Luftpiraten, Markus Orths, gelesen von Axel Prahl, cbj audio, 5
CDs 5 h 47 min.
Luftpiraten haben eine graue Haut, Flügelfüße, sind schlecht
gelaunt und ziemlich aggressiv, ohne Streit und Kämpfe fühlen sie sich nicht
wohl. Entsprechend fällt bei ihnen der Schulunterricht aus, bei dem sie auch
lernen, aus einem Auge mächtige Blitze zu schießen. Alle Luftpiratenkinder
werden am gleichen Tag „geliefert“ und sind somit immer gleich alt und werden
mit einem Jahr eingeschult. In ganz seltenen Fällen, wird versehentlich ein
weißes Luftpiratenkind geliefert, dass unmittelbar nach seinem Erhalt zu
ertränken ist! Ein solches Kind wird ausgerechnet dem größten Polterer und
Donnerer Luftpiratenlehrer Adiaba geliefert, der sich fürchterlich erschreckt,
den kleinen freundlichen und friedfertigen Kerl aber sofort ins Herz schließt.
Also gibt er ihm den Namen Zwolle, besorgt ihm den blauen Luftikus Caspar als
Gesellschaft und versteckt ihn, ohne ihm zu verraten warum. Doch Zwolle fragt
sich, wohin sein Vater morgens immer geht. Als er einen Weg aus dem heimischen
Luftloch entdeckt, überschminkt er seine weiße Haut und macht sich auf in die
Schule, ausgerechnet zur Einschulungs- und Abschlussfeier, die er gehörig
durcheinander wirbelt. Damit nicht genug, als er enttarnt wird, hat er die
Gelegenheit allen zu zeigen, was in ihm steckt.
Ich bin durch die zauberhaften Illustrationen und die vielen
begeisterten Rezensionen auf diese ab 8 Jahren empfohlene Geschichte aufmerksam
geworden. Das Hörbuch ist auch wirklich ausgesprochen liebevoll gestaltet. Das
Klappcover lässt sich wie ein Panorama aufklappen und die Illustration wird auf
dem jeweiligen Tonträger fortgeführt, so dass diese den optischen Eindruck als
Ganzes nicht unterbrechen. Das hat mir außerordentlich gut gefallen. Auch finde
ich die philosophischen und gesellschaftskritischen Gedanken, sowie den
bisweilen etwas sarkastisch-zynischen Humor für Erwachsene reizvoll und
wirklich ungewöhnlich, aber für die Zielgruppe ab 8 Jahren unpassend.
Zwolle ist absolut liebenswert und in den meisten Gestalten, denen
er begegnet, fördert er ihre besten Eigenschaften zu Tage und macht ihnen
bewusst, dass anders zu sein, gar nicht schlimm ist, im Gegenteil ist es eine
Bereicherung. Gerade auf seine doch sehr laute und megaagressive Mitschülerin
Franka hat er einen sehr positiven Effekt, als er ihr das Konzept der Hilfe,
Rettung und Freundschaft nahe bringt und dabei großen Mut und Einfallsreichtum
beweißt. Gar nicht hat mir jedoch gefallen, daß die erwachsenen Luftpiraten so
gewaltbereit sind, dass eine größere Ansammlung von ihnen an einem Ort und
einer Stelle, nur unter Einsatz von Drogen vertretbar ist und sie lediglich
berauscht/zugedröhnt (nein, es geht nicht um Beruhigungsmittel und ruhig) es
miteinander ohne Katastrophe aushalten. Dies ist nicht nur kurz am Anfang so,
dieses Mittel taucht mehrfach im Laufe der Geschichte auf und mag für
Erwachsene lustig sein, für Kinder finde ich es so unkritisch, wie es hier
präsentiert wird, unverantwortlich. Als Erwachsener mag man Schmunzeln, wenn
man bedenkt, dass ja auch bei uns bei Feiern, die Großen meistens alkoholisiert
sind, aber selbst das finde ich in einem Kinderbuch als Botschaft untragbar,
daß Erwachsene sich untereinander nur im Rausch ertragen.
