Mittwoch, 22. Januar 2020

Grado im Sturm, ein Adria Krimi, Andrea Nagele, Emons Verlag



Grado im Sturm, ein Adria Krimi, Andrea Nagele, Emons Verlag

Es liegt eine unerträgliche Hitze über Grado. Es weht kein Lüftchen.Als dann doch ein Gewitter heran bricht, fällt der Strom aus. Der 14 jährige Emmanuele ist währenddessen gerade in einem kleinen Supermarkt und belauscht ein Gespräch, dass ihm trotz der Hitze das Blut in den Adern gefrieren lässt. Hat er da wirklich eine Morddrohung mitangehört? Eilig rennt er zur Polizei, um von dem Belauschten zu berichten, doch er wird als Dieb bezichtigt, seine Aussage und Daten nicht aufgenommen und er fortgeschickt. Am nächsten Mittag ist wird der Junge von seiner Mutter als vermisst gemeldet und die Dienststelle hat ein echtes Problem. Während Maddalena mit Nachdruck nach dem Vermissten sucht, versucht ein passionierter Meteorologe eine Sturmwarnung zu verbreiten. Doch sein Chef meint, er würde die Bevölkerung nur unnötig in Schrecken vor einem Jahrhundertsturm versetzen, der nur in seiner Fantasie aufzöge und nimmt die Warnung aus dem Netz. Eine deutsche Familie baut ihr Zelt nahe der Lagune auf. Eine Krankenschwester geht endlich ihrem persönlichen Albtraum nach und stellt sich der Vergangenheit, ohne zu ahnen, was sie damit lostritt. Der Wellnessurlaub von zwei alten Schulfreunden, läuft alles andere als entspannt...

Dies ist der 4. Band um die attraktive Commissaria Maddalena Delgrassi aus Grado, mit dem sehr eigenwilligen Chef, der mittlerweile mit ihrer Mutter verbandelt ist. Für mich war es der Einstieg, der problemlos gelang, auch wenn mir bei der Lektüre bewusst wurde, dass es einige Komplikationen aus ihrem Privatleben gibt, die ich nicht kenne, die soweit erforderlich angerissen werden, aber nicht so weit ausgeführt werden, dass man keine Lust mehr auf die Vorgängerbände bekommt.


Jedes Kapitel wird aus einer anderen Sicht geschildert, von Paaren oder Familien, die scheinbar nichts verbindet, außer, dass sie derzeit eine persönliche Krise durchleben. Man spürt dadurch wie sich der Sturm in ihrem Innern zusammenbraut, während sich das Wetter dem Siedepunkt nähert, von den meisten unbeachtet. Zu sehr sind sie in ihren eigenen Sorgen und Gedanken verhaftet. Das ist eine ungewöhnliche Erzählweise, auch weil sich der Mord erst anzukündigen scheint, aber keine Leiche auftaucht, deren Herkunft geklärt werden müsste. Ein Krimi ohne Tat, nur mit vibrierender Vorahnung in der Luft?

Mit dem Sturm scheint sich der Zorn Gottes zu entladen und es kommen ungeahnte Leichen ans Licht, während sich andererseits persönliche Krisen Bahn brechen. Ein Gewitter kann reinigend sein, dieser Tornado richtet Verwüstung an.

Am Ende fügt sich alles für den Leser zusammen. Die Ermittler haben einen Plan und eine Ahnung, die Feinheiten werden sich noch zusammenfügen, dessen ist man sich gewiss, das Wie wird der Vorstellungskraft des Lesers überlassen, weil dies eigentlich nur noch langweilige Routine ist. Das Spannende, die persönlichen Verwicklungen und Triebfedern sind offenbart. Das Unwetter bringt nicht nur alte Sünden zu Tage, sondern offenbart auch die Abgründe der menschlichen Seele, die nicht immer nur schlecht sind. So werden einige zu Helden, denen man es nie zugetraut hätte, während andere, sich zeitlebens nach dieser Nacht vor sich selbst fürchten werden, da sie wissen, wozu sie in der Lage sind.

