Die Reise des weißen Bären, Susan Fletcher, gesprochen von Julian Greis,
Goyalibre
Im Norwegen, Anfang des 13. Jahrhunderts reißt der 12-jährige Arthur von zu
Hause aus, da er seine Stiefbrüder und seinen Stiefvater nicht mehr erträgt. In
der Stadt Bergen kommen ihm langsam Zweifel, ob die Entscheidung richtig war,
als ihn der Hunger quält und er vor aller Augen einen Hasenbraten stiehlt. Der
flieht, doch seine Flucht endet in einem Lagerhaus, wo er umzingelt wird, so
daß er sich in den dortigen Käfig rettet. Darin wird ein Eisbär gehalten, der
als Geschenk des Königs von Norwegen an den König von England gedacht ist.
Erstaunlicherweise greift der weiße Riese ihn nicht an. So wird er als Strafe
als Eisbärpfleger mit an Bord genommen und ist den Launen der Mannschaft und
des Tieres völlig ausgeliefert. Während der Überfahrt, knüpfen Tier und Junge
ein immer festeres Band und der Bär erweist sich als weniger gefährlich, als
einige der Matrosen und der übrigen Gefahren des Meeres.
Obwohl es sich um ein Jugendbuch handelt, ist es dennoch sehr ernst, was
nicht nur, an der nicht artgerechten Haltung des Tieres liegt. Das Leben damals
war viel rauer und härter, der tägliche Kampf ums Überleben für die meisten
alltäglich. Daher ist es gut, daß bereits der Prolog verrät, was für damalige
Seefahrten nicht selbstverständlich ist: sie erreichen ihr Ziel, angeschlagen,
aber noch enger mit einander verbunden, bis an ihr Lebensende. Beide sind ihr
Leben lang gezeichnet, von den Torturen und Gefahren, welche dies im Einzelnen
waren, erzählt Julian Greis einfühlsam und bewegend. Obwohl er älter als 12
Jahre alt ist, klingt das Ensemblemitglied des Thalia Theaters Hamburg jung,
schafft es aber auch gut, den Part des alternden Schiffsarztes, der sich als
immer mal wieder schützend von Arthur stellt. So verbindet auch diese zwei,
trotz gewisser Animositäten ein immer festeres Band, insbesondere als Arthur
dessen Geheimnis errät und sie so einander ohne Worte helfen können. Da die
Geschichte auf historischen Ereignissen beruht (leider ist mir unklar, was
außer dem Eisbärengeschenk noch historisch belegt ist) bleibt ihnen keine der
damals üblichen Gefahren erspart. Weder Unwetter, noch Piraten und drohender
Schiffsbruch an ungeplanten Ufern. Dort trifft Arthur auf so ziemlich die
einzige weibliche Figur des Abenteuerromans, bis auf die lediglich erwähnte
Mutter, die er verließ. Denn die Seefahrt war reine Männersache und Frauen an
Bord brachten dem Aberglauben nach Unglück.
Neben den Kämpfen, den Piraten und den Gefahren bekommt der Hörer Einblick
in Arthurs Gefühlswelt, seine Sorgen und Nöte, warum er die Gesellschaft des
Bären, der der Menschen, vorzieht. Auf diese Weise erfährt man mehr über das
damalige Verständnis von Familie, Erbschaftsansprüchen, deren Nachweise und Ansprüche
auf Ländereien. Denn auch wenn Arthur etwas kopflos weglieft, so war er doch
nicht ohne Ziel, sein Plan war lediglich nur so weit durchdacht, wie man es von
einem 12 Jährigen erwarten kann.
Susan Fletcher, ist eine ungewöhnliche Geschichte gelungen, die auf Pathos,
Kitsch und Glücksseeligkeit verzichtet. Die Geschichte ist rau so wie die
Zeiten damals, auch wenn Arthur und der Bär England lebend erreichen, so gehen
doch nicht alle Träume in Erfüllung, die Realität beugt sich nicht immer den
Wünschen und Träumen. So ist diese Geschichte auch traurig und verzichtet auf
das klassische Happy End. Kritische Töne und Realitätssinn werden vom Hörer
verlangt, wer nicht bereit ist, sich mit den Härten des Lebens auseinander zu
setzen, sollte wohl ein glattgespülteres, weniger kritisches Hörbuch wählen.
Dennoch wird das Abenteuer auf See und die Freundschaft zwischen Junge und
Raubtier sicherlich viele Jungen und auch einige Mädchen (Tiere gehen immer,
haben mir meine Töchter und deren Freundinnen versichert) begeistern, eben
gerade weil es so anders, so ungewöhnlich ist.
Wir bedanken uns ganz herzlich beim Jumbo/Goya libre Verlag für dieses
außergewöhnliche Rezensionsexemplar.
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