Mittwoch, 19. September 2018

Rachgier, Val McDermid, ungekürzte Lesung Wolfgang Berger, Steinbach sprechende Bücher



Rachgier, Val McDermid, ungekürzte Lesung Wolfgang Berger, Steinbach sprechende Bücher

Ein neuer Fall für Detective Chief Inspector Carol Jordan und Profiler Tony Hill (ihr 10.). Nach der erfolgreichen Vertuschung von Carols Trunkenheitsfahrt mit fatalen Folgen, hat sie es mit Tonys Hilfe nun endlich geschafft trocken zu werden. Doch es ist ein täglicher Kampf. Sie quält permanent das schlechte Gewissen und ist leicht reizbar. Sie hat den Eindruck es nicht verdient zu haben nun Leiterin der ReMIT Elitespezialeinheit zu sein und mit dieser Einschätzung ist sie nicht allein. Journalistin Peggy Burgess setzt alles daran, Carols dunkles Geheimnis zu skandalträchtig zu enthüllen. Auch ihr erster Fall in der neuen Position hat es in sich. Eine verkohlte Leiche in einem Auto in einer Haltebucht einer engen Landstraße in den Dales. Doch die unauffällige, einsame Büroleiterin Kathryn McCormick wurde nicht Opfer eines Unfalls, sondern eines Mordes und ihr Mörder kennt sich mit forensischer Spurensuche aus. Er ist ein Meister darin keine Spuren zu hinterlassen. Als eine zweite derartige Leiche wenig später gefunden wird, zeigt sich eine weitere Parallele, auch das zweite Opfer hatte gerade erst auf einer Hochzeit einen mysteriösen, attraktiven Mann kennengelernt, den weder das Brautpaar, noch die übrigen Gäste kannten. Auch Carols Sergeant Paula hat private Probleme, ihr Pflegesohn Torin ist Ziel einer Cybererpressung.

Für mich war es das erste ungekürzte Hörbuch eines Val McDermid Thrillers. Hierdurch werden die Motive und Gedanken deutlicher. Während dadurch das Werk für mich mehr ein Krimi als ein Thriller ist, verleihen diese Überlegungen der Geschichte mehr Tiefgang und mehr Nachhaltigkeit. Es gibt keine wilden Verfolgungsjagden oder eingesperrte Ermittler, die in letzter Sekunde aus den Fängen des skrupellosen Psychopathen befreit werden können. Nein, das Grauen ist subtiler, denn es ist irgendwie allgegenwärtig und kann jeden treffen. Manchmal reicht dazu einfach ein Missverständnis aus, oder verletzte Eitelkeit eines völlig Fremden.

Neben den möglichen Rachemotiven und -gelüsten dreht sich hier die Tat auch um das Thema Selbstjustiz. Das stört mich ja meistens in Thrillern/Krimis, weil ich finde, daß es auch bei Mangel an Beweisen keine Lösung ist, sondern es bisweilen einfach etwas mehr Geduld bedurft hätte. Val McDermid ist nun nicht mehr die Jüngste und das merkt man auch an der Reife der Gedanken, da sie das Dilemma der Ermittler wirklich toll darstellt und beleuchtet, auf eine Art und Weise, die auch mich zufrieden zurücklässt, aber auch mit einem Fragezeichen für die Zukunft dieser Serie. Der deutsche Titel ist dabei sehr treffend gewählt, da einem am Ende so richtig bewußt wird, wie viele Rachepläne in diesem Fall eigentlich zusammentreffen. In der Lese-Hörrunde an der ich teilnahm, gab es einige kritische Stimmen, die meinten, daß man diesem Werk das Alter seiner Autorin anmerken würde. Ja, die Gedanken, die sich in den Taten spiegeln sind zum Teil profund und zeugen von Reife. Doch die Taten und ihre Tücken, mit denen sich Carol Jordan und ihr Team rumschlagen müssen, sind hochaktuell und in ihrer Ausführung sehr perfide. Und mit Jahrgang 1955 finde ich sie nicht alt oder senil. Das stellt sie auch dadurch unter Beweis, daß sie es schafft sich in die Cyberkriminalität, Mobbing an Schulen und die Gefahren der Social Medias hervorragend hineinzudenken. Gefahren, die immer und überall lauern. Besonders interessant finde ich, daß einige Probleme wiederkehrend von verschiedenen Seiten beleuchtet werden, mit zum Teil unterschiedlichen Ergebnissen, sei es das Thema Rache, oder Selbstjustiz.

