Die Festung am Rhein, Maria W. Peter, Bastei Lübbe
Zum 200. Jubiläum der Festung Ehrenbreitstein, hoch über den
Rhein, gegenüber von Koblenz. Nach der endgültigen Niederlage von Napoleons
Truppen bei Belle Alliance/Waterloo, ist das ehemals französische Rheinland nun
ein Teil des Reiches des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. Die strenge,
korrekte und steife Art der Preußen passt so gar nicht zur rheinisch lockeren
Lebensfreude des Rheinlandes. Dennoch wird Koblenz aus militärisch
strategischen Gründen zu einer ummauerten Garnisionsstadt befestigt, als neue
Hauptstadt der Rheinprovinz. Über allem soll die Festung auf dem
Ehrenbreitstein thronen, uneinnehmbar und nach neuesten militärischen und
wissenschaftlichen Erkenntnissen erbaut. Ein Meisterwerk der Ingenieurskunst.
Die Rheinländer werden zum Teil gegen ihren Willen zum 3
jährigen Militärdienst für einen ihnen fremden und fernen König herangezogen.
So auch Christian Berger, der schöngeistige Sohn eines französischen Offiziers
und einer Koblenzerin. Nach dem Tod des Vater bei Belle Alliance ist es seiner
Familie in Köln schlecht gegangen und die Mutter schickte ihn und seine
Schwester Franziska zu ihrem Bruder
einem kinderlosen Maurermeister nach Koblenz. Dort werden sie lediglich
geduldet, obwohl die Geschwister hart mit anpacken müssen, ohne Bezahlung.
Eines Tages wird Christian vor Franziskas Augen verhaftet, wegen des Verdachts
der Spionage und des Landesverrates. Er soll die geheimen Baupläne seiner Vorgesetzten
gestohlen und an die Franzosen weitergegeben haben.
Von der Unschuld ihres Bruders überzeugt, scheut die
temperamentvolle Franziska kein Risiko um die Wahrheit ans Licht zu bringen.
Dabei kreuzen ihre Wege immer häufiger die des disziplinierten und
überkorrekten Leutnant Rudolf Harten, Ingenieursoffizier, dessen Schicksal
ebenfalls mit diesem Verrat verknüpft ist. Nachdem er die Schlacht von Belle
Alliance dank der Hilfe von französischen Offizieren überlebte, steht er
seither unter Generalverdacht und versucht alles um seinen Ruf reinzuwaschen
und sein Lebenswerk, die stolze Festung über dem Rhein, zu vollenden und vor
den Feinden zu schützen. Die Ermittlungen sind riskant und die Zeit drängt, da
andernfalls Pionier Christian Berger wegen des vermeintlichen Verrats
hingerichtet wird.
Auch ich bin quasi im Schatten des Ehrenbreitsteins
aufgewachsen, allerdings hat mich seine nüchterne riesige Anlage als Kind nicht
interessiert. Zu geradlinig, zu schnörkellos, ganz anders als die Schlösser und
Burgen am Rhein, die mich faszinierten. Daher war ich bis zu diesem
Jubiläumsjahr erst zweimal zu Kinderausstellungen dort (eine in meiner eigenen
Kindheit), bis ich zur szenischen Lesung dieses Buches dort ging und ich mir
dieses Bauwerk genauer anschaute und seiner Faszination erlag.
