Gewitter kann reinigend sein, dieser Tornado richtet
Verwüstung an.
Am Ende fügt sich alles für den Leser zusammen. Die Ermittler
haben einen Plan und eine Ahnung, die Feinheiten werden sich noch
zusammenfügen, dessen ist man sich gewiss, das Wie wird der Vorstellungskraft
des Lesers überlassen, weil dies eigentlich nur noch langweilige Routine ist.
Das Spannende, die persönlichen Verwicklungen und Triebfedern sind offenbart.
Das Unwetter bringt nicht nur alte Sünden zu Tage, sondern offenbart auch die
Abgründe der menschlichen Seele, die nicht immer nur schlecht sind. So werden
einige zu Helden, denen man es nie zugetraut hätte, während andere, sich
zeitlebens nach dieser Nacht vor sich selbst fürchten werden, da sie wissen,
wozu sie in der Lage sind.
Die Autorin hat nicht nur ihren Zweitwohnsitz in Grado und spricht
fließend Italienisch, sie ist auch
Paartherapeutin und kennt sich daher mit disfunktionalen Beziehungen und
menschlichen Miseren bestens aus.
Dieser Krimi bezieht seine Spannung aus der Atmosphäre des
aufziehenden Unwetters, dass mit den persönlichen Krisen der zahlreichen
Protagonisten korreliert. Ähnlich einer griechischen Tragödie spitzt es sich
zu, doch endet es nicht für alle schlecht. Einige werden gelöst und erlöst aus
diesem Sturm hervorgehen und andere werden innerlich zerstört sein.
Die Commissaria hat ihre eigenen Grenzen kennengelernt, ihre
Prioritäten erfahren und wird nun auch mit den übrigen Unannehmlichkeiten des
Lebens klar kommen. Diese vermögen ihr aber nicht den Genuss am Leben zu nehmen
und daher gibt es zum Abschluss noch ein Rezept für mehr Adria Feeling:
Spaghettoni aus Gragnano mit Lagunen-Sardinen und wildem Fenchel.
Ein psychisch sehr eindrucksvoller und außergewöhnlicher Krimi.
Ich bedanke mich ganz herzlich beim Emons Verlag für mein
Rezensionsexemplar.
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