Val McDermid ist Schottin, doch empfinde ich ihre Thriller zwar nicht als Frohnaturen, aber eben auch nicht als so düster und melancholisch wie skandinavische Werke. Sie studierte in Oxford Literatur und hat viele Jahre als Journalistin gearbeitet. Daher ist ihre Sprache nicht nur ausdrucksstark, sondern ihre Fälle auch gut recherchiert und logisch. Auch wenn es am Ende anders kommt, als ich es erwartet habe, ist es in sich absolut schlüssig und durch den Charakter der Personen fast schon zwingend angelegt. Denn die Charaktere sind Persönlichkeiten, die sich von Fall zu Fall weiterentwickeln, so daß man auch Einblick in das Privatleben des Teams erhält, aber ohne von Nebenschauplätzen erschlagen zu werden.

Schauspieler Wolfgang Berger spricht mit seiner ruhigen, bedächtigen Stimme passend zu dieser realistischen, bodenständigen Geschichte. Seine Stimme klingt älter als er auf dem Foto erscheint. Aber auch Tony und Carol sind inzwischen reifer und gealtert, so daß ich es eigentlich ganz passend finde. Man kann ihn gut verstehen, er hat eine klare, deutliche Aussprache. Da es sich um den ungekürzten Buchtext handelt und ich beim Hören den Text nicht vor Augen habe, hatte ich beim Hören bisweilen etwas Schwierigkeiten die Pronomen zuzuordnen, da man anders als beim Lesen ja bisweilen abgelenkt wird. Vor allem zu Beginn der Handlung, war ich damit etwas überfordert, weil ich erst mal wieder überlegen mußte, wer nun wer ist und was in den Bänden bisher geschehen ist... noch kenne ich einige, aber nicht alle Bände der Reihe. Da es kein Personenverzeichnis gibt, ist mir der Start etwas schwer gefallen.

Dieser Thriller ist kein Kracher, kein Reißer, kein Schocker, sondern mehr ein paranoides Grauen der alltäglichen Gefahren, derer wir uns gar nicht so bewußt sind, die wir allzu gerne verdrängen, weil es für uns das Leben leichter macht. Die Intelligenz der Überlegungen und Denkanstöße hat mir wirklich gefallen, ebenso, daß die Autorin ihren Personen Zeit und Raum für Entwicklung gibt. Wer rasante Action liebt, der sollte nicht zugreifen, wer aber Gefallen an menschlichen Abgründen und was-wäre-wenn Gedankenspielen hat, der ist hier Gold richtig.

Ich werde nun wohl meine Lücken innerhalb der Reihe schließen, denn mir ist mal wieder aufgefallen, wie gerne ich ihre Werke mag. Intelligenz, Psychologie und Aktualität, für mich topp.

Dienstag, 18. September 2018

Das Mädchen, das im Buchladen gefunden wurde, Sylvia Bishop, Ilka Teichmüller, Argon Verlag



Das Mädchen, das im Buchladen gefunden wurde, Sylvia Bishop, Ilka Teichmüller, Argon Verlag

Mit 5 Jahren betrat eine Familie den Buchladen von Netty Miller und verlässt ihn, ohne ihre Tochter. Nettys Sohn Michael, der nur wenige Jahre älter ist, findet sie und stellt sie in das Regal für Fundsachen bzw. „Lost Property“ denn die Geschichte spielt in England. Als Netty sie dort entdeckt, nimmt sie sie herzlich bei sie auf und weil ihnen kein besserer Name einfällt, heißt das Mädchen fortan Property. Property schließt Netty und Michael sofort in ihr Herz und traut sich daher nicht, zuzugeben, daß sie mit 5 Jahren noch nicht Lesen und Schreiben kann (in England beginnt die Schule ja viel früher als bei uns). Sie liebt ihr Leben, doch als gute Beobachterin, merkt auch sie, daß es mit dem Buchladen bergab geht und ihr Leben immer ärmlicher wird. Da entdeckt Netty in der Zeitung, daß Mr. Montagomery seinen legendären Buchladen „Montgomerys Bücherparadies“ in London verlost. Warum sollte man so einen traumhaften Buchladen einfach verschenken, Property wundert sich. Als sie bei dieser Lotterie auch noch gewinnen und in den neuen Laden einziehen, wird es immer mysteriöser und das liegt nicht nur an der eigenwilligen Katze, die es als Beigabe obenauf gibt.

