Doktorspiele, Jaromir Konecny, digital publishers
Andi ist 16 Jahre alt und lebt mit seinen Eltern und der jüngsten seiner 3
Schwestern in einem Einfamilienhaus, im besseren Teil von Neuperlach (München).
Sein Vater ist eigentlich Studiomusiker, aber findet keine Aufträge mehr, daher
bringt seine esoterische Mutter sie mehr schlecht als recht mit ihrer
Naturheilpraxis durch. Seine Mutter findet er dabei oft ziemlich peinlich und
verrückt und seinen Vater ein Weichei, der nichts auf die Reihe bekommt. Das
macht seinen altersbedingten Hormonstau natürlich nicht besser. Seinen besten
Freund aus Kindergartentagen hat vor zwei Jahren seine Mutter beleidigt,
seitdem sind sie Ex-Freunde. Nun hängt er mit Harry ab, der versucht mit derben
Witzen Mädchenherzen zu erobern, dabei hat er vor ihnen genauso Schiss wie
Andi, bis auf seine Sandkastenfreundin, die schöne Bea. Auch wenn Andi auf dem
Fußballplatz der große Stürmer ist, bringt er bei Mädchen keinen gescheiten
Satz raus. Doch dann soll seine Großcousine zwei Wochen in den Ferien bei ihnen
verbringen, ausgerechnet Lilli, mit der als er sie das letzte Mal sah, als 6
jährige Doktorspiele machte. Sie fand sein bestes Stück damals sehr klein, wenn
sich das rumspricht!
Eigentlich habe ich mir nach „Der Fänger im Roggen“ und „Die neuen Leiden
des jungen W.“ geschworen, keine Bücher mehr über Jungs mit Hormonstau zu
lesen. Das Gejammere, ohne eigene Originalität langweilt mich. Der Titel hätte
mich also abgeschreckt, wenn es nicht der erste große Erfolg von Jaromir
Konecny gewesen wäre, der mich immer wieder laut zum Lachen bringt. Es ist nun
kein schöngeistiger, feinsinniger Humor, sondern der der Pannen der Pubertät,
des Alltags und des Fremdschämens. Dennoch ungemein lustig.
Die Geschichte beginnt, wie viele dieser Art. Andi ist frustriert, bekommt
bei den Mädels nichts gebacken, legt selbst Hand an und bemitleidet sich schon
etwas selbst. Er hat es aber auch nicht leicht, in diesem Haushalt, der alles
andere als Durchschnitt ist. Andi erzählt in der Ich-Form, frei von der Seele,
ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, also sehr direkt. Allerdings erspart der
Autor seinen Lesern eine überzogen aufgesetzte Jugendsprache, andernfalls hätte
ich abgebrochen. Mit hormongesteuerten Jungs, die Hand anlegen, habe ich
literarisch wenig Geduld. Doch diesmal hat es sich endlich mal gelohnt weiter
zu lesen, ich wurde nicht enttäuscht. Die Ausgangslage ist die gleiche, wie bei
allen männlichen Jungfrauen von 16 Jahren, also ziemlich vielen Jungs. Aber
anders als in anderen Büchern ist Andi kein Jammerlappen. Er erwartet nicht,
daß er über Nacht einfach so der Mädelsschwarm wird, nein, er ist bereit was zu
tun und zu ändern. Er überlegt sich so allerhand, was aber nicht unbedingt so
erfolgreich klappt, sondern ziemlich peinlich für ihn und lustig für den Leser
wird. Auch hiervon lässt er sich nicht unterkriegen. Während seine 18 jährige
Schwester Christine ihr Wissen aus der Zeitschrift „Mädchen“ bezieht, treibt er
sich in Internetforen herum, hoch
motiviert. Was echt toll ist: Andi ist kein Depp. Auch wenn sein Vater ein
Bücherwurm ist und damit die Mutter auf die Palme bringt, studiert Andi auch
eifrig Physikbücher, wenn die Aushilfslehrerin attraktiv ist, aber nicht für
die blöden 08/15-Lehrer. Er fragt viel und bekommt auch entsprechend viele
Antworten. Er kämpft sich beharrlich durch den Dschungel der verschieden
Antworten und sucht seinen eigenen Weg und seinen eigenen Stil. Ganz klar geht
das nicht ohne Peinlichkeiten von statten. Aber Andi merkt, wie auch schon der
Autor: nichts ist für Frauen so attraktiv, wie zum Lachen gebracht zu werden.
Das ist ein wirklich weiser Rat an die jungen männlichen Leser und bringt auch
meinen Mann immer wieder zum Lachen, da ich ihm meine Lieblingsszenen verraten
habe. Sich selbst hat Jaromir Konecny auch in die Geschichte mit
hineingeschrieben, gemeinsam mit seinen zwei Söhnen auf dem Bolzplatz. Da das
Buch erstmals 2009 erschien, ist es noch Whatsapp frei, die Teens haben zwar
Handies, aber sie sprechen noch wirklich in der Realität miteinander und
chatten nicht nur. Sehr entspannend zu lesen. Für diese erste eBook-Ausgabe,
wurde es jedoch nochmal neu überarbeitet.
Außerdem fand ich toll, daß diese Geschichte ein Ende hat und nicht einfach
an einer beliebigen Stelle endet (wie der Fänger im Roggen meines Erachtens).
Lose Fäden werden zu einem großen Ganzen verknüpft zu einem ermutigenden Happy
End. Da hat es sich wie gesagt gelohnt, das Buch zu Ende zu lesen.
Für Mädels ist das Buch aber auch interessant, es ist eigentlich die nackte
ungeschönte Wahrheit, denn Andi kommt dem 16-jährigen Normalo deutlich näher
als Vampir-Schönling Edward. Auch wenn Andi im Hormonrausch ist, ich mag ihn.
Er ist einfallsreich und witzig.
Jaromir Konecny ist nach seinem Chemie Studium aus der Tschechischen
Republik in die Bundesrepublik geflohen. Dennoch hat er sich als Poetry Slammer
und Autor in einer für ihn fremden Sprache einen Namen gemacht. Besonders
beachtenswert, da Naturwissenschaftler meist nicht sprachbegabt sind und die
wenigen, die es gibt, werden meist Patentanwälte, da dort das große Geld winkt.
Er hat sich zum Glück dagegen entschieden. Ist einfach auch keine humorvolle
Berufswahl. Der Poetty Slam Einfluß macht sich auch in diesem Buch in Andis Liedtexten
bemerkbar.
Auch wenn ich zum Einstieg etwas länger brauchte, so hat es mich dann doch
richtig gepackt und viel Spaß gemacht. 4,5 Sterne
Hi Dani,
AntwortenLöschendanke für die schöne Rezi! Ich freue mich. :-)
"Fänger im Roggen" habe ich mit 14 meiner älteren Schwester geklaut. Sie hat's nicht mehr zurückbekommen. :-)
Poetische Grüße
Jaromir