Rachgier, Val McDermid, ungekürzte Lesung Wolfgang Berger, Steinbach
sprechende Bücher
Ein neuer Fall für Detective Chief Inspector Carol Jordan und Profiler Tony
Hill (ihr 10.). Nach der erfolgreichen Vertuschung von Carols Trunkenheitsfahrt
mit fatalen Folgen, hat sie es mit Tonys Hilfe nun endlich geschafft trocken zu
werden. Doch es ist ein täglicher Kampf. Sie quält permanent das schlechte
Gewissen und ist leicht reizbar. Sie hat den Eindruck es nicht verdient zu
haben nun Leiterin der ReMIT Elitespezialeinheit zu sein und mit dieser
Einschätzung ist sie nicht allein. Journalistin Peggy Burgess setzt alles
daran, Carols dunkles Geheimnis zu skandalträchtig zu enthüllen. Auch ihr
erster Fall in der neuen Position hat es in sich. Eine verkohlte Leiche in
einem Auto in einer Haltebucht einer engen Landstraße in den Dales. Doch die
unauffällige, einsame Büroleiterin Kathryn McCormick wurde nicht Opfer eines
Unfalls, sondern eines Mordes und ihr Mörder kennt sich mit forensischer
Spurensuche aus. Er ist ein Meister darin keine Spuren zu hinterlassen. Als
eine zweite derartige Leiche wenig später gefunden wird, zeigt sich eine
weitere Parallele, auch das zweite Opfer hatte gerade erst auf einer Hochzeit
einen mysteriösen, attraktiven Mann kennengelernt, den weder das Brautpaar,
noch die übrigen Gäste kannten. Auch Carols Sergeant Paula hat private
Probleme, ihr Pflegesohn Torin ist Ziel einer Cybererpressung.
Für mich war es das erste ungekürzte Hörbuch eines Val McDermid Thrillers.
Hierdurch werden die Motive und Gedanken deutlicher. Während dadurch das Werk
für mich mehr ein Krimi als ein Thriller ist, verleihen diese Überlegungen der
Geschichte mehr Tiefgang und mehr Nachhaltigkeit. Es gibt keine wilden
Verfolgungsjagden oder eingesperrte Ermittler, die in letzter Sekunde aus den
Fängen des skrupellosen Psychopathen befreit werden können. Nein, das Grauen
ist subtiler, denn es ist irgendwie allgegenwärtig und kann jeden treffen.
Manchmal reicht dazu einfach ein Missverständnis aus, oder verletzte Eitelkeit
eines völlig Fremden.
Neben den möglichen Rachemotiven und -gelüsten dreht sich hier die Tat auch
um das Thema Selbstjustiz. Das stört mich ja meistens in Thrillern/Krimis, weil
ich finde, daß es auch bei Mangel an Beweisen keine Lösung ist, sondern es
bisweilen einfach etwas mehr Geduld bedurft hätte. Val McDermid ist nun nicht
mehr die Jüngste und das merkt man auch an der Reife der Gedanken, da sie das
Dilemma der Ermittler wirklich toll darstellt und beleuchtet, auf eine Art und
Weise, die auch mich zufrieden zurücklässt, aber auch mit einem Fragezeichen
für die Zukunft dieser Serie. Der deutsche Titel ist dabei sehr treffend
gewählt, da einem am Ende so richtig bewußt wird, wie viele Rachepläne in
diesem Fall eigentlich zusammentreffen. In der Lese-Hörrunde an der ich
teilnahm, gab es einige kritische Stimmen, die meinten, daß man diesem Werk das
Alter seiner Autorin anmerken würde. Ja, die Gedanken, die sich in den Taten
spiegeln sind zum Teil profund und zeugen von Reife. Doch die Taten und ihre
Tücken, mit denen sich Carol Jordan und ihr Team rumschlagen müssen, sind
hochaktuell und in ihrer Ausführung sehr perfide. Und mit Jahrgang 1955 finde
ich sie nicht alt oder senil. Das stellt sie auch dadurch unter Beweis, daß sie
es schafft sich in die Cyberkriminalität, Mobbing an Schulen und die Gefahren
der Social Medias hervorragend hineinzudenken. Gefahren, die immer und überall
lauern. Besonders interessant finde ich, daß einige Probleme wiederkehrend von
verschiedenen Seiten beleuchtet werden, mit zum Teil unterschiedlichen
Ergebnissen, sei es das Thema Rache, oder Selbstjustiz.
Val McDermid ist Schottin, doch empfinde ich ihre Thriller zwar nicht als
Frohnaturen, aber eben auch nicht als so düster und melancholisch wie
skandinavische Werke. Sie studierte in Oxford Literatur und hat viele Jahre als
Journalistin gearbeitet. Daher ist ihre Sprache nicht nur ausdrucksstark,
sondern ihre Fälle auch gut recherchiert und logisch. Auch wenn es am Ende
anders kommt, als ich es erwartet habe, ist es in sich absolut schlüssig und
durch den Charakter der Personen fast schon zwingend angelegt. Denn die
Charaktere sind Persönlichkeiten, die sich von Fall zu Fall weiterentwickeln,
so daß man auch Einblick in das Privatleben des Teams erhält, aber ohne von
Nebenschauplätzen erschlagen zu werden.
Schauspieler Wolfgang Berger spricht mit seiner ruhigen, bedächtigen Stimme
passend zu dieser realistischen, bodenständigen Geschichte. Seine Stimme klingt
älter als er auf dem Foto erscheint. Aber auch Tony und Carol sind inzwischen
reifer und gealtert, so daß ich es eigentlich ganz passend finde. Man kann ihn
gut verstehen, er hat eine klare, deutliche Aussprache. Da es sich um den
ungekürzten Buchtext handelt und ich beim Hören den Text nicht vor Augen habe,
hatte ich beim Hören bisweilen etwas Schwierigkeiten die Pronomen zuzuordnen,
da man anders als beim Lesen ja bisweilen abgelenkt wird. Vor allem zu Beginn
der Handlung, war ich damit etwas überfordert, weil ich erst mal wieder
überlegen mußte, wer nun wer ist und was in den Bänden bisher geschehen ist...
noch kenne ich einige, aber nicht alle Bände der Reihe. Da es kein Personenverzeichnis
gibt, ist mir der Start etwas schwer gefallen.
Dieser Thriller ist kein Kracher, kein Reißer, kein Schocker, sondern mehr
ein paranoides Grauen der alltäglichen Gefahren, derer wir uns gar nicht so
bewußt sind, die wir allzu gerne verdrängen, weil es für uns das Leben leichter
macht. Die Intelligenz der Überlegungen und Denkanstöße hat mir wirklich
gefallen, ebenso, daß die Autorin ihren Personen Zeit und Raum für Entwicklung
gibt. Wer rasante Action liebt, der sollte nicht zugreifen, wer aber Gefallen
an menschlichen Abgründen und was-wäre-wenn Gedankenspielen hat, der ist hier
Gold richtig.
Ich werde nun wohl meine Lücken innerhalb der Reihe schließen, denn mir ist
mal wieder aufgefallen, wie gerne ich ihre Werke mag. Intelligenz, Psychologie
und Aktualität, für mich topp.
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