Das Crime Zertifikat – Verbrechen mit Qualität, Oliver Schlick, Ueberreuter
Pius Nordberg ist ein ganz entspannter 2-Meter-Mann, mit Vorliebe für
Zitronenschaumcreme und Lana DelRay. Bis zu einem tragischen Unglück war er ein
richtig guter Sozialarbeiter, aber danach ist sein Leben zusammengebrochen und
Papa Ambros hat ihn vor dem Schlimmsten bewahrt. Er hat ihn in seiner
Organisation als Schuldeneintreiber eingestellt. Nun gelingt es ihm meistens
nur aufgrund seiner imposanten Erscheinung die Schuldner zum Zahlen zu bewegen.
Er ist fast unerschütterlich, es sei denn seine Mutter Tabea ruft an, oder er
findet seinen herzensguten Arbeitgeber unter bizarren Umständen tot in dessen
Wohnung. Das bringt ihn ins Grübeln, doch die folgende Umstrukturierung durch
Torben Bennecke, den Sohn von Papa Ambros, lässt ihm nicht viel Zeit den
ungeklärten Umständen nachzugehen und die Polizei ist auch seltsam passiv. Der
Betrieb soll in die Zukunft geführt werden, dank Qualitätsmanagement! Doch auch
all der Papierkram kann ihm seine fast schon masochistische Faszination für
Torbens rechte Hand Lena nicht nehmen und den gewaltsamen Tod der simplen
Autodiebe, den Trolle Brüdern, akzeptabler machen.
Willkommen im Reich der Kleinkriminellen und der Arbeitsoptimierung! Papa
Ambros war stets darauf bedacht nur ethisch vertretbare Delikte zur
Unterhaltsfinanzierung zu nutzen, keine harten Drogen, kein Mord, keine
Zwangsprostitution oder Menschenhandel. So blieb er denn auch meistens unter dem
Radar der Polizei, die die großen Fische fangen will. Für die Sorgen und Nöte
seiner Mitarbeiter hatte er stets ein offenes Ohr.
Doch so, mit dezidierten Auftragsbeschreibungen und Kundenfeedback, macht
es keinen Spaß mehr und Pius durchschaut die Sache schnell und blickt in das
Auge des Irrsinns! In seiner ruhigen relaxten Art beobachtet er die auf die
Spitze getriebenen Auswüchse der Zertifizierung und stellt genau die richtigen
Fragen. Die Antworten auf diese gibt ihm das Leben, nicht die Unternehmensführung.
Das ist herrlich absurd und ein wunderbar neuer Gedanke für einen Krimi, der an
Absurdität allerdings fast noch von Mutter Tabea einer emeritierten Professorin
für Soziologie und Bestsellerautorin Populärwissenschaftlicher Werke
übertroffen wird. In den unpassendsten Momenten klingelt Pius Handy und die
Leiterin von Tabeas Edelresidenz ruft Pius in seiner Verzweiflung an, weil sie
mit der ebenso aktiven wie
provozierenden Alt-68erin nicht klar kommt. Bei so einer Mutter wirkt selbst
der hünenhafte Geldeintreiber etwas verspießert. Das macht einfach richtig Spaß
zu lesen, ebenso wie die übrigen überspitz-liebenswerten Charaktere innerhalb
der Organisationen. Kleine feine Details wie Klingeltöne oder Namensgebungen
zaubern dabei immer wieder ein Lächeln ins Gesicht.
Man kann sich richtig gut vorstellen, wie Sozialarbeiter Oliver Schlick
beruflich durch Zertifizierungsprozesse an den Rande des Wahnsinns getrieben
wurde und diese Eindrücke zu therapeutischen Zwecken in diesem Krimi zur
Erheiterung der Leser verarbeitet hat. Auch seine Einblicke in
gesellschaftliche Milieus, die nicht jedem bürgerlichen Leser so vertraut sind,
zeugen von einem liebevoll, toleranten Umgang, der Humor bisweilen unerlässlich
macht. Dabei bleibt ihre Würde, in all ihren absurden Facetten aber stets
gewahrt. Die Kriminalität wird nie gut geheißen, aber je nach Ausprägung
toleriert. Das finde ich besonders am Ende des Buches sehr beachtlich und es
wird deutlich klar gestellt, dass Straftaten Straftaten sind und Konsequenzen haben.
Es wird aber auch vor Augen geführt, dass Kleinkriminelle meistens keine
Hoffnung auf einen beschaulichen Lebensabend haben, sondern sich eigentlich nie
zur Ruhe setzen können, auch wenn Augen und Gliedmaßen eigentlich genau das
fordern.
Während der Fall lange vor allem humorig locker, scheinbar ohne klare
Hinweise und Spuren zu versickern scheint, sich dem Joch des
Qualitätsmanagements beugt, nimmt er plötzlich an Fahrt auf und verdichtet sich
und wird richtig spannend. Man hat zwar keine Ahnung wohin es geht, verdächtigt
fast jeden, außer Tabea, aber man folgt
ihm gerne. Denn so ungewöhnlich wie die Schreibweise, das Thema und das Setting
dieses Krimi sind, so außergewöhnlich ist auch seine Aufklärung. Es ist ein
Fall, bei dem man nicht schon zur Mitte hin ahnt, wer hinter den ganzen Toten
steckt. Ja, es werden im Laufe von Pius Untersuchungen immer mehr Opfer.
Dadurch verdichtet sich das Motiv, aber ohne Klarheit zu schaffen.
Ein humorig, rabenschwarzer Einblick in ein wenig beachtetes Milieu, mit
unerwarteter Auflösung und einem Ende, das mich rundum zufrieden stellt. Der
Autor kennt sich aus, ohne je seinen Respekt für die Rechtsordnung verloren zu
haben. Sehr gelungen. Ein absolut vergnüglich, rabenschwarzer Krimi, der
wirklich ungewöhnlich ist! Rundum empfehlenswert.
Ich bedanke mich ganz herzlich beim Ueberreuter Sachbuch Verlag für diese
Krimiperle!
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