Ihr mich auch, Pia Herzog, Südpol Verlag
Lu, eigentlich Louisa, empfindet einen tiefen inneren Schmerz, es lodert
eine Wut in ihr, die immer wieder in ihr hoch kommt und herausbricht. Sie lebt
mit ihrer Mutter einer ewigen Studentin alleine, mit sehr begrenzten Mitteln
und trägt die alten Klamotten, ihres älteren Cousins auf. Diese ändert sie sich
auf einer alten Nähmaschine um, damit sie individueller sind und passen. Sie
hatte noch nie wirkliche Freunde, aber eine Menge Fantasie und jede Menge
Aggressionen. Darum achtet ihre Mutter darauf, daß sie regelmäßig zum
Boxtraining geht. Als Zeichen des Protests färbt sie sich die Haare knallig
pink, ein starker Kontrast zu den schwarzen Klamotten. Ihre Mutter ist etwas
lebensfremd. Sie leidet nicht nur unter Examensangst, ihre Jobs entpuppen sich
auch regelmäßig als Flops. Daher ist ständig Ebbe in der Kasse. Doch nun
scheint sie den idealen Job gefunden zu haben: Gesellschafterin für die
traumatisierte Tochter eines wohlhabenden Geschäftsmannes, für 120,- € am Tag.
Lu ist diese Prinzessin Viola gleich suspekt und so knallt es gleich bei ihrem
ersten Treffen. Doch dann besteht Viola darauf, daß Lu mit in den Urlaub in die
Finca auf Mallorca kommt. Ein Albtraum scheint für Lu wahr zu werden.
Lu ist in ihrer Wut, in ihrer Aggressivität ein fesselnder Charakter es
scheint ihr gleichgültig zu sein, was andere von ihr denken. Wozu auch, sie hat
ja eh keine Freunde, bis auf Rhys, der ihrer Fantasie entspringt und mit dem
sie alles teilen kann. Allerdings ist er ausgerechnet ihrer Mutter ein Dorn im
Auge. Diese Mutter leider auch mir. Wie kann man nur einerseits so
intellektuell und psychologisch sensibel sein wollen und dann bei der eigenen
Tochter und sich selbst so blind? Sie
muss doch den Schmerz ihrer Tochter spüren und sich fragen, wo er herkommt. Ich
habe mich das die ganze Zeit gefragt. Warum ist Lu, wie sie ist? Sie rebelliert
teilweise heftig und nicht immer ungefährlich, da würde sie meine Geduld auch
sehr strapazieren. Aber von vielen rebellischen Gefahren ihrer Altersgruppe
lässt sie in weiser Voraussicht die Finger: kein Alkohol, keine Drogen, keine
Zigaretten. Sie schließt sich auch keiner missratenen Clique an, sie ist
wirklich absolut autonom, bis auf Rhys, mit seinen unverschämt grünen Augen. Er
ist ein wunderbares Korrektiv für Lu, mit dem sie sich austauschen kann und der
ihr auch ganz schön gehörig den Kopf zurecht rückt. Ein toller Charakter, für
den die Mutter leider gar kein Verständnis hat, ebenso wenig wie für die
Bedürfnisse ihrer Tochter, die sich durch ihn offenbaren.
Ich finde das Buch wahnsinnig gut geschrieben, es hat mich sofort in einen
Sog gezogen. Ich wollte immer wissen, was ist eigentlich mit Lu los? Wird Viola
mit der neuen Situation zurecht kommen? Auch wenn ich das Buch super fand, habe
ich diese Fragen nicht wirklich beantwortet gefunden. Ich habe bei rund 20
Jahren Berufserfahrung erst einmal ein Kind ganz ohne Freunde getroffen, daß
vom Jugendamt auch tatsächlich in eine spezielle Einrichtung gegeben wurde und
auch in einem zweiten Fall kamen die Kinder sofort in verschiedene
Einrichtungen, wo sich dann offenbarte, daß die Geschwister untereinander auch
keine wirkliche Bindung haben. Die wenigen Kinder ohne Freunde, hatten alle ein
gestörtes Eltern-Kind-Verhältnis und keine auffangenden Großeltern. Auch Lus
Großeltern werden mit keinem Wort erwähnt. Das Problem war nicht Armut, es
waren die Eltern, die das Bindungsverhalten stören, mit diagnostizierter
Erziehungsunfähigkeit. Hier empfinde ich die Mutter auch als problematisch, da
sie die Realität verkennt und etwas lebensfremd ist. Dennoch scheint Lu an ihr
zu hängen und ihre Mutter nicht völlig egal zu sein. Bei allen Differenzen
zwischen Lu und ihrer Mutter, ist Schule erstaunlicher Weise nie ein Thema. Sie
geht offensichtlich nicht nur hin, sie scheint auch zu lernen, auch wenn es
nicht explizit erwähnt wird. Das wird jetzt der Zielgruppe nicht so bewußt
sein, da sie intakte Bindungen haben werden, daher gibt es hierfür nur einen
Stern Abzug.
Die Jugendlichen in dieser Geschichte mag ich wiederum sehr gerne. Sie sind
sehr einfühlsam beschrieben, man spürt ihren Schmerz, ihren Welthass, ihre
Verachtung, ihre Verzweiflung und die aufkeimende Hoffnung. Bei Lu und Viola
schätze ich sehr ihre Geradlinigkeit und Kompromisslosigkeit, bisweilen sind
die zwei wirklich gnadenlos ihrer Umwelt gegenüber, aber dabei irgendwie
menschlich. Emotional hat mich längere Zeit kein Buch mehr so bewegt, daher
gehe ich über die für mich als Erwachsene bestehende Schwäche hinweg und gebe
gerne noch gute 4 von 5 Sternen.
was ist das für eine buch art
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