Federspiel, von Oliver Ménard, Knaur
Die Journalistin Christine Lenève aus Berlin, aufgewachsen
bei ihrem alleinerziehenden Vater in Frankreich ist eine Getriebene. Wenn sie
eine Spur aufgenommen hat, beißt sie sich fest und gibt nicht auf. Der
legendäre Chefredakteur Beinert ihr den Auftrag erteilt Sarah Wagner, seine
spurlos verschwundene Moderatorin eines Peoples Sendung zu suchen, ist sie er
mal nicht begeistert. Dieses blonde Kunstgeschöpf ist ihr erst einmal
unsympathisch. Doch je mehr sie in Sarahs Wohnung und Vergangenheit, desto mehr
weiß sie, daß Sarah nicht einfach eine oberflächliche Barbie mit Vitamin B ist,
sondern eine Frau in Not. Ihr ehemaliger Kollege Albert, ein hervorragender
Hacker unterstützt sie, damit jemand auf sie aufpasst. Die Spuren führen zum
berüchtigtsten Serienmörder der DDR, der es stets auf 16-18 jährige blonde
Mädchen abgesehen hatte, welche er vergewaltigte und dann die Asche der
verbrannten Leichen an die trauernden Eltern schickte. Doch Sarah ist
inzwischen keine 17 mehr, wieso jetzt, wieso sie? Ein Rennen gegen die Zeit
entspinnt sich, in dem Christine und Albert von dem inzwischen pensionierten
Ermittler der Volkspolizei unterstützt werden, der es nie verwunden hat, daß
der Mörder auf Grund des Mauerfalls nie gefasst wurde.
Dieses Thriller führt in menschliche Abgründe, sowohl des
Täters, des Opfers, aber auch ihrer Verfolger. Der Thriller beginnt packend und
sehr spannend. Mein Problem war, daß ich mich mehr mit Albert als mit Christine
identifiziert habe. Albert ist ein Schatz, den muß man einfach mögen, während
Christine Verletzungen aus der Vergangenheit eine gewisse Distanz zu ihr
aufbauten. Meine Ernährung ist sicher nicht vorbildlich, aber im Vergleich zu
Christine könnte ich Ernährungsratgeber schreiben. Bei dem Konsum von
Zigaretten und Energy-Drinks ist mir schon beim Lesen schlecht geworden. Christine
versucht stets Albert nicht zu verletzen, weil auch sie erkennt, was er für ein
Schatz ist. Ohne es zu wollen tut sie es dennoch. Wahrscheinlich ist das der
Grund, weshalb ich nicht ganz so mitfiebern konnte, wie andere. Denn dieser Thriller
hat neben der Spannung auch noch andere Stärken. Ich mochte die Seitenhiebe auf
die ehrgeizigen Prenzlauer-Berg-Mütter und Menschen die sich zum Ausdruck ihrer
Individualität tätowieren lassen. Die kleinen feinen Beobachtungen der Berliner
und ihrer Kieze gefielen mir. Diese trafen auch bisweilen die oberen 10.000 und
die, die gerne dazu gehören. Promi-Psychiater und Star-Anwälte werden von der
spitzen Feder des Autors auch nicht verschont. Das machte mir sprachlich
wirklich großen Spaß, ebenso wie die Einblicke in die zurückgebliebenen der
DDR. Ich gehöre einer Generation an, die fast nur das Beste der DDR erlebt
haben. Als Kinder haben sie nicht allzu sehr nachgedacht, wegen der wenigen
Autos konnte man gefahrlos auf der Straße spielen und über Reisen und Freiheit
hat man nicht groß nachgedacht. Doch für einige Ältere wurde mit dem Mauerfall
quasi der Boden unter den Füßen weggezogen. Die ehemaligen Gesetzeshüter müssen
sich gefühlt haben, als würde ihre bisherige Arbeit mit Füßen getreten. Als kämen
da mal ein paar Entwicklungshelfer, die ihnen mal dringend zeigen müßten, wo es
lang geht. Aber die Menschen im Osten waren ja nicht dümmer, sie mußten mit
weniger Mitteln z.T. die gleiche Arbeit erledigen. Das machte kreativ.
Einblicke in diese Behelfseinfälle bietet der 2. Teil des Buches, der sich auf
die Taten in Brandenburg vor über 20 Jahren konzentriert. Diese Einblicke und
Reflexionen heben diesen Thriller aus der Masse ab. Spannung setze ich bei
einem Thriller voraus, den Mehrwert erhoffe ich, erhalte ihn jedoch nicht
immer.
Ein wirklich guter Thriller, dem ich gerne 4 von 5 Sternen
gebe und wirklich zu Lesen empfehle.
Ein ganz herzliches Dankeschön an den Autor, der mir
umwerfender Weise ein signiertes Exemplar schickte, weil ich mich nach all den
begeisterten Rezensionen mit schwarzärgerte, diese Runde verpaßt zu haben.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen