Montag, 31. Oktober 2022

Einfach nur Paul, Tania Witte, gelesen von Jonathan Berlin & Isabel Abedi, 6 h 10 min. digital only, German Wahnsinn Records

 

Einfach nur Paul, Tania Witte, gelesen von Jonathan Berlin & Isabel Abedi, 6 h 10 min. digital only, German Wahnsinn Records

 

Paul (16) ist Sänger der Schulrockband „Going under“ obwohl er Rock hasst und meint, er könne nicht singen. Aber die Bandmitglieder sind seine besten Freunde, sie verlassen sich für den Bandwettbewerb auf ihn und in Gitarristin Amira ist er hoffnungslos verliebt. Mit seinem Vater kann er gar nicht, der hat auch Null Verständnis für seinen Look, während er zum Glück die coolste Mutter aller Zeiten hat. Nicht nur die, auch seine kleine Schwester Linn, eine absolut clevere Nerdin ist die beste Schwester der Welt. Bis sie für ein Bioreferat einen Familienblutgruppentest macht und feststellt, dass Paul irgendwie nicht ganz dazu gehören kann. Kein Wunder, dass Paul sich von seinem Vater immer abgelehnt gefühlt hat und sie so gar keine Gemeinsamkeiten haben. Doch es ist ganz anders und das wirft ihn völlig aus der Bahn!

 

Ehrlich, einige Coming-of-Age Romane lassen mich absolut kalt, auch Klassiker wie „Der Fänger im Roggen“. Ich finde die „Helden“ dieser Geschichten absolute Jammerlappen, die gar nicht zu schätzen wissen, was sie haben, sich im Selbstmitleid suhlen, statt die Dinge in die Hand zu nehmen. Hier ist es anders. Ich kann verstehen und fühlen, dass Paul bis ins Mark erschüttert ist, dass die ständigen Wendungen ihn ebenso emotional überfordern, wie all die Möglichkeiten, die ihm offenstehen, oder auch nicht. Er braucht Zeit das alles sacken zu lassen und es wirft ihn völlig aus der Bahn, aber er lässt sich nicht einfach runterziehen. Er weiß jederzeit wer seine Freunde sind und dass er sich auch auf Linn jederzeit verlassen kann. Er muss also nicht alles in Frage stellen, auch wenn er zu Beginn fürchtete auch sie zu verlieren. Als er aber merkt, dass dem nicht so ist, versucht er nach und nach, sein Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen und ihm die neuen Impulse und Richtungswechsel zu geben, die er schon längst hätte in Angriff nehmen sollen, sich aber nicht getraut hat. Als er es tut, bricht seine Welt nicht wie befürchtet zusammen, im Gegenteil! Das macht unglaublich Mut, nicht nur nach seinen Stärken und Zielen zu suchen, sondern sie auch anzugehen. Alles ist möglich, auch eine neue Liebe und vielleicht sogar eine Familie plus. Immer wenn Paul das Gefühl hat, jetzt irgendwie klar zu kommen, kommt es noch dicker und es werden absolut moderne Jugendsorgen, in einer Welt, die scheinbar offen und tolerant genug für alles ist (vor allem in Berlin), thematisiert. Asexualität, Transgender, Nicht-Binär.... das kann auch einen ganz „normalen“ Hetero-Teen aus den Latschen hauen, wenn es ihn indirekt betrifft. Dabei gefällt mir sehr gut, dass hier auch die Asexualität angesprochen wird, denn wir sind bisweilen so tolerant und übersexualisiert, dass für das Fehlen kein Raum zu bleiben scheint und es gedanklich meistens völlig untergeht.

 

Sprachlich gelingt es Tania Witte sehr gut, jung zu klingen, ohne sich sprachlich anzubiedern. Man nimmt ihr Pauls Gedanken als seine eigenen ab. Das liegt nicht nur an der Erzählperspektive in der Ich-Form, sondern eben auch an der Sprache, die sich auch durchaus in den zwei wechselnden Perspektiven von Paul und „K“ unterscheidet.

