Long Way Down, Jason Reynolds, gelesen von Julian Greis u.a., Hörcompany, 1
MP 3 104 Min. ungekürzt
Will ist 15 Jahre alt, als sein 20 jähriger Bruder Shawn auf dem Weg in den
9 Blocks entfernten Laden, in dem Revier einer anderen Gang erschossen wird.
Dabei sollte er doch nur die spezielle Hautcreme für seine Mutter abholen! Es
ist nicht der erste gewaltsame Tod in seinem jungen Leben. In ihrer Gegend ist
das nicht ungewöhnlich und so lernen die Kinder von Kleinauf sich bei dem
ersten Anzeichen für eine Schießerei sich flach auf den Boden zu werfen. Doch
der Schuss galt Shawn und so gab es kein Entkommen. Nun ist Will mit seiner
weinenden Mutter allein, die Trost in der Flasche neben ihr sucht. Will ist
fest entschlossen, sich nun an die Regeln zu halten, die ihm Shawn bei gebracht
hat, die er von Buck lernte, als ihr Vater Mikey erschossen wurde, wie auch
schon dessen Bruder Mark... eine schier unendliche Spirale der Gewalt, dank der
Regeln:
Nr. 1 Weinen (Tu's nicht. Egal was passiert)
Nr. 2 Jemanden verpfeifen (Tu's nicht. Egal was passiert)
Nr. 3 Rache (Finde den, der getötet hat. Und töte ihn)
Will nimmt sich die nunmehr herrenlose Waffe seines Bruders, entschlossen
das Gesetz der Straße zu Ende zu bringen und steigt in den Fahrstuhl mit dem
Ziel von der Lobby aus, sich auf den direkten Weg zu dem Mörder seines Bruders
zu begeben. Doch der Weg nach unten ist lang, auf jedem Stockwerk steigt jemand
aus seiner Vergangenheit ein, der erschossen wurde und erzählt von Gewalt,
Ohnmacht, Rache und Tod. Wird Will den Mörder seines Bruders töten?
Ungeschriebene Gesetze werden oft viel genauer befolgt, als die
geschriebenen. Will hat das Gefühl, dass er keine Wahl habe. Dass er tun muss,
was ein Mann tun muss, denn nach dem Tod aller anderen männlichen
Familienmitglieder ist er nun der Mann im Haus und seine Mutter nur noch ein
Schatten ihrer selbst. Sie ist völlig übermannt von den anscheinend nie enden
wollenden Morden und Will will dies nun auch fortsetzen. Doch mit jedem der in
den Fahrstuhl einsteigt und ihm von seiner Geschichte, von seinem Tod erzählt,
kommt er ins Wanken, kommt er ins Grübeln, noch immer an den Regeln
festhaltend, innerlich aufgewühlt und zerrissen. Sie führen ihm vor Augen, was
auf ihn wartet, wenn er aussteigt und seinen Plan zu Ende bringt, aber auch,
wie er wirklich ist. Er, Will der Junge, der mit Sprache spielt und Anagramme
liebt und ihnen Bedeutung beimisst.
Eine Ode über eine Spirale der Gewalt, frei nach dem alten Testament: Auge
um Auge... Wer den Fahrstuhlpassagieren zuhört begreift sehr schnell, dass dies
keine Lösung ist, eher das Ende bzw. der Anfang von noch mehr Leid und
Verzweiflung. Wie sind sie alle in diese Lage gekommen? Ging es ihnen wie Will?
Was raten sie ihm? Hat er das Zeug dazu? Sehr gut, finde ich, dass sich auf den
Aspekt der nicht enden wollenden Spirale der Gewalt konzentriert wird. Die
Polizei ist nicht wichtig, es geht nicht um sie, denn mit ihnen spricht man
nicht. So bleibt die Geschichte ganz klar auf Will, seine Entscheidung und die
unzähligen Todesschüsse fokussiert.
Anfangs sind diese Treffen für ihn so unvorstellbar, dass er die ihm
bekannten Personen nicht erkennt, da es ja unmöglich ist, was ihm da gerade
passiert. Jeder der einsteigt hat Will geprägt und für ihn eine Bedeutung.
Jeder/jede hat daher auch seine eigene Stimme, denn er spinnt nicht, er hört
sie nicht nur in seinem Geiste, sie sind in dem Moment real! Will wird von Julian
Greis gesprochen, dem Ed Sheeran der Hörbuchbranche. Seiner Stimme entkommt man
gerade nicht, man hört sie überall, doch ist sie so angenehm, so einnehmend,
dass man sich nicht satt hört, sondern gerne lauscht. Er klingt jung,
unerfahren, gleichzeitig verunsichert und entschlossen. Seine innere
Zerrissenheit ist unüberhörbar und dennoch nicht monoton, dafür wird er
zwischen den Stockwerken viel zu oft von neuen Gefühlen überflutet. Die Stimmen
der übrigen Fahrgäste sind gut gewählt. Besonders Konstantin Graudus als Buck
gefällt mir sehr gut, seine Stimme ist tief und sonor, als hätte er den Blues,
als hätte sein Leben eine Chance, hätte er nicht die Regeln befolgt, sondern
stattdessen gesungen...
Jason Reynold liebt es, den Ausgang seinen Lesern/Hörern zu überlassen. Sie
sollen seine Geschichte beenden, mitdenken, selbst für sich über den
„richtigen“ Ausgang entscheiden. So war ich von dem Ende überrascht und etwas
unschlüssig, wurde mir Wills Entscheidung doch nicht präsentiert, sondern von
mir eine Entscheidung für ihn erwartet. An Wills Liebe zu Anagrammen spürt man
seine Liebe zu Sprache. Diese zu übersetzen ist eine echte Leistung, da ziehe
ich auch vor der Übersetzerin Petra Bös den Hut.
Ein interessantes Hörbuch, über das Gesetz der Straße und dass es Leben
retten kann, wenn man eigene Entscheidungen trifft, statt anderer Gesetze
unüberlegt zu folgen. Von der sinnlosen Gewalt in vielen schwarzen Vierteln in
Amerika und der Machtlosigkeit der Gesetzeshüter dort, mit denen niemand
spricht.
Ich bedanke mich ganz herzlich bei der Hörcompany für dieses Hörexemplar
für meine Dienstagsreihe zum Thema #Blacklivesmatter
Hier findet Ihr eine Hörprobe:
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