Sonntag, 5. Februar 2017

Die Schande der Lebenden, Mark Billingham, gesprochen von Uve Teschner



Die Schande der Lebenden, Mark Billingham, gesprochen von Uve Teschner, GoyaLit
Diese Geschichte hat zwei Handlungsstränge, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben. Sie beginnt mit einer Frau, die einen Inhaftierten im Gefängnis trifft und ihn befragt. Angeblich für ihre Doktorarbeit in Jura. Der Gefangene, der seit 10 Jahren inhaftiert ist, wegen Todschlages mit einer Eisenstange, schweigt seither beharrlich über Motiv und Hintergründe der Tat. Er zeigt keine Reue und kann daher vom Bewährungsausschuß auch keine Milde erwarten.
Der zweite Erzählstrang dreht sich um eine Gruppe Süchtiger, die sich in einer teilgeschlossenen Gruppe jeden Montagabend im Haus des Therapeuten Tony de Silva trifft. Als eine Neue, Caroline hinzustößt verändert sich wieder die Stimmung in der Gruppe. Diese besteht aus dem Betäubungsmittelabhängigen Südafrikanischen Anästhesisten Robin, dem heroinabhängigen schwulen Stricher Chris, der ebenfalls heroinsüchtigen und spielsüchtigen Heather und der wohlhabenden Alkoholikerin Diana. Die wichtigste Regel: Nichts von dem, das in ihrer Mitte besprochen wird, darf jemals nach außen dringen. Selbst als einer von ihnen erpresst wird und eine ermordet, schweigen alle beharrlich weiter und die ermittelnden Beamten beißen sich die Zähne aus.
Irgendwie hatte ich einen Thriller erwartet, dabei ist dies nirgendwo erwähnt. Es war einfach eine falsche Erwartung. Vordergründig passiert nicht viel, es wird vor allem geredet. Auch die polizeilichen Ermittlungen verlaufen ruhig, keine Verfolgungsjagden, keine Schüsse. Die Geschichte ist ziemlich unblutig und doch baut sich eine unglaubliche psychologische Spannung auf. Der Blick in die menschlichen Abgründe, die Offenbarung der Schicksale, welche aus scheinbar normalen Menschen Süchtige machten, sind faszinierend und abstoßend zugleich. Robin war ein angesehener, gut verdienender Arzt und dennoch drückte er sich Anästhetika während seines Dienstes in den Arm. Diane war mit einem wohlhabenden Mann verheiratet und Heather ging zur Uni und machte sich dort eigentlich sehr gut. Caroline war wohl stets unauffällig und Chris treibt mit seiner provokanten Art alle auf die Palme. Er stößt ab und fasziniert gleichzeitig. Wer aus diesem Kreis ist ein Mörder? Wer ein Verbrecher? Oder war beides die gleiche Person. Diese Fragen beschäftigen den Zuhörer permanent. Die Geschichte fesselt und läßt einen nicht ohne weiteres wieder los. Die Ermittlungen sind auch eher die Nebensache, die Polizisten nicht wirklich der Kern des Ganzen. Dreh- und Angelpunkt ist die Therapiegruppe und das unsichtbare Band, das sie zusammenschweißt und wieder abstößt. Die Geschichte ist teilweise echt hart und schwer verdaulich. Aber Vorsicht, wegen der Zeitwechsel zwischen vor der Tat (Damals) und nach der Tat (Jetzt) muß man schon sehr genau hinhören.
Uve Teschner liest unglaublich eindringlich und doch unaufgeregt. Sehr passend für dieses Kammerspiel des psychischen Grauens. Egal ob der südafrikanische Arzt oder der kaputte Junkie, er liest sie mit Charakter. Er ist ein mehrfach ausgezeichneter Sprecher, auch wenn er mir bislang völlig unbekannt war, aber die Auszeichnungen hat er verdient.
Der Autor Mark Billingham, ist einer der erfolgreichsten britischen Krimiautoren und seine Bücher wurden in zwanzig Sprachen übersetzt. Seine Detektivfigur Tom Thorne erhielt den Sherlock Award. Ein Autor, dem ich mich nun wohl mal näher widmen werde.
Wenn ich gewußt hätte, daß es um die Therapie von Süchtigen ginge, hätte ich mich für dieses Werk wohl nicht interessiert. Ich mag keine Geschichten mit Heroin, aber ich hätte was verpasst. Die Geschichte ist unglaublich faszinierend und interessant. Zu keinem Zeitpunkt wollte ich abbrechen, selbst als einige wieder rückfällig wurden. Ich mußte einfach wissen, was dahinter steckte. Ich erfuhr es. Es ist schlüssig und wenn man am Anfang gut aufgepasst hat, schließt sich der Kreis. Es ist ein sehr ungewöhnliches Ende, mit dem ich etwas moralische Probleme habe, die mir Magenschmerzen bereiten, obwohl genau das so fesselnd ist. Genauer will ich darauf nicht eingehen, aber als die letzte CD endete dachte ich: Wie? Was? Echt jetzt? Als ich dann wieder CD 1 einlegte, dachte ich, ja das ist eine runde Sache. Aber dennoch bleiben mir bei den Ermittlern zu viele Fragen offen und ich bezweifle, daß es ein Reihenstart sein soll. Nun werde ich die offenen Fragen aus dem Privatleben der Ermittler wohl nie erfahren, es sei denn diese sind den Kürzungen geschuldet, was ich aber bezweifle. Daher kann ich diesem toll gelesenen, wirklich fesselnden Stück, denn es ist so kammerspielartig, daß es an ein Theaterstück erinnert, leider nur gute 4 Sterne geben, aber es dennoch total empfehlen, weil es wirklich umhaut!
Zu guter Letzt möchte ich dem Verlag für den Gewinn für dieses tolle signierte Exemplar bei der Adventsverlosung danke. Ich bin sehr froh, daß ich nicht genau wußte, was mich erwartete, denn die Überraschung des Unerwarteten ist voll aufgegangen. Vielen Dank!

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