 

Die szenische Inszenierung hat mir unglaublich gut gefallen, gerade weil ich mit E-Musik nicht viel am Hut habe. Die Einspielungen haben mir ganz deutlich gemacht, wie Pauls Musiker Herz schlägt, wie er seine Gefühle ausdrückt und das ist eben nicht Sex, and Drugs and Rock'n Roll! Jonathan Berlin klingt absolut authentisch als Jugendlicher, dem der Boden unter den Füßen weggezogen wird und dadurch im Gefühlschaos versinkt. Doch nicht nur er sucht nach sich selbst, auch seine leibliche Mutter tut dies. Doch statt in Musik, drückt „K.“ ihre Gedanken in einem Tagebuch für ihren Sohn aus. Diesen Part übernimmt Isabel Abedi, die „K“s Hoffnungen, Ängste und Entwicklung aus dem Tagebuch übernimmt. Es ist, als ließe sie einen in „K“s Kopf blicken, in dem alles herumwirbelt und Angst und Unsicherheit mit der Hoffnung konkurrieren. Mutterliebe ist schon was ganz Besonderes, aber ist es das auch, wenn die Mutter einfach geht? „K“ versucht mehr sich zu erklären, als sich zu rechtfertigen. Schwierig aus Pauls Sicht, aber nachvollziehbar aus „K“s. Isabel Abedi gelingt es „K“s Emotionen und Unsicherheiten einen Klang zu verleihen und somit ihre Emotionen hörbar und besser spürbar zu machen.

 

Was mir wirklich gut gefällt, ist dass diese Geschichte ein offenes Ende hat, weil Jugend nun mal Entwicklung bedeutet und warum müssen wir jetzt schon wissen, wie Paul in 20 Jahren sein wird? Aber seine Selbstfindung ist soweit abgeschlossen, dass wir wissen, dass er klar kommen wird und das nicht alleine!

 

Ein Held mit Ecken und Kanten, der seinen Weg geht und Mut macht, Mut auch seine Gefühle und Wünsche anzunehmen und zu leben.

 

Ganz herzlichen Dank an German Wahnsinn Records und Donate Altenberger!

 

#EinfachnurPaul #TaniaWitte #GermanWahnsinnRecords #ArenaVerlag #JonathanBerlin #IsabelAbedi #ComingofAge #Erwachsenwerden #Selbstfindung #Identitätssuche #Berlin #Emusic #Skateboard #LGBTQ #Jugendbuch #Jugendbuchtipp #Hörbuchliebe #Hörbuchtipp #Hörbuchblogger #Nichtbinär #Asexualität #Identität

Samstag, 29. Oktober 2022

Die Weihnachtsagentur – Das schönste Fest aller Zeiten, Rüdiger Bertram, Illus: Julia Bierkandt, Arena Verlag


Die Weihnachtsagentur – Das schönste Fest aller Zeiten, Rüdiger Bertram, Illus: Julia Bierkandt, Arena Verlag

 

Die Zwillinge Olga und Oskar leben mit ihren Eltern in einer Villa im Park und Fiete ein alter Seebär mit seinem riesigen Hund Moby Dick kümmert sich um alles was so anfällt. Die Zwillinge lieben es, ihn in seinem Gartenhaus im Park zu besuchen und sich seine Seemannsgeschichten anzuhören. Nur schade, dass ihre Eltern so wenig Zeit haben, weil sie so viel Arbeiten. In der Weihnachts- und Osterzeit haben sie Hochkonjunktur, weil sie mit Saisonartikeln wir Weihnachtsschmuck handeln. So kommt es, dass sie auch dieses Jahr den 1. Advent vergessen, weil sie zuviel arbeiten. Das ist ihnen so peinlich, dass sie Weihnachtsplanerin Frau von Schnörkel engagieren, um den Zwillingen den Wunsch nach einer gemütlichen Adventszeit zu erfüllen. Doch Frau von Schnörkel übertreibt es total! Nicht nur dass sie das Haus mit kitischigem Plunder vollstopft, sie schmeißt auch noch den selbstgebastelten Adventskranz der Zwillinge weg und verbannt Fiete aus dem Haus. Nun gibt es kein selbst gekochtes Fieteessen mehr, sondern Gourmet-Food vom Lieferservice. Ob die Zwillinge es schaffen Frau von Schnörkel beizubringen, was eine schöne Adventszeit ausmacht und ihre Eltern weniger arbeiten?

