Der Wal und das Ende der Welt, John Ironmonger, ungekürzte Lesung Johann
von Bülow, Argon Verlag
In dem abgelegenen kleinen Fischerdorf St. Piran in Cornwall herrscht
Aufregung: Mit der Flut wurden ein Wal und ein nackter junger Mann angespült.
Mit vereinten Kräften beleben die 307 Dorfbewohner den jungen Joe, der auf die
Rettung des gestrandeten Wals drängt. Das Schicksal des Wals erscheint diesem
untrennbar mit seinem verknüpft. Doch was hat den jungen, erfolgreichen
Analysten aus der City ins Wasser getrieben? Nach und nach gibt er Preis, daß
er an der Entwicklung eines Analyseprogramms namens Cassandra, kurz Cassie,
mitgewirkt hat, daß absolut sichere Zukunftsprognosen für die nächsten Tage
treffen kann. Doch es wurde manipuliert und kann nun nicht mehr gestoppt
werden. Auf die Menschheit rollt die Apokalypse zu und er fühlt sich schuldig
und benutzt. Joe warnt die Bewohner, fühlt sich aber selbst wie die Antike
Seherin, der niemand Glauben schenken wollte. Die Dorfbewohner sind ihm mittlerweile
ans Herz gewachsen, viel mehr, als sonst jemand, seit dem Tod seiner Mutter.
Also beschließt er seine Retter zu retten und selbst Vorkehrungen für die
nahende Katastrophe zu treffen. Erst wird er skeptisch und ein wenig mitleidig
beäugt, aber dann...
Ich hatte keine klare Vorstellung von dem, was mich erwarten würde, aber
ich mag die Stimme von Johann von Bülow und seine Wandelbarkeit, auch die
Aufmachung sprach mich auch an. Zumindest würde es mal was anderes sein. Das
war es auch, auch wenn ich nichts erwartet habe, war ich nicht auf das gefasst
was kommen würde. Zuerst war ich akustisch erschlagen, von der unglaublichen
Personenvielzahl z.T. mit cornischen Namen, Familienmitglieder und Mitarbeiter
der Londoner City. Beim Hören eine Überforderung, bei der es wirklich hilft das
beiliegende Booklet mit Personenverzeichnis vor dem ersten Hören und nach oder
während der ersten CD zu hören. Es sind so viele, da lohnt es sich, die Liste
mal schnell mehrfach durchzugehen. Nachdem ich das Personenkonsortium für mich
sortiert hatte, packte mich die Geschichte mit ihren doch bisweilen sehr
eigenen Charakteren. Was ich von Joe halten sollte war mir anfangs nicht so
klar, aber in diesem Dorf ist wie auch sonst im Leben. Es lassen sich nicht
immer alle in Schubladen von Gut und Böse einteilen, die einen sind mal so, mal
so, wie es das Leben halt gerade mit sich bringt. Gerade in ihrer Ausgestaltung
liegt für mich die absolute Stärke der Geschichte.
Das Dilemma in welchem Joe sich befindet, mutet aber erschreckend real an.
Die Macht und den Einfluss von Prognoseprogrammen auf den Weltmarkt mag ich mir
nicht vorstellen. Doch bei nahender Apokalypse, denken die meisten eher an
Atomkatastrophen, Krieg, Klimakatastrophe, aber so was alljährliches wie die
Grippe? Und doch sterben jedes Jahr Millionen Menschen weltweit an ihren
Folgen.... und es gibt nie genügend Schutzimpfungen für alle und auch hier kann
die Prognose, wie sich der diesjährige Erregerstamm entwickeln wird, irren.
Dann gibt es keinen Schutz. Oder doch? Was wäre, wenn man in einem Dorf am Ende
der Welt leben würde, ist das heute noch möglich? Was wäre bei völliger
Isolation und Quarantäne das größte Problem? Die Nahrung, mangelnder Strom,
fehlendes fließendes Wasser, Dorfkoller? Die Hürden und Schwierigkeiten sind
mannigfaltig. Welche dieser Probleme sind lösbar und welche eigentlich eher
unbedeutend und wie spielt der menschliche Faktor eine Rolle? Immerhin kennt in
einem Dorf jeder jeden und das auch schon seit Ewigkeiten. Die menschliche
Komponente des gestrandeten Fremden in einer festen, alteingesessenen
Gemeinschaft inmitten einer Katastrophe ungekannten Ausmaßes und
unvorhersehbarer Dauer macht diese Geschichte so fesselnd. Wie würde man selbst
reagieren? Würde man über sich hinauswachsen oder zum absoluten Egoisten
mutieren? Welche Rolle spielt der Wal, der immer wieder mahnend in der Bucht
auftaucht? Nicht nur der streng logische Analyst verändert sich und erstaunt
sich selbst. Die Dorfgemeinschaft überrascht den Trader und den Hörer und gibt
Hoffnung auf die Menschlichkeit der Menschheit, in Zeiten, in denen es nicht
selbstverständlich ist. Doch ist Joe nicht einfach eine strahlende Gestalt, er
ist bisweilen auch etwas naiv. Man lernt aber auch seine Hintergründe kennen
und die Analystin des Dorfes, durchschaut ihn besser als er die Märkte und sich
selbst. Das macht sie unglaublich sympathisch auf schmunzelnde Art und Weise
und dennoch lässt mich das Ende ein wenig ratlos zurück. Es ist wirklich ein
hoffnungsfrohes Ende. Aber sind die Menschen tatsächlich so? Schön wäre es, ich
bin da ein wenig unschlüssig. Während mich nach einem etwas überforderten
Anfang das nahende Ende der Welt und seine möglichen einzigen Überlebenden
wirklich fesselten und bannten, so machte mich das Ende etwas ratlos. Ist es das
Ende, dass ich mir gewünscht hätte? Ich weiß es nicht, es macht mich zumindest
nachdenklich und wird mich diese Geschichte nicht so schnell vergessen lassen,
Cornwall und sein Wal werden noch eine Weile durch meine Hirnwindungen spuken.
Dennoch dämpft es meine zwischenzeitliche absolute Begeisterung für diese
mahnende Vision.
Johann von Bülow liest absolut fesselnd und wandelbar. In seiner
Unaufgeregtheit spürt man die erdende Ruhe Cornwalls, mit seinen tiefen Wurzeln
und noch tieferen Gefühlen, die überraschen und vor allen Unwägbarkeiten Halt
bieten. Seine Stimme klingt diesmal erstaunlich mild und weich und gar nicht so
tief und gebieterisch bestimmend, wie man es von ihm bisweilen kennt. Kein
Hauch von Sherlock Holmes ist in der Stimme zu hören, sondern Mitgefühl und
Ratlosigkeit. Es ist überraschend und dennoch glaubhaft zu hören.
Die Aufmachung in einer soliden Pappbox mit 3 MP3 und einem Booklet finde
ich sehr ansprechend, haptisch angenehm und sehr edel.
Ein wirklich besonderes Hörbuch mit kleinen Schwächen.
Ich bedanke mich ganz herzlich bei der Hörrunde auf Lovelybooks.
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