Die Autorin hat nicht nur ihren Zweitwohnsitz in Grado und spricht fließend Italienisch, sie ist auch  Paartherapeutin und kennt sich daher mit disfunktionalen Beziehungen und menschlichen Miseren bestens aus.

Dieser Krimi bezieht seine Spannung aus der Atmosphäre des aufziehenden Unwetters, dass mit den persönlichen Krisen der zahlreichen Protagonisten korreliert. Ähnlich einer griechischen Tragödie spitzt es sich zu, doch endet es nicht für alle schlecht. Einige werden gelöst und erlöst aus diesem Sturm hervorgehen und andere werden innerlich zerstört sein.

Die Commissaria hat ihre eigenen Grenzen kennengelernt, ihre Prioritäten erfahren und wird nun auch mit den übrigen Unannehmlichkeiten des Lebens klar kommen. Diese vermögen ihr aber nicht den Genuss am Leben zu nehmen und daher gibt es zum Abschluss noch ein Rezept für mehr Adria Feeling: Spaghettoni aus Gragnano mit Lagunen-Sardinen und wildem Fenchel.

Ein psychisch sehr eindrucksvoller und außergewöhnlicher Krimi.

Ich bedanke mich ganz herzlich beim Emons Verlag für mein Rezensionsexemplar.

Dienstag, 21. Januar 2020

Hirschhornharakiri, Oliver Kern, gelesen von Michael Schwarzmeier, Radomhouse Audio, 6 CDs, 420 Minuten



Hirschhornharakiri, Oliver Kern, gelesen von Michael Schwarzmeier, Radomhouse Audio, 6 CDs, 420 Minuten

Fellingers 3. Fall hat es in sich! Nach dem Fest zum 150. Geburtstag der freiwilligen Feuerwehr hat der Hygieneinspektor einen Filmriß und offensichtlich irgendwie Stress mit seiner Liebsten, der Hollmüllerin. Franziska. Wie konnte er nur so viel Trinken, dass er sich an nichts erinnern kann? Was wollte er unbedingt vergessen? Es steht sein alter Spezi der Polizeihauptinspektor Lechner vor der Tür und wirft ihn aus seinem komatösem Schlaf. Der Rosenberger Horst ist erstochen im Wald aufgefunden worden. Die Tatwaffe, ein halbes Geweih, steckte noch in seinem Leib und auf diesem befinden sich zahlreiche Fingerabdrücke vom Fellinger. Auch dessen Jacke mit Ausweisen lag in unmittelbarer Nähe des toten Jägers im Wald. Drum nimmt der Lechner den Fellinger auch gleich mit aufs Revier, zur Befragung. In Bruchstücken kommt die Erinnerung zurück. Immer mehr Konflikte des recht eigensinnigen Rosenbergers mit anderen Gästen fallen ihm ein. Den Motiven müssen sie nachgehen. Es sind erstaunlich viele andere, die in Betracht kommen, das macht es nicht leichter, den Mörder zu finden, ehe der Kriminaler aus der Großstadt eingetroffen ist und ihn wohl inhaftieren wird.

