Interview mit Maja Nielsen zu „Der Tunnelbauer“
Liebe Maja Nielsen, im Rahmen des rheinischen Lesefestes Käpt'n Book durfte ich der Lesung zu „Der Tunnelbauer“ der wahren Geschichte des Flüchtlingshelfers Achim Neumann und seiner Freunde und Helfer lauschen und war sofort gefesselt.
F: Was hat Dich dazu veranlasst, über die innerdeutschen Flüchtlingshelfer während des Kalten Krieges zu schreiben?
A: Ich wollte meiner argentinischen Schwiegertochter Berlin zeigen. Wir haben dann bei dem Verein Berliner Unterwelten e.V. eine Führung gebucht, die uns zu den unterirdischen Fluchtwegen während des kalten Krieges führte. Im Rahmen der Führung besichtigt man auch einen der Fluchttunnel unter der Bernauer Straße. Als ich gesehen habe, wie eng diese Tunnel waren, die damals unter der Berliner Mauer hindurch mit einfachen Spaten gegraben wurden, wurde mir klar, was es damals bedeutete als Deutscher von Deutschland nach Deutschland zu fliehen. Man brauchte einen ungeheueren Mut.
Noch mehr als die Flüchtlinge interessierten mich die Menschen, die diese Tunnel damals gegraben haben. Wochenlang haben sich die Fluchthelfer unter der Erde verschanzt, damit die Grenzsoldaten der DDR keinen Verdacht schöpften. Sie haben unter der Erde geschlafen, gegessen, gelebt und monatelang verdammt, harte, körperliche Arbeit geleistet, um für ihre Freunde einen Fluchtweg zu schaffen, immer in der Angst entdeckt zu werden. In dieser Zeit sind auch Tunnelbauer von DDR Grenzern erschossen worden. Mir war gleich klar, dass ich über dieses Kapitel deutscher Geschichte schreiben wollte. Es ist unglaublich spannend.
F: Wie bist Du auf Achim und seine Gruppe gestoßen?
A:Besonders interessierten mich die Ereignisse rund um den Tunnel 57, bei dem tragischerweise ein Mensch ums Leben kam. Achim Neumann war an dem Bau dieses Tunnels beteiligt. Er arbeitet heute für die Stiftung Gedenkstätte Berliner Mauer als Zeitzeuge und die Stiftung stellte den Kontakt zu ihm her.
F: War es schwierig Kontakt zu Deinem literarischen Vorbild aufzunehmen?
A: Nein, das war ganz einfach. Nachdem die Stiftung den Kontakt hergestellt hatte, war Achim Neumann sofort bereit, mir ein Interview zu geben. Ich fuhr dann nach Berlin und die Chemie zwischen uns stimmte auf Anhieb. Wir waren während des Projekts ständig im Austausch, haben gemeinsam seine Stasi Akten eingesehen. In ihnen wurde er als Kopf einer kriminellen Menschenhändler Bande bezeichnet. Das, was ich in diesen Akten las, war sehr eindrucksvoll. So habe ich u.a. erfahren, dass die Staatssicherheit der DDR Achim Neumann noch in den 1980er Jahren bespitzelte, als er längst in Frankfurt am Main lebte. Seine Frankfurter Nachbarn wurden nach ihm ausgefragt. Fast 20 Jahre nach seinen Einsätzen als Fluchthelfer.
Ich durfte aber auch seine Verwandten treffen und manche seiner Wegbegleiter. Sogar Flüchtlinge, die durch die Tunnel in den Westen gekrabbelt waren, die Achim gegraben hatte. Und wenn ich eine Frage an Achim hatte, dann schrieb ich ihm einfach eine WhatsApp und er hat zeitnah geantwortet. Das ist natürlich ein Traum für einen Autor oder eine Autorin. Ganz besonders deswegen, weil Achim so ein gutes Gedächtnis hat.
F: Was hat Dich selbst am meisten beeindruckt?
A: Am meisten beeindruckt mich Achim Neumann. Heute trifft man nicht mehr oft auf Menschen, die so eine klare Haltung haben. Die bereit sind, sich bedingungslos für andere einzusetzen. Achim ist ganz unaufgeregt und sehr bescheiden, wenn er über seine Zeit als Tunnelbauer spricht. Dabei hat er mehr als einmal sein Leben aufs Spiel gesetzt, um anderen, den Weg in die Freiheit zu ebnen. Heute arbeitet der inzwischen 85-jährige Tunnelbauer als Zeitzeuge. Dabei geht es ihm auch darum zu vermitteln, wie wichtig es ist, für seine Überzeugungen zu kämpfen. Nach meinem Gefühl ist das Demokratieschulung, was er macht, wenn er mit Jugendlichen über diese Zeit spricht.
F: Haben Achim und seine Familie Dein Buch bereits gelesen?
A: Ja, alle kennen das Buch. Und ich habe das Gefühl, dass es allen gefällt.
F: Steht Ihr noch im Kontakt?
A: Ja, fast täglich. Gerade komme ich von einer Lesereise mit ihm zurück. Am Montag treffen wir uns in Hamburg wieder. Dann stellen wir die Geschichte in Norddeutschland in Bibliotheken und Schulen vor. Es gibt eine sehr große Nachfrage nach Veranstaltungen mit uns. Die Schülerinnen und Schüler von heute haben die Zeit der deutschen Teilung ja nicht mehr selbst erlebt. Die Mischung aus Literatur und Zeitzeugengespräch vermittelt Ihnen einen guten Eindruck. Sogar an die deutschen Schulen im Ausland werden wir eingeladen. Letztes Jahr waren wir gemeinsam an den vier deutschen Schulen in Kairo. Dieses Jahr im Herbst reisen wir zusammen an die deutsche Schule in Madrid.
F: Gibt es noch etwas, was Du Interessierten gerne mit auf den Weg geben würdest?
A: Ich habe den Wunsch, dass möglichst viele Menschen sich mit dem Thema der deutschen Teilung auseinandersetzen. Das geht besonders gut in Berlin. Ich glaube, es ist wichtig, dass man sich für die Geschichte unseres Landes interessiert. Nur dann spürt man, was auf dem Spiel steht, wenn wir unsere Demokratie nicht verteidigen.
Ich bedanke mich ganz herzlich für Deine Zeit und Deine Antworten! Man kann übrigens auch Lesungen insbesondere für Schulen mit Maja Nielsen zu diesem wahren Jugendthriller buchen!
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