Das Mauerschweinchen, Eine Wendegeschichte, Katja Ludwig,
gelesen von Stefan Kaminski und Nana Spier, cbj audio, 2 CDs 2 h 30 min. gekürzt
Deutschland in den 80er Jahren, Berlin ist eine geteilte
Stadt. Eine Mauer zerschneidet sie in zwei Teile Ost (DDR) und West (BRD) und
damit auch mitten durch Straßenzüge wie z.B. die Sonnenallee, die Schwedter
Straße oder die Wolliner Straße. Das macht auch heute noch das Navigieren durch
Berlin schwierig, aber damals war die Mauer zwischen den 2 politischen Systemen
schier unüberwindbar. In der Wolliner Str. 54 lebt Aron vorübergehend. Seine
Eltern sind als linientreue Genossen zu einem Forschungsaufenthalt in Moskau,
so daß Aron, ein leidenschaftlicher Drachen- und Flugzeugkonstrukteur zu seiner
Oma zieht. Die ist nicht ganz so linientreu, aber Rentnerin und wohnt in einem
der Mauerhäuser. Während sie mal wieder einem ihrer Ausflüge in den Westteil
der Stadt macht, was Rentner durften, bleibt Aron zurück. Und nicht nur er,
auch Meerschweinchen Bommel von den Müllers, die in einer Nacht- und
Nebelaktion ausgereist, oder geflüchtet sind. Wer weiß das schon. Die Nachbarn
wollen Bommel grillen und verspeisen, das kann Aron nicht zulassen, aber bei
Oma kann er auch nicht leben, wegen der Katze, die frisst bestimmt
Meerschweinchen. Also muß Aron Bommel aus den Klauen der gierigen
Metzgersfamilie befreien und in Sicherheit bringen.
Auf der anderen Seite der Mauer lebt Nora, in der Wolliner
Straße 45. Sie wünscht sich nichts so sehr wie ein Meerschweinchen, doch ihre
Eltern wollen keine Haustiere, noch nicht mal ein kleines Meerschweinchen.
Darum drückt sich Nora auch immer in der Zoohandlung um die Ecke herum, um bei
den Tieren sein zu können, so oft, daß sie mit Antonio, dem geistig
zurückgebliebenen Sohn der Eigentümerin sogar schon befreundet ist. Als ihre
beste Freundin nun auch dem „Vier-Pfoten-Club“ der Oberklassenzicke beitritt
und zu einer Geburtstagsparty einlädt, zu der man nur mit seinem Haustier darf,
hat Nora ein echtes Problem. Ob sie sich ein Meerschweinchen aus dem Zooladen
ausleihen darf, oder woher soll sie ein Tier nehmen?
Es empfiehlt sich mit der CD von Arons Geschichte zu beginnen,
da diese zeitlich zuerst beginnt. Dies ist nicht vermerkt, aber sinnvoll finde
ich, nicht jedoch zwingend. Es ist eine Wendegeschichte, obwohl die Wende in
der Politik sich noch nicht bemerkbar machte, die Teilung aber allzeit
gegenwärtig in den Köpfen der Bewohner Berlins. Doch die Kinder heute können
sich das gar nicht mehr vorstellen und es ist auch nicht mehr so viel davon zu
sehen, außer daß es an einigen Stellen schwierig ist, die vom Mauerpark
geteilten Straßen mit dem Auto zu durchqueren. Wie soll man also Kinder das
begreiflich machen, was es damals bedeutete in Berlin zu wohnen, während heute
die Problematik bezahlbarer Mieten im Vordergrund steht? Am Besten mit einer
Geschichte, einer Geschichte, die in Ost und West spiel, aus der Sicht von Kindern,
Junge und Mädchen, damit sich alle angesprochen fühlen. Und wofür brennen alle
Kinder, meist vergeblich? Klar für Haustiere! Doch diese Geschichte hier
basiert tatsächlich auf wahren Begebenheiten, das fliegende Meerschweinchen hat
es gegeben, ebenso wie Aron und Nora, die aber wohl anders hießen, und
natürlich die Plastiktüte.
