Einfach nur Paul, Tania Witte, gelesen von Jonathan Berlin & Isabel Abedi, 6 h 10 min. digital only, German Wahnsinn Records
Paul (16) ist Sänger der Schulrockband „Going under“ obwohl er Rock hasst und meint, er könne nicht singen. Aber die Bandmitglieder sind seine besten Freunde, sie verlassen sich für den Bandwettbewerb auf ihn und in Gitarristin Amira ist er hoffnungslos verliebt. Mit seinem Vater kann er gar nicht, der hat auch Null Verständnis für seinen Look, während er zum Glück die coolste Mutter aller Zeiten hat. Nicht nur die, auch seine kleine Schwester Linn, eine absolut clevere Nerdin ist die beste Schwester der Welt. Bis sie für ein Bioreferat einen Familienblutgruppentest macht und feststellt, dass Paul irgendwie nicht ganz dazu gehören kann. Kein Wunder, dass Paul sich von seinem Vater immer abgelehnt gefühlt hat und sie so gar keine Gemeinsamkeiten haben. Doch es ist ganz anders und das wirft ihn völlig aus der Bahn!
Ehrlich, einige Coming-of-Age Romane lassen mich absolut kalt, auch Klassiker wie „Der Fänger im Roggen“. Ich finde die „Helden“ dieser Geschichten absolute Jammerlappen, die gar nicht zu schätzen wissen, was sie haben, sich im Selbstmitleid suhlen, statt die Dinge in die Hand zu nehmen. Hier ist es anders. Ich kann verstehen und fühlen, dass Paul bis ins Mark erschüttert ist, dass die ständigen Wendungen ihn ebenso emotional überfordern, wie all die Möglichkeiten, die ihm offenstehen, oder auch nicht. Er braucht Zeit das alles sacken zu lassen und es wirft ihn völlig aus der Bahn, aber er lässt sich nicht einfach runterziehen. Er weiß jederzeit wer seine Freunde sind und dass er sich auch auf Linn jederzeit verlassen kann. Er muss also nicht alles in Frage stellen, auch wenn er zu Beginn fürchtete auch sie zu verlieren. Als er aber merkt, dass dem nicht so ist, versucht er nach und nach, sein Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen und ihm die neuen Impulse und Richtungswechsel zu geben, die er schon längst hätte in Angriff nehmen sollen, sich aber nicht getraut hat. Als er es tut, bricht seine Welt nicht wie befürchtet zusammen, im Gegenteil! Das macht unglaublich Mut, nicht nur nach seinen Stärken und Zielen zu suchen, sondern sie auch anzugehen. Alles ist möglich, auch eine neue Liebe und vielleicht sogar eine Familie plus. Immer wenn Paul das Gefühl hat, jetzt irgendwie klar zu kommen, kommt es noch dicker und es werden absolut moderne Jugendsorgen, in einer Welt, die scheinbar offen und tolerant genug für alles ist (vor allem in Berlin), thematisiert. Asexualität, Transgender, Nicht-Binär.... das kann auch einen ganz „normalen“ Hetero-Teen aus den Latschen hauen, wenn es ihn indirekt betrifft. Dabei gefällt mir sehr gut, dass hier auch die Asexualität angesprochen wird, denn wir sind bisweilen so tolerant und übersexualisiert, dass für das Fehlen kein Raum zu bleiben scheint und es gedanklich meistens völlig untergeht.
Sprachlich gelingt es Tania Witte sehr gut, jung zu klingen, ohne sich sprachlich anzubiedern. Man nimmt ihr Pauls Gedanken als seine eigenen ab. Das liegt nicht nur an der Erzählperspektive in der Ich-Form, sondern eben auch an der Sprache, die sich auch durchaus in den zwei wechselnden Perspektiven von Paul und „K“ unterscheidet.
Die szenische Inszenierung hat mir unglaublich gut gefallen, gerade weil ich mit E-Musik nicht viel am Hut habe. Die Einspielungen haben mir ganz deutlich gemacht, wie Pauls Musiker Herz schlägt, wie er seine Gefühle ausdrückt und das ist eben nicht Sex, and Drugs and Rock'n Roll! Jonathan Berlin klingt absolut authentisch als Jugendlicher, dem der Boden unter den Füßen weggezogen wird und dadurch im Gefühlschaos versinkt. Doch nicht nur er sucht nach sich selbst, auch seine leibliche Mutter tut dies. Doch statt in Musik, drückt „K.“ ihre Gedanken in einem Tagebuch für ihren Sohn aus. Diesen Part übernimmt Isabel Abedi, die „K“s Hoffnungen, Ängste und Entwicklung aus dem Tagebuch übernimmt. Es ist, als ließe sie einen in „K“s Kopf blicken, in dem alles herumwirbelt und Angst und Unsicherheit mit der Hoffnung konkurrieren. Mutterliebe ist schon was ganz Besonderes, aber ist es das auch, wenn die Mutter einfach geht? „K“ versucht mehr sich zu erklären, als sich zu rechtfertigen. Schwierig aus Pauls Sicht, aber nachvollziehbar aus „K“s. Isabel Abedi gelingt es „K“s Emotionen und Unsicherheiten einen Klang zu verleihen und somit ihre Emotionen hörbar und besser spürbar zu machen.
Was mir wirklich gut gefällt, ist dass diese Geschichte ein offenes Ende hat, weil Jugend nun mal Entwicklung bedeutet und warum müssen wir jetzt schon wissen, wie Paul in 20 Jahren sein wird? Aber seine Selbstfindung ist soweit abgeschlossen, dass wir wissen, dass er klar kommen wird und das nicht alleine!
Ein Held mit Ecken und Kanten, der seinen Weg geht und Mut macht, Mut auch seine Gefühle und Wünsche anzunehmen und zu leben.
Ganz herzlichen Dank an German Wahnsinn Records und Donate Altenberger!
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