Diese Geschichte hat meine 9-jährige Tochter auf Anhieb fasziniert. Sowohl der Name Property, als auch sein Kind in einem Buchladen und vergessen und es dann ins Regal zu den Fundsachen zu räumen! Na sowas! Ich finde das als Gedanken ja furchtbar traurig und auch andere Erlebnisse, die nun folgen, finde ich eher schwermütig, z.B. daß Familie Miller sich die Beheizung des Buchladens nicht mehr leisten kann und daher ohne Ende Tee kocht und auch an die Kunden verteilt. Aber sie hat Recht. Auch wenn sie immer ärmer werden und die Verhältnisse immer schwieriger, so haben sie doch einander und das Reich der Wörter, der Geschichten, der Bilder und der Fantasie! Da Property nie gelernt hat zu lesen (was mich persönlich schon gewundert hat, daß Michael und Property anscheinend nie in die Schule gehen) ist sie eine ausgezeichnete Beobachterin. Mit ihrem wachen Geist reimt sie sich einiges zusammen und stellt Fragen, die sonst anscheinend niemandem in den Sinn kommen. Natürlich lässt Property die Zuhörer an ihren Fragen und Verwunderungen teilhaben, so daß man sich mit ihr wundert und auf alles gefasst ist. Na ja, nicht ganz auf alles, denn was da letztendlich auf sie zu kommt, kann man nicht erwarten und vorher sehen, denn das legendäre „Montgomery Bücherparadies“ ist beispiellos, ebenso wie die dunklen Machenschaften, die sich um dieses ranken. Das ist sehr aufregend und geheimnisvoll! Doch Property ist in ihrer Grundeinstellung so positiv und Ilka Teichmüllers Stimme so warm, daß meine sehr empfindsame jüngste Tochter, die sich bisweilen bei CD's für 4 oder 6 – Jährige gruselt, jederzeit vollstes Vertrauen in den guten Ausgang der Geschichte hatte, daß sie sie gleich zum Einschlafen gehört hat.

Es ist eine sehr ungewöhnliche Geschichte. Sehr atmosphärisch, etwas märchenhaft, etwas magisch und auf jeden Fall sehr fantastisch, ohne gleich Fantasy zu sein, aber eben sehr fantasievoll. Das Gefühl, diese Geschichte irgendwo schon mal gehört zu haben, so ungefähr, überkommt einen nie. Dabei kann man bisweilen herrliche Zitate genießen und eine malerische Sprache.
Ebenso sympathisch wie Property sind auch Netty Miller und ihr Sohn Michael, die das Findelkind ganz selbstverständlich bei sich aufnehmen und das wenige teilen, was sie haben. Bei aller Traurigkeit über den Verlust ihrer Familie, aber auch wieder sehr beruhigend, denn Property fühlt sich sehr geborgen. Nicht jedoch, wenn die Schurken auftauchen, aber da wollen wir ja nicht vorgreifen.... Es ist auf jeden Fall eine Geschichte, die nicht nur für Bücherfans und Leseratten gedacht ist, sondern auch für Fans geheimnisvoller Spannung.

Ilka Teichmüller ist Theaterschauspielerin und Sprecherin für Funk, Fernsehen und Hörbücher. Den Gedanken ein Kind in einem Buchladen zu vergessen fand ich ja sehr traurig, als meine Tochter sich das Hörbuch wünschte, aber als ich las, daß Ilka Teichmüller es einliest, war ich dann einverstanden. In „Das Wolkenschloss“ gefiel sie mir persönlich noch besser, als in dieser Geschichte, doch laufen im Grand Hotel aber natürlich noch viel mehr Menschen herum, als selbst in Mr. Montgomerys Bücherparadies und somit mehr Möglichkeiten seine Wandlungsfähigkeit zu präsentieren. Warm und voll ist ihre Stimme aber auch hier, weswegen meine Tochter stets ein wohlig warmes Gefühl beim Zuhören hatte, auch wenn es gerade sehr spannend war.

Sylvia Bishop studierte an der Universität von Oxford und ist nun als Kabarettistin Teil des Duos „The Peablossom Cabaret“. Ihre Ideen für Geschichten schreibt sie am liebsten bei einer Tasse Tee und schummrigen Licht nieder. Wir wünschen ihr sehr, daß sie sich eine funktionierende Heizung leisten kann, anders als Familie Miller.

Dieses atmosphärisch dichte Hörbuch hat den Nerv meiner Tochter getroffen, die sich nicht mit so lästigen Fragen abgibt wie: warum ist das Jugendamt nicht eingeschaltet worden? Warum kann sie immer noch nicht lesen? Für die Magie dieser Geschichte sind solch pragmatische Fragen wenig förderlich, denn sie lebt von der Fantasie. Wer „Penelop und der funkenrote Zauber“ und ähnliche Hörbücher mag ist hier goldrichtig und wird sicherlich verzaubert werden.

Märchenhafte Spannung ab 8 Jahren, der meine Tochter gerne 5 von 5 Sternen gibt.

Wir bedanken uns ganz herzlich beim Argon Verlag, für dies 2 Stunden und 40 Minuten ungekürzter Hörfreude.