Ich hatte befürchtet, es könnte langweilig sein, weil Arons
und Noras Geschichten zu viele Überschneidungen hätten, aber es reizte mich, da
das Buch ein Wendebuch ist, das man von zwei Seiten, aus verschiedenen
Perspektiven lesen kann, dann dreht man es um und fängt wieder an. Wie soll das
denn bitte schön, bei einem Hörbuch funktionieren? Es funktioniert sogar sehr
gut! Als ich das Hörbuch auspackte, mußte ich grinsen. Solch eine Hülle hatte
ich ja noch nie gesehen, sie lässt sich von vorne und hinten öffnen! Es gibt
kein CD 1 oder CD 2, weil es kein vorne und kein hinten, kein richtig und kein
falsch gibt. Es sind zwei unabhängige Geschichten, die sich am Ende bzw. in der
Mitte bei der Rettung des Mauerschweinchens Bommel treffen, als Happy End
sozusagen hat Bommel fliegend die Teilung der Stadt überwunden.
Stefan Kaminski ist selbst Ostberliner und hat auch schon
zuvor „Das Labyrinth der Lügen“ einen Jugendkrimi zur Teilung der Stadt
gelesen. Er liest Arons Geschichte sehr nachlebbar. Seine Unsicherheit, als
seine Oma plötzlich auch weg ist, nachdem sie mal wieder rüber in den Westen
ist, seine Verzweiflung, als Bommel gegrillt werden soll und seine
Entschlossenheit ihn zu retten, all das hört man seiner Stimme an. Dabei
schließen Aron und sein neuer Zufallsfreund einen kühnen Plan. Der ist nicht
ganz ohne, denn in der DDR mußte man stets auf der Hut sein, vor Spitzeln, vor
allen möglichen Gefahren und zu vertrauen konnte gefährlich sein. Doch für
Bommel, wagt Aron es. Das Zögern, das Zweifeln, der Mut der Verzweiflung, all
das kann man Aron, alias Stefan Kaminski sehr gut anhören und somit mitfühlen.
Besonders das Bespitzelungsgefühl ist sehr gut gelungen, denn eigentlich sollte
man sich ja als Kind mit diesem Gefühl nie auseinander gesetzt haben. Fast
schon agentenmäßig spannend!
Die Westberlinerin Nana Spier spricht hingegen Nora (das
Buchstabenspiel der Vornamen Aron und Nora von der Autorin finde ich schon
klasse). Ebenfalls verzweifelt, weil sie ein echtes Problem hat. Sie wünscht
sich sehnlichst ein Meerschweinchen zu Weihnachten und bekommt einen
Zauberkasten! Außerdem hat sie Streit mit ihrer besten Freundin und die
Klassenzicke, hackt auf ihr rum! Diesen Mädchenkonflikt kann man Nana Spier
genau anhören, auch diese Biestigkeit von der Nora sich bedroht und
verunsichert fühlt. Dennoch ist auch dieser Handlungsstrang, auch
jungstauglich, denn sie ist ziemlich gewitzt und keine Tussi. Dilemmamäßig
spannend!
Ein Hoch auf die wahrscheinlich tierliebste Plastiktüte der
Literaturgeschichte.
Eine sehr außergewöhnliche Geschichte über den Alltag und
seine Tücken in der damals geteilten Stadt. Deutsch-deutsche Geschichte wird so
auch für Kinder ab 9 Jahren hör- und fühlbar!
Ich bedanke mich ganz herzlich bei cbj-audio für dieses
wirklich andere Hörbuch.
Hi du
AntwortenLöschenIch finde deinen Beitrag zu diesem Hörbuch total toll, weswegen ich es unter meine Rezension, die am Montag erscheint unbedingt verlinken müssen, falls dich das stört, dann melde dich gerne :).
Liebe Grüße
Nicole