Und alle so still, Mareike Fallwickl, gelesen von Marie-Isabel Walke, Astrid Kohrs, Henning Nöhren, Argon Verlag Download only 10 h 42 min. ungekürzt
Elin ist Anfang Zwanzig und der zarte, elfengleiche Typ und lebt mit ihrer unabhängigen Mutter Alma in einem Wellness-Hotel, das sie leitet. Alma ist so unabhängig, dass sie noch nicht einmal einen Mann brauchte, um Mutter zu werden, nur sein Sperma.... Elin ist während des Lockdowns Influencerin geworden und nach all den Hasskommentaren im Netz sucht sie die Bestätigung ihrer Attraktivität in seelenlosem, anonymen, wahllosen Sex. Sie macht sich selbst zur Ware und ist dabei sehr erfolgreich, gleichzeitig fühlt sie sich leer.
Nuri kommt aus prekären Verhältnissen und arbeitet in 3 schlecht bezahlten Jobs um das Geld für einen Auszug zusammensparen zu können. Er fühlt sich bisweilen unsichtbar und neben seinem Kumpel Valentin, den er vom Wehrdienst her kennt, mit seinem guten Aussehen und seinem blenden Charme, fühlt er sich als ein Nichts. Doch so langsam kotzt ihn das alles an, diese Oberflächlichkeit und dieser seelenlose Kapitalismus.
Ruth ist Ende 50 und hat nach dem Sohn ihres schwerbehinderten Sohnes wieder angefangen als Krankenschwester zu arbeiten. Seine Krankheit hatte sie von der Welt isoliert, jetzt ist es ihr Pflichtgefühl, dass sie daran hindert eine Schicht abzulehnen, die man ihr aufbürden will.
Der Pflegenotstand in London ist unermesslich, doch niemand hört die Hilferufe des Mitarbeitenden im Gesundheitswesen, bis es eines Tages reicht. Schweigend legen sich die Frauen vor dem Krankenhaus in dem Ruth und Nuri arbeiten, auf dem Boden. Ein stiller Protest, der die Männer in ihrer Ruhe und Friedlichkeit völlig aus der Bahn wirft, so unbegreiflich ist es für sie. Doch es ist keine Momentaufnahme, es ist ein Gefühl der Verzweiflung und Solidarität, das immer weitere Wellen schlägt und immer mehr Frauen schließen sich an, bis das öffentliche Leben zum Erliegen kommt und nicht nur das Gesundheitssystem zusammenbricht.
Der Roman ist hart, bisweilen abstoßend, aber auch faszinierend, auf jeden Fall unglaublich intensiv! Der wahllose seelenlose Sex bei Elin und Valentin hat mich abgestoßen, ebenso wie die fassungslose Reaktion der Männer auf die Erkenntnis, dass die Frauen einfach nicht mehr tun, was die Männer von ihnen erwarten! Doch die Einsicht, dass ohne Frauen ihre Welt zusammenbricht und nichts mehr funktioniert kommt ihnen nicht, stattdessen lauten ihre Lösungen typisch männlich: Zwang, Gewalt! Ehrlicherweise trifft dies nicht auf alle Männer zu, aber auf das Gros...
Diese Ausnahmesituation wird aus der Sicht dieser drei völlig unterschiedlichen Menschen erzählt, aber nicht nur. Auch DIE GEWÄHRMUTTER und DIE PISTOLE kommen zu Wort. Es mutet schon etwas bizarr an, einer namenlosen Gebährmutter zu lauschen, aber es ist unheimlich faszinierend, was sie zu sagen hat. Einiges hat mich erstaunt und geschockt wie z.B. die „Don't Say Period Bill“ in Florida, oder ich wurde daran erinnert, wie anstrengend Schwangerschaften waren. Man wird dann beim Zuhören schon rebellisch und krabetzig. Mein Mann und meine Töchter mussten sich schon einiges anhören, während ich der Geschichte lauschte. Ich war kurz versucht, mich still auf das Parkett zu legen, aber mein Pflichtgefühl war zu groß...
Die drei Sprecher sind sehr gut gewählt und verleihen den Aussagen hinter der Geschichte eine große Eindringlichkeit. Mal distanziert emotionslos, da die Tragweite andernfalls unerträglich wäre, mal erschüttert, mal ganz sachlich, schildern sie, wie die Ruhe der Frauen, die Welt der Männer aus den Angeln hebt, mit kraftvoller Stille. Für Nuri hätte ich mir allerdings eine etwas weichere, zartere, verzagtere Stimme gewünscht. Astrid Kohrs und Marie-Isabel Walke bilden einen ganz klaren Kontrast zueinander und harmonieren dennoch sehr gut miteinander.
Ich bedanke mich ganz herzlich beim Argon Verlag und der Autorin für diese Denkanstöße! Die Autorin werde ich mir merken.
Hier findet Ihr eine Hörprobe:
https://www.argon-verlag.de/hoerbuch/mareike-fallwickl-und-alle-so-still-9783732473557
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