Das rote Adressbuch, Sofia Lundberg, gelesen von Beate Himmelstoß und
Susanne Schroeder, der Hörverlag
Doris Alm wird 1928 in Stockholm, Schweden geboren. Ihr Vater hat eine
kleine Schreinerei und die Familie hat ihr Auskommen. Eigentlich wäre der Vater
lieber Forscher, er liebt Bücher und saugt Reiseberichte und wissenschaftliche
Veröffentlichungen in sich auf, doch er folgt der Familientradition. Zum 10.
Geburtstag schenkt er Doris ein rotes Adressbuch, in das sie alle Menschen, die
ihr etwas bedeuten und denen sie im Laufe ihres Lebens begegnen wird, eintragen
soll. Fortan wird es ihr größter Schatz sein, der sie rund um die Welt
begleiten wird. Denn nur 3 Jahre später stirbt der Vater und die Familie
hungert. Sie muß die Schule verlassen und zu einer feinen Dame als
Dienstmädchen nach Stockholm, die sie später mit nach Paris nimmt. Auf der
Straße wird sie von einem Modeagenten entdeckt und sie arbeitet fortan als
Mannequin, doch der ausbrechende Krieg nimmt den Menschen das Geld für Luxus. Als
sie den Brief ihrer großen Liebe erhält, der in zwischen in New York lebt,
reist sie mit ihrer kleinen Schwester, die inzwischen bei ihr lebt, über den
Ozean.
Stockholm 1917, Doris Leben neigt sich dem Ende zu. Anhand der Eintragungen
ihres Adressbuches hat sie ihre Lebensgeschichte für ihre Großnichte Jenny im
PC aufgeschrieben, in der Hoffnung, daß sie sie lesen und verstehen wird. Ihren
Lebensweg, geprägt von Niederschlägen und Entscheidungen, die vielleicht
bisweilen falsch gewesen sein mögen, sie aber stets zu neuen Menschen und
Beziehungen brachten. Entscheidungen, die auch ihr, Jennys Leben prägten.
Doris scheint bisweilen von Rückschlägen erfüllt. Doch Doris lässt sich
nicht unterkriegen, egal wie schlimm es wird, steht sie auf und kämpft, in Zeiten,
die bisweilen erbarmungslos sind und in denen Frauen eigentlich nicht
selbstbestimmt und frei leben, sondern Ehefrau und Mutter zu sein haben. Doris
passt jedoch nicht in gängige Raster und so ist auch ihr Leben kein eintöniges
Einerlei. Ob es deswegen aber unbedingt besser ist? Auf jeden Fall ist es viel
bewegender, als ihre abgestumpfte Pflegerin meint, die davon ausgeht, daß alle
alten Leute, Stockholm noch nie verlassen und nie etwas erlebt hätten. Man
braucht alten Menschen jedoch nur zu zuhören und wird überrascht sein, wie
entbehrungsreich ihr Leben bisweilen war und wie stark der Weltkrieg ihr Leben
geprägt hat, selbst bei Schweden, deren Land offiziell neutral blieb. Alt
bedeutet nicht zwingend langweilig.
Während Doris langem Leben hat sie viele Menschen kennen gelernt, wobei es
nicht alle immer gut mit ihr gemeint haben. Aber die wenigen wahren Freunde,
die sie getroffen haben, helfen ihr mit den Niederlagen umzugehen und sich
immer wieder neu aufzurappeln und weiter zu machen, egal, wie aussichtslos die
Situation auch erscheint. Niederlagen hat Doris leider viele hinnehmen müssen.
All der Schmerz, den sie ertragen muß, ist bisweilen echt heftig und man
wünscht ihr auch endlich mal glückliche Zeit, daß sie wenigstens in Ruhe und
Frieden sterben darf, anders als viele Freunde und Verwandte von ihr. Doris
Leben bewegt und macht nachdenklich. Waren ihre Entscheidungen immer richtig?
