Samstag, 29. Juli 2017

Die Festung am Rhein, Maria W. Peter, Bastei Lübbe



Die Festung am Rhein, Maria W. Peter, Bastei Lübbe
Zum 200. Jubiläum der Festung Ehrenbreitstein, hoch über den Rhein, gegenüber von Koblenz. Nach der endgültigen Niederlage von Napoleons Truppen bei Belle Alliance/Waterloo, ist das ehemals französische Rheinland nun ein Teil des Reiches des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. Die strenge, korrekte und steife Art der Preußen passt so gar nicht zur rheinisch lockeren Lebensfreude des Rheinlandes. Dennoch wird Koblenz aus militärisch strategischen Gründen zu einer ummauerten Garnisionsstadt befestigt, als neue Hauptstadt der Rheinprovinz. Über allem soll die Festung auf dem Ehrenbreitstein thronen, uneinnehmbar und nach neuesten militärischen und wissenschaftlichen Erkenntnissen erbaut. Ein Meisterwerk der Ingenieurskunst.
Die Rheinländer werden zum Teil gegen ihren Willen zum 3 jährigen Militärdienst für einen ihnen fremden und fernen König herangezogen. So auch Christian Berger, der schöngeistige Sohn eines französischen Offiziers und einer Koblenzerin. Nach dem Tod des Vater bei Belle Alliance ist es seiner Familie in Köln schlecht gegangen und die Mutter schickte ihn und seine Schwester  Franziska zu ihrem Bruder einem kinderlosen Maurermeister nach Koblenz. Dort werden sie lediglich geduldet, obwohl die Geschwister hart mit anpacken müssen, ohne Bezahlung. Eines Tages wird Christian vor Franziskas Augen verhaftet, wegen des Verdachts der Spionage und des Landesverrates. Er soll die geheimen Baupläne seiner Vorgesetzten gestohlen und an die Franzosen weitergegeben haben.
Von der Unschuld ihres Bruders überzeugt, scheut die temperamentvolle Franziska kein Risiko um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Dabei kreuzen ihre Wege immer häufiger die des disziplinierten und überkorrekten Leutnant Rudolf Harten, Ingenieursoffizier, dessen Schicksal ebenfalls mit diesem Verrat verknüpft ist. Nachdem er die Schlacht von Belle Alliance dank der Hilfe von französischen Offizieren überlebte, steht er seither unter Generalverdacht und versucht alles um seinen Ruf reinzuwaschen und sein Lebenswerk, die stolze Festung über dem Rhein, zu vollenden und vor den Feinden zu schützen. Die Ermittlungen sind riskant und die Zeit drängt, da andernfalls Pionier Christian Berger wegen des vermeintlichen Verrats hingerichtet wird.
Auch ich bin quasi im Schatten des Ehrenbreitsteins aufgewachsen, allerdings hat mich seine nüchterne riesige Anlage als Kind nicht interessiert. Zu geradlinig, zu schnörkellos, ganz anders als die Schlösser und Burgen am Rhein, die mich faszinierten. Daher war ich bis zu diesem Jubiläumsjahr erst zweimal zu Kinderausstellungen dort (eine in meiner eigenen Kindheit), bis ich zur szenischen Lesung dieses Buches dort ging und ich mir dieses Bauwerk genauer anschaute und seiner Faszination erlag.
Ja, dieser Bau ist durch und durch preußisch und auch sonst kann man in Koblenz noch viel von dem widerstreitenden Mix des strengen Preußentums und der rheinischen Lebensfreude entdecken. Koblenz ist auch heute noch eine Garnisions- und Verwaltungs- und Justizstadt. Diese Aspekte werden neben dem zu klärenden Kriminalfall präzise herausgearbeitet. Franziska als Halbfranzösin hat die Ideen von Freiheit und Gleichheit tief in sich aufgenommen. Sie glaubt daran und lebt danach. Der Code Napoléon, der auch später noch für die linke Rheinseite Anwendung fand, wie mein francophiler Richteropa nie müde wurde zu erzählen, ist ihre