Donnerstag, 19. Juli 2018

Doktorspiele, Jaromir Konecny, digital publishers



Doktorspiele, Jaromir Konecny, digital publishers

Andi ist 16 Jahre alt und lebt mit seinen Eltern und der jüngsten seiner 3 Schwestern in einem Einfamilienhaus, im besseren Teil von Neuperlach (München). Sein Vater ist eigentlich Studiomusiker, aber findet keine Aufträge mehr, daher bringt seine esoterische Mutter sie mehr schlecht als recht mit ihrer Naturheilpraxis durch. Seine Mutter findet er dabei oft ziemlich peinlich und verrückt und seinen Vater ein Weichei, der nichts auf die Reihe bekommt. Das macht seinen altersbedingten Hormonstau natürlich nicht besser. Seinen besten Freund aus Kindergartentagen hat vor zwei Jahren seine Mutter beleidigt, seitdem sind sie Ex-Freunde. Nun hängt er mit Harry ab, der versucht mit derben Witzen Mädchenherzen zu erobern, dabei hat er vor ihnen genauso Schiss wie Andi, bis auf seine Sandkastenfreundin, die schöne Bea. Auch wenn Andi auf dem Fußballplatz der große Stürmer ist, bringt er bei Mädchen keinen gescheiten Satz raus. Doch dann soll seine Großcousine zwei Wochen in den Ferien bei ihnen verbringen, ausgerechnet Lilli, mit der als er sie das letzte Mal sah, als 6 jährige Doktorspiele machte. Sie fand sein bestes Stück damals sehr klein, wenn sich das rumspricht!

Eigentlich habe ich mir nach „Der Fänger im Roggen“ und „Die neuen Leiden des jungen W.“ geschworen, keine Bücher mehr über Jungs mit Hormonstau zu lesen. Das Gejammere, ohne eigene Originalität langweilt mich. Der Titel hätte mich also abgeschreckt, wenn es nicht der erste große Erfolg von Jaromir Konecny gewesen wäre, der mich immer wieder laut zum Lachen bringt. Es ist nun kein schöngeistiger, feinsinniger Humor, sondern der der Pannen der Pubertät, des Alltags und des Fremdschämens. Dennoch ungemein lustig.

Die Geschichte beginnt, wie viele dieser Art. Andi ist frustriert, bekommt bei den Mädels nichts gebacken, legt selbst Hand an und bemitleidet sich schon etwas selbst. Er hat es aber auch nicht leicht, in diesem Haushalt, der alles andere als Durchschnitt ist. Andi erzählt in der Ich-Form, frei von der Seele, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, also sehr direkt. Allerdings erspart der Autor seinen Lesern eine überzogen aufgesetzte Jugendsprache, andernfalls hätte ich abgebrochen. Mit hormongesteuerten Jungs, die Hand anlegen, habe ich literarisch wenig Geduld. Doch diesmal hat es sich endlich mal gelohnt weiter zu lesen, ich wurde nicht enttäuscht. Die Ausgangslage ist die gleiche, wie bei allen männlichen Jungfrauen von 16 Jahren, also ziemlich vielen Jungs. Aber anders als in anderen Büchern ist Andi kein Jammerlappen. Er erwartet nicht, daß er über Nacht einfach so der Mädelsschwarm wird, nein, er ist bereit was zu tun und zu ändern. Er überlegt sich so allerhand, was aber nicht unbedingt so erfolgreich klappt, sondern ziemlich peinlich für ihn und lustig für den Leser wird. Auch hiervon lässt er sich nicht unterkriegen. Während seine 18 jährige Schwester Christine ihr Wissen aus der Zeitschrift „Mädchen“ bezieht, treibt er sich in Internetforen  herum, hoch motiviert. Was echt toll ist: Andi ist kein Depp. Auch wenn sein Vater ein Bücherwurm ist und damit die Mutter auf die Palme bringt, studiert Andi auch eifrig Physikbücher, wenn die Aushilfslehrerin attraktiv ist, aber nicht für die blöden 08/15-Lehrer. Er fragt viel und bekommt auch entsprechend viele Antworten. Er kämpft sich beharrlich durch den Dschungel der verschieden Antworten und sucht seinen eigenen Weg und seinen eigenen Stil. Ganz klar geht das nicht ohne Peinlichkeiten von statten. Aber Andi merkt, wie auch schon der Autor: nichts ist für Frauen so attraktiv, wie zum Lachen gebracht zu werden. Das ist ein wirklich weiser Rat an die jungen männlichen Leser und bringt auch meinen Mann immer wieder zum Lachen, da ich ihm meine Lieblingsszenen verraten habe. Sich selbst hat Jaromir Konecny auch in die Geschichte mit hineingeschrieben, gemeinsam mit seinen zwei Söhnen auf dem Bolzplatz. Da das Buch erstmals 2009 erschien, ist es noch Whatsapp frei, die Teens haben zwar Handies, aber sie sprechen noch wirklich in der Realität miteinander und chatten nicht nur. Sehr entspannend zu lesen. Für diese erste eBook-Ausgabe, wurde es jedoch nochmal neu überarbeitet.
Außerdem fand ich toll, daß diese Geschichte ein Ende hat und nicht einfach an einer beliebigen Stelle endet (wie der Fänger im Roggen meines Erachtens). Lose Fäden werden zu einem großen Ganzen verknüpft zu einem ermutigenden Happy End. Da hat es sich wie gesagt gelohnt, das Buch zu Ende zu lesen.
Für Mädels ist das Buch aber auch interessant, es ist eigentlich die nackte ungeschönte Wahrheit, denn Andi kommt dem 16-jährigen Normalo deutlich näher als Vampir-Schönling Edward. Auch wenn Andi im Hormonrausch ist, ich mag ihn. Er ist einfallsreich und witzig.

Jaromir Konecny ist nach seinem Chemie Studium aus der Tschechischen Republik in die Bundesrepublik geflohen. Dennoch hat er sich als Poetry Slammer und Autor in einer für ihn fremden Sprache einen Namen gemacht. Besonders beachtenswert, da Naturwissenschaftler meist nicht sprachbegabt sind und die wenigen, die es gibt, werden meist Patentanwälte, da dort das große Geld winkt. Er hat sich zum Glück dagegen entschieden. Ist einfach auch keine humorvolle Berufswahl. Der Poetty Slam Einfluß macht sich auch in diesem Buch in Andis Liedtexten bemerkbar.

Auch wenn ich zum Einstieg etwas länger brauchte, so hat es mich dann doch richtig gepackt und viel Spaß gemacht. 4,5 Sterne

1 Kommentar:

  1. Hi Dani,

    danke für die schöne Rezi! Ich freue mich. :-)

    "Fänger im Roggen" habe ich mit 14 meiner älteren Schwester geklaut. Sie hat's nicht mehr zurückbekommen. :-)

    Poetische Grüße

    Jaromir

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