Toi, toi, tot! Ein Hamburg Krimi, Ronny Rindler, books2read
In Hamburg, kurz nach der Premiere des neuen Musicals „Spring!“ im
Operettenhaus, springt ein junger Mann singend und tanzend vor eine einfahrende
U-Bahn, in der Station Rathaus. Als eine weitere Musicalbesucherin sich aus dem
Fenster stürzt steht für das Boulevard Blatt Blitz! fest: dieses mieseste
Musical aller Zeiten, über Selbstmordgedanken, treibt die Zuschauer in den
Suizid. Nur Beeke, die Schwester des ersten Opfers, der nur durch großes Glück
überlebte und die als Pförtnerin im Operettenhaus arbeitet, hegt Zweifel an der
These. Ihr Bruder Jan hatte überhaupt keinen Grund sich das Leben zu nehmen, er
war doch eigentlich mit ihr verabredet gewesen und wollte ihr unbedingt etwas
erzählen. Dabei klang er eigentlich total glücklich und alles andere als
lebensmüde. Doch je mehr sie ihre Nase in die Vorkommnisse steckt, desto
verworrener und unheimlicher wird es ihr. Was verbirgt Jan vor ihr? Was wollte
er ihr eigentlich unbedingt erzählen? Im Dunstkreis der Musicalproduktion ist
jeder verdächtig, denn jeder kämpft um seine Wünsche und Träume. Wider Erwarten
erhält Beeke Unterstützung bei ihren Ermittlungen von dem einstigen Star der
Show, der mittlerweile unter geheimnisvollen Umständen ausstieg und nun eine
Ausbildung in der Uniklinik zum Pfleger in der Psychiatrie macht. Noch ein
Rätsel mehr für Beeke.
Ein sehr reizvolles Setting für die Ermittlungen, ein Blick hinter die
Fassade einer großen, teuren gehypten Musicalproduktion. Man bekommt nicht nur
einen Eindruck von dem Aufwand, der für immer neue Besucherrekorde sorgen soll,
sondern auch davon, daß bisweilen es nur um Sensation und weniger um den Inhalt
geht. Immer wieder spukt der Refrain der Erkennungsmelodie der Show durch die
Köpfe der Protagonisten und durch die Seiten. Schnell, schrill, laut und auf
Dauer nervenzermürbend! Das gibt einen sehr guten Eindruck von der wirklich
hundsmiserablen Qualität des Stückes wieder, hat aber bisweilen auch deutlich
an meinen Nerven gezerrt. Der Cast und die Technik-Crew sind sehr eigenen.
Jeder scheint seine Geheimnisse zu haben und fast jeder gerät in den Fokus von
Beekes Verdächtigungen oder zumindest ihrer Abneigung. Beeke selbst ist ein
interessanter Charakter. Anfang 30, attraktiv ziemlich gut trainiert, wollte
sie eigentlich Stuntfrau werden, bis ihn ihrer Ausbildung ihre damals beste
Freundin verunglückte und vor ihren Augen starb. Diese Angst, dieses Gefühl der
Hilflosigkeit ließ sie die Ausbildung abbrechen und sich hinter der Pforte des
Operettenhauses verkriechen. Doch ihre Instinkte sind nun wieder erwacht und
ihre draufgängerische Ader auch. Oft nervt es mich in Thrillern, wenn
Privatpersonen ermitteln, spontan, aus der Situation heraus und sich dabei
quasi als Superhelden entpuppen. Bei einer Stuntfrau machen aber viele
Qualitäten einer guten Ermittlerin Sinn (klar, man denke nur an Colt Seavers,
den legendären Kopfgeldjäger aus den 80ern) und sind plausibel. Ebenso
nachvollziehbar der degradierte Polizeiobermeister, an seinem letzten
Arbeitstag vor der Pensionierung. Er ist nun vogelfrei, ihm kann keiner mehr
was sagen und er folgt seinem Bauchgefühl. Sönke, der ehemalige Musicalstar ist
da schon ein undurchsichtigerer Charakter, der viele zu höchst unsympathische
Eigenarten mit sympathischen Verhaltensweisen kombiniert. Er vermag beim Lesen
zu polarisieren und zweifeln lassen. Das Motiv ist so unklar, wie auch die
Frage, ob überhaupt ein Verbrechen vorliegt, oder ob es nicht doch nur Zufälle
sind. Der Showdown ist sehr rasant, das Motiv wirklich überraschend, aber
durchaus plausibel. Man muß genau lesen, um einigen Spuren nachgehen zu können.
Da ich sehr genau gelesen habe, habe ich aus einen speziellen Grund den
Täter/die Täterin ausgeschlossen. Dieser Punkt ist aber ansonsten niemandem in
der großen Leserunde aufgefallen, was wahrscheinlich an meinem sehr speziellen
optischen Wahrnehmungsvermögen liegt (ich bin ziemlich gesichtsblind).
Autor Ronny Rinder ist selbst gelernter Musicaldarsteller und kennt sich
daher bestens in der Welt aus, über die er schreibt, dadurch kommen selbst die
extremsten Personen immer noch überzeugend rüber. Lebendig, facettenreich,
etwas überdreht, aber niemals eindimensional, eben voll das Leben.
Spannend und überraschend anders, aber auch etwas sprunghaft, was mir den
Einstieg erschwerte.
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