Leitschnur, das Allgemeine Preußische Landrecht für die Rheinländer fremd. Diese starren Hierarchien, die festgefahrenen Standesdünkel, die ein Aufstreben fleißiger Menschen aus einfachen Verhältnissen fast unmöglich machen sind für sie inakzeptabel. Aber sie erklären natürlich auch, warum ein einfacher Pionier, der auch noch ein halber Franzose ist für diesen Verrat verhaftet wurde. Ein höherer Rang, würde so etwas natürlich nie tun, obwohl es ihm viel leichter fallen würde, an die entsprechenden bestens gehüteten Pläne zu gelangen. Diese Aspekte der Logik können jedoch von der Militärverwaltung nicht infrage gestellt werden, würden sie sich doch selbst damit unter Generalverdacht stellen. Somit scheint Franziska gegen Windmühlen zu kämpfen, weil nicht sein kann, was nicht sein darf.
Franziskas Temperament und Leidenschaft machen diesen Roman auch für weniger francophil geprägte, Nichtrheinländer und Nichtjuristen lesenswert. Langsam aber sicher decken Franziska und Rudolf ein Geflecht von Verrat und Intrigen auf. Franziska ist mir dabei äußerst sympathisch, sowohl ihre moderne Denkweise, als auch ihre lebensbejahende Art auch mal fünf gerade sein zu lassen. So lernt Rudolf im Umgang mit ihr, seine eigenen Denkschemata infrage zu stellen – weicher zu werden und das Konzept der Vergebung in Erwägung zu ziehen. Mit Rudolfs preußischer Überkorrektheit hatte ich so emotional meine Probleme, so ganz wurde ich nicht mit ihm warm, im Gegensatz zu seinem Burschen Fritz, mit der lockeren Berliner Schnauze, auch wenn dieser lediglich eine untergeordnete Rolle spielte, der Rudolf aber neben Franziska weitere Denkanstöße gibt.
Als Rheinländerin liegen mir auch der Schotte Alaisdair McBaird im Gasthaus von Franziskas Freundin Therese weilender Künstler und ausgeschiedener Offizier der britischen Armee, sowie Therese deutlich mehr. Auch wenn Rudolf nicht verkehrt ist und seine verkopfte Herangehensweise durchaus was für sich hat, fehlt mir bei ihm der zündende Funke, um mit seiner und Franziskas Liebesgeschichte völlig zu entflammen. Desweiteren kommen mir in dieser Geschichte ein paar Zufälle zu viel zum Tragen.
Doch die historische Aufarbeitung und ihre Bedeutung dieser Kontraste, auch der dort aufeinander prallenden Konfessionen, finde ich brillant. Sie haben mich wirklich sehr beschäftigt und mich zum Nachdenken gebracht, ebenso wie die Themen Vergebung und Vergeltung.
Ergänzt wird der Roman vorne mit einem historischen Stadtplan von Koblenz (damals Coblenz), leider jedoch ohne Straßennamen, ein ausführliches Glossar, ein Personenverzeichnis, ein Verzeichnis der historisch realen Persönlichkeiten, sowie ein erläuterndes Nachwort, daß diese besondere Region auch für Nichtrheinländer begreiflicher macht. Die historische Korrektheit des Romans liegt der studierten Romanistin/Anglistin/Historikerin sehr am Herzen und das spürt man auf jeder Seite dieses Buches.
Die einzelnen Teile des Buches werden jeweils mit Zitaten eingeführt, wobei mir dies zum 4. Teil besonders gefiel:  „Denn was auch immer auf Erden besteht, besteht durch Ehre und Treue. Wer heute die alte Pflicht verrät, verrät auch morgen die neue.“ (Adalbert Stifter)
Doch können diese Pflichten bisweilen einander widerstreiten und den Betroffenen in tiefe Gewissenkonflikte führen, welche hier auf verschiedenen Seiten hervorragend herausgearbeitet wurden.
Mein Dank gilt der Autorin, die mir mit ihrem Buch eine besondere Freude bereitete und dem ich gerne gute 4 von 5 Sternen gebe.

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