Ja, dieser Bau ist durch und durch preußisch und auch sonst
kann man in Koblenz noch viel von dem widerstreitenden Mix des strengen
Preußentums und der rheinischen Lebensfreude entdecken. Koblenz ist auch heute
noch eine Garnisions- und Verwaltungs- und Justizstadt. Diese Aspekte werden
neben dem zu klärenden Kriminalfall präzise herausgearbeitet. Franziska als
Halbfranzösin hat die Ideen von Freiheit und Gleichheit tief in sich
aufgenommen. Sie glaubt daran und lebt danach. Der Code Napoléon, der auch
später noch für die linke Rheinseite Anwendung fand, wie mein francophiler
Richteropa nie müde wurde zu erzählen, ist ihre Leitschnur, das Allgemeine
Preußische Landrecht für die Rheinländer fremd. Diese starren Hierarchien, die
festgefahrenen Standesdünkel, die ein Aufstreben fleißiger Menschen aus
einfachen Verhältnissen fast unmöglich machen sind für sie inakzeptabel. Aber
sie erklären natürlich auch, warum ein einfacher Pionier, der auch noch ein
halber Franzose ist für diesen Verrat verhaftet wurde. Ein höherer Rang, würde
so etwas natürlich nie tun, obwohl es ihm viel leichter fallen würde, an die
entsprechenden bestens gehüteten Pläne zu gelangen. Diese Aspekte der Logik
können jedoch von der Militärverwaltung nicht infrage gestellt werden, würden
sie sich doch selbst damit unter Generalverdacht stellen. Somit scheint
Franziska gegen Windmühlen zu kämpfen, weil nicht sein kann, was nicht sein
darf.
Franziskas Temperament und Leidenschaft machen diesen Roman
auch für weniger francophil geprägte, Nichtrheinländer und Nichtjuristen
lesenswert. Langsam aber sicher decken Franziska und Rudolf ein Geflecht von
Verrat und Intrigen auf. Franziska ist mir dabei äußerst sympathisch, sowohl
ihre moderne Denkweise, als auch ihre lebensbejahende Art auch mal fünf gerade
sein zu lassen. So lernt Rudolf im Umgang mit ihr, seine eigenen Denkschemata
infrage zu stellen – weicher zu werden und das Konzept der Vergebung in
Erwägung zu ziehen. Mit Rudolfs preußischer Überkorrektheit hatte ich so emotional
meine Probleme, so ganz wurde ich nicht mit ihm warm, im Gegensatz zu seinem
Burschen Fritz, mit der lockeren Berliner Schnauze, auch wenn dieser lediglich
eine untergeordnete Rolle spielte, der Rudolf aber neben Franziska weitere
Denkanstöße gibt.
Als Rheinländerin liegen mir auch der Schotte Alaisdair
McBaird im Gasthaus von Franziskas Freundin Therese weilender Künstler und
ausgeschiedener Offizier der britischen Armee, sowie Therese deutlich mehr.
Auch wenn Rudolf nicht verkehrt ist und seine verkopfte Herangehensweise
durchaus was für sich hat, fehlt mir bei ihm der zündende Funke, um mit seiner
und Franziskas Liebesgeschichte völlig zu entflammen. Desweiteren kommen mir in
dieser Geschichte ein paar Zufälle zu viel zum Tragen.
Doch die historische Aufarbeitung und ihre Bedeutung dieser
Kontraste, auch der dort aufeinander prallenden Konfessionen, finde ich
brillant. Sie haben mich wirklich sehr beschäftigt und mich zum Nachdenken
gebracht, ebenso wie die Themen Vergebung und Vergeltung.
Ergänzt wird der Roman vorne mit einem historischen
Stadtplan von Koblenz (damals Coblenz), leider jedoch ohne Straßennamen, ein
ausführliches Glossar, ein Personenverzeichnis, ein Verzeichnis der historisch
realen Persönlichkeiten, sowie ein erläuterndes Nachwort, daß diese besondere
Region auch für Nichtrheinländer begreiflicher macht. Die historische
Korrektheit des Romans liegt der studierten Romanistin/Anglistin/Historikerin
sehr am Herzen und das spürt man auf jeder Seite dieses Buches.
Die einzelnen Teile des Buches werden jeweils mit Zitaten
eingeführt, wobei mir dies zum 4. Teil besonders gefiel: „Denn was auch immer auf Erden besteht,
besteht durch Ehre und Treue. Wer heute die alte Pflicht verrät, verrät auch
morgen die neue.“ (Adalbert Stifter)
Doch können diese Pflichten bisweilen einander widerstreiten
und den Betroffenen in tiefe Gewissenkonflikte führen, welche hier auf
verschiedenen Seiten hervorragend herausgearbeitet wurden.
Mein Dank gilt der Autorin, die mir mit ihrem Buch eine
besondere Freude bereitete und dem ich gerne gute 4 von 5 Sternen gebe.
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