Als Adiaba der Prozeß gemacht wird, bekommt er einen
Pflichtverteidiger beigeordnet, Charley Gottchen. Charley hält sich für den
Allmächtigen und ist unsichtbar, er ist lediglich eine Stimme, die sich mal
geruht sich zu äußern und bisweilen stumm bleibt. Charley kommt immer wieder
vor und hat eine tragende Rolle, dabei ist er ziemlich abgedreht und bisweilen
fragt man sich, ob er nicht übergeschnappt oder größenwahnsinnig ist. Es wird
die Frage aufgeworfen, was ein Wesen ohne Körper ist. Existiert er überhaupt,
wenn man ihn nicht sieht? Für Erwachsene finde ich diesen Pseudoverteidiger
eine wirklich tolle Parodie auf einige Unrechtsstaaten, aber ich habe so meine
Zweifel, daß Achtjährige über genügend Kenntnisse hinsichtlich des
rechtsstaatlichen Prinzips verfügen. Für mein Empfinden wird hier Glaube
lächerlich gemacht und durch den Kakao gezogen. Charley hat auch seine
Heldenmomente, ist aber sicherlich nicht allmächtig und keine göttliche Macht.
Bei den wirklich interessanten Überlegungen über sein Sein, Dasein und Wirken,
wird für mich die Substanz des Glaubens als des Nichtbeweisbaren negiert und
als absurd dargestellt. Mit so atheistischen Gedanken rechnen Eltern nicht in
einem Kinderbuch und gläubigen Eltern wird das auch sicherlich nicht recht
sein, während es für Atheisten vielleicht sehr willkommen ist. Ich würde hier
eine Kennzeichnung erwarten. Bei Lovelybooks werden christliche Leserunden mit
einem entsprechenden „Warnhinweis“ versehen, um Atheisten zu „schonen“ hier
fände ich eine entsprechende Warnung ebenfalls notwendig, für alle
Glaubensrichtungen.
Ein weiteres Problem sehe ich in der Gewaltbereitschaft, gegen die
sich Zwolle sehr positiv abhebt und bei der der stahlend weiße Luftpirat ein
wirklich strahlendes Vorbild abgibt. Dennoch empfinde ich die Grundstimmung
bisweilen als zu gewaltgeladen. Dies ist gerade in der Hörbuchfassung deutlich.
Axel Prahl donnert, faucht und poltert, dass es einem durch Mark und Bein geht!
Das ist absolut passend für diese Passagen. Ich wollte das Hörbuch als Gute-Nacht-Geschichte
hören und bin richtig zusammengezuckt. Daher habe ich das Hörbuch später in der
Küche weitergehört und erntete erstaunte Blicke meines Mannes. Dieser erkannte
natürlich sofort die Stimme von Axel Prahl, aber in dem Moment ging es echt zur
Sache! Es gibt aber gerade bei den philosophischen Passagen auch ruhige
Momente, in denen Axel Prahl gekonnt seine Stimme variiert. Zwolle spricht er
viel sanfter, Caspar sehr fröhlich und Charley Gottchen einfach abgedreht. Es
ist eine wahre Schauspielkunst der Stimmbänder, die mir allerdings zu starke
Lautstärkeschwankungen aufweist. Die Klangqualität ist 1a und unter den
einzelnen Tonträgern findet sich die Trackliste mit den Kapitelüberschriften,
die den schnellen Wiedereinstieg erleichtern. Die Tracks sind angenehm kurz,
was sehr hilfreich ist, wenn der CD-Player nicht über die sogenannte
Hörbuchfunktion verfügt.
Nun ist dieses Hörbuch damit nicht schlecht, ich kann es nur nicht
guten Gewissens für Kinder empfehlen und habe es daher auch nicht meinen Kindern
gegeben.