Der Einstieg beginnt schon sehr witzig, mit dem schlecht gelaunten Riesenkater, den der Hygienekontrolleur inzwischen bei sich aufgenommen hat, nachdem dieser ihm im letzten Fall das Leben gerettet hat. Dabei ist das Tier nicht freundlicher zu ihm, als der gleichnamige Brummschädel. Der Ort ist klein und jeder kennt jeden, weswegen sich schon schnell herumgesprochen hat, was denn geschehen sein soll. Nach und nach fällt dem Hauptverdächtigen ein, wen er denn alles am Tag zuvor im Dienst kontrolliert und wem er die Gaststätte geschlossen hat. Ja, da kommen auch einige in Frage, die auf ihn nicht gut zu sprechen sind, auch wenn er nur seine Arbeit gemacht hat. Er ist halt von Natur aus neugierig und geht den Dingen auf den Grund. Das Ermitteln steckt ihn im Blut und bei der Polizei haben sie ihn ja wegen seines Knieproblems nicht haben wollen, nur seine Fingerabdrücke, die haben sie behalten. Dabei ist er im Kopf deutlich fixer und flexibler als einige der örtlichen Hilfssheriffe! Weil dies auch dem Lechner klar ist, fährt dieser auch vorschriftswidrig mit dem Fellinger los (ohne Handschellen), um alternativen Tatabläufen, zu den augenscheinlichen, auf den Grund zu gehen. Zu Tage treten unerwartete Verwicklungen amouröser und mafiöser Natur. Aus Zeitdruck fordert der Hygieneinspektor auch die ein oder andere Schuld ein und geht neue Verpflichtungen recht eigentümlicher Natur ein. Hier tritt dann auch mein Lieblingsspezi auf den Plan, der Aschenbrenner Albi. Ich habe das Hörbuch beim Kochen gehört und als ich Lachen musste, sah mich meine Jüngste mit gerunzelter Stirn erstaunt an und meinte, warum lachst Du? Den Humor verstehe ich nicht. Ja, derart kauzige Faktoten gibt es in kleinen Gemeinden und in Niederbayern vielleicht ganz besonders. Es ist witzig, aber kein Humor für die ganze Familie, aber man kann es dennoch gut hören an Orten und in Situationen, in denen Kinder gerne mal dazu kommen, es ist nicht jugendgefährdend.

Der Spaßfaktor ergibt sich aus der bisweilen leicht pedantischen Art des Fellingers und auch den anderen recht verschrobenen Charakteren, die z.T. in jedem Fall erneut auftauchen, die sich darin weiter entwickeln und die man bald schon selbst zu kennen glaubt.

Diesmal entsteht die Spannung sowohl aus dem Element des Zeitdrucks. Schafft er es nicht nur den Fall zu lösen, sondern rechtzeitig? Anfangs kann er ja noch nicht mal vor die Tür um zu Schnüffeln, da er ja unter polizeilicher Beobachtung steht. Als auch aus der Frage, die immer im Hintergrund herumspukt, was ihm wohl so zugesetzt haben könnte, dass er entgegen seiner Natur, das Bedürfnis verspürte sich bis zur Besinnungslosigkeit zu besaufen. Das wird als Bonbon zum Schluss geklärt, versprochen.

Die Wahl des Sprechers ist wieder 1a. Michael Schwarzmeier passt wie die Faust aufs Auge. Mal grantelt er, mal klingt er pedantisch, mal derb oder urig und immer irgendwie bayrisch, ohne dass man Probleme hätte ihn zu verstehen. Seine Stimme hat sogar das richtige Alter für diesen peniblen Möchtegern-Polizisten, der nicht mehr ganz jung, und auch nicht alt ist, mit 43 ein gestandenes Mannsbild in den besten Jahren... meinen Männer ja so. Er atmet mit jedem Satz bayrische Provinz aus und schafft eine urige Zuhöratmosphäre. Sehr gelungen, wie er auch immer wieder so kleine running gags locker gekonnt einbaut, dass man ihm am Ende einfach nur eine neue Jacke wünscht... Sehr trocken, spitzt er die Pointen zu.

Ein humoriger Krimi mit viel Lokalkolorit, bei dem es menschelt und es bei der Vielzahl der Verdächtigen richtig Spaß macht mitzurätseln. Ich bin gespannt, was ihm das nächste Jahr für ein Dilemma bringen wird.

Ich bedanke mich ganz herzlich beim Bloggerportal und randomhouse audio für dieses kurzweilige Krimivergnügen.