Die Tote vom Titlis, Monika Mansour, Emons Verlag
Dies ist der 5. Fall des türkisch/schweizerischen Mordermittlers Cem Cengiz
vom Luzerner Morddezernat (oder
Abteilung Leib und Leben, wie es korrekt heißt). Nach Lilas spektakulärer
Flucht sind Cem und Staatsanwältin Eva sich nicht nur näher gekommen, sondern
haben auch kurzentschlossen geheiratet. Ihr Flitterweekend (mehr Zeit bleibt
nicht) verbringen sie in einem Luxushotel in Evas Heimatkanton. Zur Krönung des
Wochenendes soll Cem sie mit der Kabinenbahn auf den Titlis begleiten. Der
Türke in ihm, fühlt sich nicht vom Berg gerufen, sondern beäugt misstrauisch
das aufziehende April-Unwetter über den Gipfeln. Dort oben ist Ausnahmezustand.
Eine Schicki-Micki-Hochzeit ist ausgerechnet in der Eisgrotte geplant und ihr
Benehmen ist schon vor dem Großevent so selbstverliebt, daß Cem und Eva über
ihre eigene bescheidene Feier und echten Freunde beglückt sind. Bis sie einen
Schuss aus der Eisgrotte hören. Sofort schalten sie von Romantik auf
Berufsmodus um, sammeln die Handys aller Gäste ein, evakuieren den Tatort zur
Spurensicherung, nehmen die Personalien auf und bringen Umstehende vom Berg.
Doch das Unwetter kommt schneller als die Unterstützung aus dem Tal. So bleiben
die frischvermählten Ermittler mit zwanzig Gästen und dem Personal auf dem
Titlis zurück. Ein Albtraum wird wahr, denn es ist nicht alles Gold was glänzt
und ein Mord, bleibt selten allein.
Ein Szenario das stark an Agatha Christie erinnert, mit einer ihr
ebenbürtigen Auflösung, aber mehr Gewalt und Spannung. Dies ist kein Cosy-Crime
trotz Hochzeitsgesellschaft. Der Berg ruft, aber nicht zum Tanz. Bereits von
Anfang an spürt man die Spannung in der Luft, schon als Cem ganz zu Beginn mit
einem Rüpel vor dem Hotelzimmer zusammen stößt. Bereits auf S. 30 fällt der
erste Schuss und in dem rasanten Tempo geht es weiter. Statt eines kuscheligen
Honeymoon-Weekends erwartet Cem und Eva ein klaustrophobisches Wochenende, bei
dem die Nerven aufs äußerste gespannt werden. Das gilt auch für den Leser.
Hinter meinem Sitz fuhr ein Krankenwagen (ohne Blaulicht) her und ich habe es
nicht gemerkt, obwohl ich ihn erwartet habe. So versunken war ich in das Drama
auf dem Titlis.
Das Einzige was mich etwas störte: Die Cousins der Braut sind eineiige
Zwillinge. Forensisch betrachtet ein Albtraum, da sie identische genetische
Fingerabdrücke haben, jedoch sind ihre echten Fingerabdrücke nicht identisch.
Auch haben sie unterschiedliche Charaktere, die sich im Gesichtsausdruck
widerspiegeln. Auf den ersten Blick ist es stets schwierig, sie zu
unterscheiden, aber wer eineiige Zwillinge besser kennt, dem wird es immer
gelingen, sie auseinander zu halten, das ist bei uns nicht nur Familie und
Freunden geglückt, sondern auch Lehrern. An diesem Punkt schwächelt die
Geschichte leider. Diese Zwillinge kleiden sich identisch und führen seit 20
Jahren ihre Mitmenschen an der Nase herum. Dafür gefällt es mir sehr gut, wie
Monika Mansour es gelingt, dem Leser das in den Köpfen der Gesellschaft
verankerten Misstrauen gegen Ausländer vorzuführen. Der Koch der Bergstation
ist Syrer und jeder, bis auf seine Kollegen, die ihn besser kennen, ist
versucht daran zu glauben, daß dieser in dieses Netz aus Intrigen, Verbrechen
und Boshaftigkeit verstrickt ist. Bei dieser Hochzeitsgesellschaft ist nicht
alles so wie es scheint. Die Charaktere sind mehrschichtig und bisweilen
scheinen sie unergründlich zu sein. Wem können Cem und Eva vertrauen? Wen
können sie um Kooperation bitten? Unschuldig kann eigentlich nur sein, wer neben
ihnen stand, als sie den Schuss hörten. Auch bei nachfolgenden Taten scheint es
unter derartigen Aspekten Ausschlusskriterien zu geben. Im Übrigen muss sich
Cem auf sein Bauchgefühl verlassen, denn als Täter kommt eigentlich nur ein
Mitglied der Hochzeitsgesellschaft in Frage, womit die Mitarbeiter entlasten
wären und zur Kooperation geeignet. Denn wie sollen Cem und Eva es alleine
schaffen, die immer unruhiger werdende Meute in Schach zu halten? Als noch eine
2. Leiche gefunden wird, wird die Lage noch verworrener und es ist klar, daß
sie alle in Gefahr sind.
Die Auflösung entspricht wieder der meisterlichen Agatha Christie,
allerdings mit mehr Action und Spannung. Der Täter hatte in seinem Plan alle
möglichen Pannen und Probleme mit einbezogen, nur nicht die Möglichkeit, daß
ein Kommissar einer Mordkommission und eine Staatsanwältin sofort vor Ort sein
würden, um das Ruder an sich zu reißen. Neben der emotionalen
Ausnahmesituation, die man mit Cem und Eva durchlebt, macht die Ungewissheit
Cems Kollegen wahnsinnig. Sie wollen eingreifen und unterstützen, aber das
Wetter und der Berg haben andere Pläne. Fast zu Untätigkeit verdammt, setzt
dies innerhalb des Teams bemerkenswerte Kräfte und Entwicklungen frei.
Monika Mansour ist Schweizerin und das merkt man nicht nur bisweilen an den
verwendeten Ausdrücken, die z.T. hinten im Glossar erklärt werden, es werden
auch bisweilen Verben reflexiv benutzt, die im Hochdeutschen nicht reflexiv
sind. Auch einige juristische (wahrscheinlich) Begriffe ließen mich rätseln,
ich konnte nur schlussfolgern, daß der geladene Schauspieler ein
Insolvenzverfahren am laufen hat oder eine Vermögensauskunft abgelegt hat. Es
spielt keine große Rolle für die Auflösung des Falles, unterstreicht aber noch
einmal das Lokalkolorit der Schweiz.
Man kann diesen 5. Fall ohne weitere Vorkenntnisse lesen, aber ich würde es
dennoch nicht empfehlen. Zum einen lohnen sich die vorherigen 4 Fälle auf jeden
Fall und die persönlichen Feinheiten machen in der richtigen Reihenfolge
einfach mehr Spaß. Am Ende dieses Buches werden Cem und Eva von ihrer
Vergangenheit eingeholt und somit kündigt sich anscheinend schon der nächste
Fall an. Der offensichtlich politisch brisant, sehr persönlich und
lebensgefährlich werden wird.
Fazit: unbedingt lesen, wieder absolut fesselnd und spannend und für
diejenigen, die gerne Klatsch- und Tratschgeschichten in Illustrierten lesen,
ein extra-Schmankerl wie sich diese selbst ernannte bessere Gesellschaft nahezu
selbst zerfleischt.
Ich bedanke mich ganz herzlich beim Emons-Verlag für diesen nervenzehrenden
Krimi und freue mich schon auf die Fortsetzung.
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