Die Geschichte zeichnet sich durch wirklich originelle Einfälle,
wunderschöne Zitate, einen ungewöhnlichen Plot und eine fabel-märchenartige
Erzählweise aus. Es ist absolut kein 08/15 Buch, sondern absolut durchdacht und
geistreicht. Die Botschaft ist aktuell und wichtig, dass man nicht so sein
muss, wie alle anderen, um liebenswert zu sein und es wichtig ist, andere erst
einmal richtig kennen zu leren. Auch zeigt sich, dass Brutalität keine Lösung
ist und Althergebrachtes durchaus in Frage gestellt werden sollte. Ein
spannendes und abwechselungsreiches Kinderbuch für Erwachsene mit Tiefgang und
Niveau. Es stellt aber auch eine Achterbahn der Gefühle dar und ist wirklich
gewalttätiger und brutaler als einige Märchen. Wer Hänsel und Gretel für Kinder
ablehnt, wird hier entsetzt sein. Aber Erwachsene verkraften Hänsel und Gretel
im Allgemeinen unbeschadet und nicht jedes Kind gruselt sich vor Hänsel und
Gretel.
Sehr ungewöhnlich und in seiner Originalität, Gedankentiefe und
Erzählweise sicherlich für viele Erwachsene empfehlenswert, aber leider meiner
Meinung nach nicht für Kinder ab 8 Jahren. Ältere (ab 14 Jahren) werden sich
aufgrund der Märchenartigkeit der Erzählweise wahrscheinlich als zu alt
empfinden.
Ein Hörbuch, dass sich eigentlich nicht mit Sternen bewerten
lässt.
Ich bedanke mich ganz herzlich bei cbj audio für dieses
ungewöhnliche Hörerlebnis.
Hey =)
AntwortenLöschenIch bin gerade total entzückt von diesem Hörbuch. Die Einschätzung der Alterstauglichkeit scheint ja hier wirklich schwierig zu sein. Du hast definitiv mein Interesse an diese Geschichte geweckt. Bei Gelegenheit werde ich mir aber erst selbst ein Bild machen, bevor ich das Hörbuch an meine Tochter (11) weitergebe.
LG
Anja
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Wir haben beide Bände voller Begeisterung mit unserem 10-Jährigen gelesen. Die Welt der Luftpiraten ist voller Phantasie, vollkommen eigenständig und weit weg von unserer Realität.
AntwortenLöschenIn Anbetracht dessen kann ich einige Teile Ihrer Rezension überhaupt nicht nachvollziehen.
Warum soll ein Kind eine Parodie auf einen Unrechtsstaat verstehen müssen? Das ist doch das tolle, dass Leser unterschiedlichen Alters auch unterschiedliche Verständnisebenen haben. Selbst bei einer Pippi Langstrumpf entdeckt man als Erwachsener anderes als ein Kind.
Auch die Kritik an den ausgewachsenen Luftpiraten, die sich nur mit Beruhigungsmitteln ertragen, finde ich vollkommen unnötig. Kinder können sehr wohl den Unterschied zu menschlichen Erwachsenen erkennen und sind im Zweifelsfall einfach froh, dass diese eben nicht wie Luftpiraten sind. Kinder können Luftpiraten als eigene Spezies akzeptieren.
Bei den Glaubensfragen kann ich zum Teil zustimmen. Allerdings würde ich es nicht „durch den Kakao ziehen“ nennen, sondern eher „kritisches hinterfragen“ von gelernten Glaubensstrukturen. Und mal ehrlich, religiöser Glaube hat nur dann einen Wert, wenn man ihn nicht unreflektiert übernommen hat, wie die zu kurz gewordene Hose des großen Bruders. Allerdings werden Kinder bis zu einem gewissen Alter die befürchtete Glaubenskritik sowieso nicht erkennen - genau wie die Parodie auf den Unrechtsstaat
Zusammengefasst: Beide bisher erschienenen Bücher sind großartig und werden auch von unserem Sohn heiß geliebt! Zum Hörbuch kann ich aktuell noch nichts sagen, aber wir freuen uns schon sehr darauf! Dass es da wild zugehen könnte, kann ich mir sehr gut vorstellen, das Potenzial dazu haben die Buchvorlagen. Hörbücher kommen meist spannungsgeladener daher als Bücher, aber das ist ja nichts Neues.