Wie hätte ich gehandelt? Wäre das besser gewesen? Manche Wendungen habe ich so
erwartet, andere trafen mich völlig unvorbereitet. Die Kürzungen habe ich als
sehr behutsam empfunden. Gut, das Einpacken des Adressbuches vor jedem
Neuanfang wird nun nicht explizit erwähnt, aber das finde ich auch nicht
zwingend. Einzig Pflegerin Sarah, die ich in mein Herz geschlossen habe, mit
ihrer offenen und respektvollen Art, könnte am Ende herausgekürzt worden sein,
aber dessen bin ich mir nicht sicher. Längen hat das Hörbuch nach dem Kürzen
auf jeden Fall keine und Verständnisschwierigkeiten oder Personenverwechslungen
kamen trotz der Vielzahl der Menschen, die Doris Leben prägten bei mir nicht
vor (das ist nicht selbstverständlich bei gekürzten Lebensgeschichten).
Am Ende hat mich ihr Leben wirklich bewegt. Ich hoffe, es regt einige
Hörerinnen dazu an, sich die Geschichte älterer Verwandter oder Nachbar genauer
anzuhören und ihnen mit größerem Respekt zu begegnen.
Inspiriert wurde diese Geschichte von wahren Begebenheiten von
verschiedenen Mitgliedern der Familie der Autorin. Allerdings haben sie sich
nicht alle in einer Person gehäuft, sondern sind mehreren von Ihnen passiert.
Das Ende empfand ich dann auch als ein wenig unwahrscheinlich im Hinblick auf
Doris außerordentlich hohes Alter. So bekam ich auch bisweilen beim Hören den
Eindruck, daß es doch etwas viel für nur ein Leben sei, was Doris da passiert,
daher ein halber Stern Abzug.
Die Zeitsprünge in den Erzählungen werden zum Einen durch die zwei
verschiedenen Sprecherinnen, zum anderen durch die Nennung des
Anfangsbuchstabens des Nachnamens der Person, um die sich die nachfolgenden
Erinnerungen drehen werden, offensichtlich. Der Einsatz von mehreren
Sprecherinnen ist nun nicht ganz neu, aber hier gefällt mir die Auswahl sehr
gut. Beate Himmelstoß Stimme klingt reif und erfahren. Zwar nicht zittrig und
brüchig, was aber fürs Zuhören deutlich angenehmer ist. Ganz klar klingt die
Stimme älter, als ihre Sprecherin aussieht, während Susanne Schroeders Stimme
jünger klingt als sie. Sie erinnert mich in ihr außerordentlichen Weiblichkeit
an die Stimme von Andrea Sawatzki. Warm, wohlklingend und voller Leben. Man
kann sich gut die junge schöne Doris vorstellen, die das Leben mit allen Höhen
und Tiefen mitnimmt, so wie es kommt, aber niemals belanglos oder eintönig.
Beide Stimmen passen sehr gut zu den von ihnen personifizierten Persönlichkeiten,
wobei es auch nicht stört, daß Beate Himmelstoß bisweilen Großnichte Jenny und
die Pflegerinnen spricht, denn wie gesagt, klingt die Stimme reif, aber nicht
zittrig und brüchig, aber immer ganz deutlich anders als die von Susanne
Schröder.
Die Aufnahmequalität ist glasklar und gut ausbalanciert, sowohl bei der
Hausarbeit, als auch beim Autofahren waren die Sprecherinnen jederzeit gut
verständlich. Die Tracks fand ich sehr angenehm kurz und das es sich um
einzelne CDs und nicht MP3s handelt sucht man sich trotz der zahlreichen Tracks
niemals müde, beim Wiedereinstieg (ja, ich mag keine MP3, mein AutoMP3-Player,
hüpft sehr gerne bei jedem Neustart zu Track 1 zurück, statt sich zu merken, wo
wir stehen geblieben sind...)
Das Cover lässt in seiner Gestaltung
ein altmodisch gebundenes Büchlein vor dem inneren Auge entstehen, es ist eine
sehr platzsparende Umverpackung, die die Entnahme der Tonträger während der
Autofahrt erleichtert (es wird meine ich Pocketbook für Hörbücher bezeichnet).
Ein wirklich sehr gut gemachtes Hörbuch, daß mir deutlich besser gefallen
hat, hat viele andere Hörbücher über schicksalshafte Lebensgeschichten, die ich
in den letzten Jahren gehört habe. 4,5 von 5 Sternen (1 -)
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