Olga und Oskar sind zwei ganz normale Kinder, die sich immer mal wieder streiten, aber auch zusammenhalten, wenn es drauf ankommen. Obwohl sie im Luxus aufwachsen, sind ihre Wünsche ganz bodenständig: mehr Zeit mit ihren Eltern! Zum Glück gibt es noch das Familienfaktotum Fiete, den alten Seebären und seinen Hund Moby Dick. Eigentlich beginnen sie die Adventszeit ganz gemütlich zusammen und so könnte es eigentlich bleiben. Fiete gehört ja ganz fest dazu, auch wenn die Kinder ihn immer noch „siezen“.  Das alles ändert sich, als die Eltern aus schlechtem Gewissen eine Weihnachtsplanerin engagieren und ihr einen Blankoscheck ausstellen, statt sich mehr Zeit in ihrer Firma zu nehmen und mehr zu delegieren! Von da an läuft alles aus dem Ruder, denn Frau von Schnörkel scheint daran zu glauben, dass im Leben gelte: „je teurer, desto besser!“ und so vermüllt sie Haus und Grund mit Weihnachtskitsch und lässt jeden Morgen die berühmte, angesagte Sängerin Lady Baba einfliegen. Diese ist der singende Adventskalender für die Kinder und singt ihnen jeden Morgen aus den Fenstern im Haus gegenüber ein anderes Lied vor. Doch was anfangs noch aufregend zu sein scheint, verliert auf Dauer seinen Reiz und Frau von Schnörkel geht überhaupt nicht auf die kindlichen Bedürfnisse ein, sondern behandelt sie wie kleine Erwachsene. Aus Höflichkeit traut sich niemand ihr zu sagen, wie belastend sie den Dauerlärm und dieses unendliche Übermaß finden.

 

Ich bin ein großer Fan von Höflichkeit und empfinde es als Zeichen von Respekt, ich mag es auch nicht Gefühle zu verletzten, doch zum Selbstschutz wäre es hier dringend angebracht, wenn die Kinder oder Eltern mal ein Machtwort gesprochen hätten und diesen Konsumwahnsinn gestoppt hätten. Es ist einfach nur eine enorme Müllproduktion, die niemanden glücklich macht, aber Unmengen kostet. Mit den Beträgen hätte man auch wirklich Gutes tun können und ich glaube, den Zwillingen hätte das deutlich besser gefallen. Geld ist nicht alles, schon gar nicht in den Händen von sinnlosen Verschwendern. Die Kinder haben das schon vor dem Eintreffen von Frau von Schnörkel erkannt, in dieser Deutlichkeit wird es aber auch den dümmsten Lesern klar. Mir war es einfach zu viel von allem. Auch wenn die Zwillinge sich ständig prügeln wollten, sind sie, Fiete und Moby Dick mir richtig ans Herz gewachsen. Sie haben verstanden, worauf es ankommt, schon lange vor diesem Konsumzirkus. Nach zahlreichen Katastrophen wird das Fest tatsächlich noch sehr kuschelig und gemütlich, allerdings ist das kein Verdienst der Weihnachtsplanerin, die leider immer noch nichts dazu gelernt hat. Auch, dass die Eltern ihr Versprechen einhalten werden, wage ich zu bezweifeln, denn worum es den Kindern wirklich ging, hatten sie ja schon am 1. Advent begriffen, allerdings statt ihr Verhalten zu ändern, lieber ihre Geldbörse geöffnet. So passierte es, wie es kommen musste, und die katastrophalste Adventszeit beginnt für die Kinder, weil Frau von Schnörkel wirklich nichts heilig ist, noch nicht einmal das Krippenspiel in der Schule!

 

Richtig schön fand ich die Illustrationen von Julia Bierkandt, die wirklich sehr treffend waren und absolut altersgerecht für ein Adventskalenderbuch ab 8 Jahren.

 

Eine Weihnachtsgeschichte gegen Konsumterrorer und Lichtverschmutzung zur Weihnachtszeit, denn Kitsch ist nicht gleich Gemütlichkeit! Mir war es leider von allem zu viel.

 

Ganz herzlichen Dank für mein Rezensionsexemplar und die begleitete Leserunde bei Lovelybooks.

 

#DieWeihnachtsagentur #DasschönsteFestallerZeiten #RüdigerBertram #JuliaBierkandt #ArenaVerlag #Adventskalenderbuch #Kinderbuch #Vorweihnachtszeit #Konsumterror #toomuch #Überfluss #derReizderBescheidenheit #dasGeheimnisderWeihnacht #Kinderbuchblogger #Familienblogger