Dienstag, 15. Juni 2021

Das Geheimnis der Sternenuhr, Francesca Gibbons, Dragonfly Verlag

 

Das Geheimnis der Sternenuhr, Francesca Gibbons, Dragonfly Verlag

 

Imogen ist ziemlich oft von ihrer kleinen Schwester Marie genervt. Ständig meckert sie, dass sie in Imogens Theaterstücken nicht die Rolle erhält, die sie gerne hätte. Heute ist Imogen (11) besonders genervt, denn ihre Mutter hat mal wieder einen neuen Verehrer und sie dürfen mit Oma in das Café in der Villa Haberdash. Der Neue ist furchtbar und im Café macht Marie ihr alles nach! Wutentbrannt rennt Imogen in den Park hinter dem Tor, und folgt dort einem Nachtfalter, der sie zu rufen scheint. Tatsächlich führt er sie zu einer Tür in einem alten Baum, durch die sie tritt und sich staunend umsieht, als sie das Geräusch einer krachenden Tür hört: Marie ist ihr heimlich gefolgt und hat die Tür geschlossen. Es gibt kein Zurück! Der Falter führt sie aus dem Baum in ein fremdes, abweisendes Reich bis zu einer Stadtmauer. Überall hängen dort die Schädel von Monstern, die die Stadt Jaroslaw stets nach Sonnenuntergang heimsuchen. Der junge Prinz Miroslaw bietet ihnen Schutz, denn ihm ist langweilig und er hat keine Freunde. Je genauer sie sich umsehen, desto stärker spüren sie, dass hier etwas nicht stimmt und das Königreich ernsthaft bedroht ist. Wenn Miro ihnen hilft, den Weg zurück zu finden, helfen ihm die Schwestern, die Schrecken der unheimlichen Skret zu beenden.

 

Als die Mädchen mit dem jungen Prinzen den Freundschafts- und Hilfspakt besiegeln, ahnen sie nicht, wie eng alles miteinander verbunden ist, und dass der Falter sie zur Hilfe gerufen hat, aber nicht für den Prinzen.

 

Super angenehm sind die extrem kurzen Kapitel, die den häufigen Szenen- und Perspektivwechseln entsprechen. Das beschleunigt das Lesen ungemein, da man immer denkt: ach, ein Kapitel geht noch! Sehr motivierend. Auch durch den hohen Dialoganteil fliegt man nahezu durch die Geschichte und es ist sehr lebendig. Gerade diese Lebendigkeit in dieser dem Untergang geweihten Welt wirkt sehr atmosphärisch. Obwohl alles so fremd ist, fühlt man sich gleich als Teil des Ganzen und wird Teil der Geschichte. Wir fanden die Geschichte unglaublich ansprechend erzählt, gerade auch wegen dieser immer wieder aufflammenden Genervtheit der Schwestern voneinander, die aber immer wenn es darauf ankommt fest zusammenhalten! Dennoch ist Familie in diesem Abenteuer nicht immer positiv. Dass die Mutter so viele wechselnde „Männerbekanntschaften“ hat, hat mir für die Mädchen wirklich leid getan, meine Tochter hat es sehr irritiert. Sie merken aber auch in Jaroslaw, wo sie den Heimweg nicht kennen, wie sehr ihnen ihre Mutter fehlt. Miro hingegen hat seine Eltern verloren und lebt bei seinem Onkel, der aktuell das Reich an seiner Statt regiert. Doch in der letzten Zeit scheint er das Interesse an seinem Neffen verloren zu haben und ganz in seiner Sammelleidenschaft für seltene Kostbarkeiten und der Aufmerksamkeit der jungen, schönen Anneschka aufzugehen.

 

Mit Imgoen und Marie kommt ein neuer Blickwinkel in das Reich. Sie hinterfragen erstmals, was es mit den Skret und den Lesni, dem Volk, das einst im Wald lebte, auf sich hat. In ihrer Neugier fragen sie nicht nur nach, sie beobachten und hinterfragen auch, was Miro bislang als gegeben betrachtete. Sind die Skret wirklich Monster, nur weil sie abstoßend aussehen, oder sind die Lesni wirklich minderwertige Menschen? Interessante Frage, die man sich nicht früh genug stellen kann, auch nicht in unserer Welt!

 

Ich habe das Buch gemeinsam mit meiner fast 12 jährigen jüngsten Tochter gelesen. Der hat diese unheilschwangere Atmosphäre sehr gut gefallen, weil es auch mal so anders ist. Sie ist eigentlich sehr empfindsam und mag auch gerne Bücher, in denen es um Alltägliches geht und für meinen Geschmack „nichts passiert“, aber hier fand sie es toll, dass so viele geheimnisvolle, unvorhersehbare und spannende Dinge passierten. Außerdem haben alle der Beteiligten so ihre Macken, wobei sie mit der „nervigen“ kleinen Schwester Marie am meisten mitgefühlt hat und es nur schwer vorstellbar fand, ein kleiner, einsamer, reicher Prinz zu sein. Aber dass das bisweilen herrisch macht, das war ihr schon klar.

 

Was uns beide allerdings wirklich störte: irgendwie muss bei der Lektorierung die Auflösung des Geheimnisses der Sternenuhr verloren gegangenen sein. Ja, es kommt immer wieder eine Sternenuhr vor, auch wer sie geschaffen hat, aber nicht, welches Geheimnis sie nun in sich birgt und was sie mit dem fulminanten Finale auf sich hat. Da fehlte uns der Bezug zum Titel. Im Englischen kamen dann auch noch die Schattenfalter mit ins Spiel, deren Geheimnis für uns gelöst wurde, die im deutschen Titel aber leider keine Erwähnung finden. Für diejenigen, die sich über die düstere Stimmung dieses Buches ärgern: das kann man doch eigentlich schon am Cover erkennen, dass das kein Buch der reinen Glücksgefühle sein wird. Diese kommen aber schon vor, auch die Dankbarkeit, die die Kinder am Ende für ihr Schicksal und ihre Familie empfinden.

 

Ein wirklich ungewöhnliches und spannendes Buch voller Magie, aber auch echten Gefahren, dessen Ende nicht nur eitler Sonnenschein ist und eine Fortsetzung ermöglicht.

 

Wir bedanken uns ganz herzlich für diese atmosphärische Leserunde beim Dragonfly Verlag und Lovelybooks.

 

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Montag, 14. Juni 2021

Die Nachtbushelden, Onjali Q. Rauf, gelesen von Julian Greis, Hörcompany, 1 MP3 5 Std. 15 Min.

 

Die Nachtbushelden, Onjali Q. Rauf, gelesen von Julian Greis, Hörcompany, 1 MP3 5 Std. 15 Min.

 

Hector ist 10 Jahre alt und das Sandwichkind einer scheinbar perfekten Familie. Seine Eltern lieben griechische Sagen und haben ihre Kinder danach benannt. Beruflich arbeiten sie daran die Welt mit Kampagnen oder Dokumentarfilmen zu retten und sind daher ständig unterwegs. Zeit hat Kindermädchen Lisa, die sich vor allem um den vierjährigen Herkules kümmert, der immerzu malt und überall Glitzer verteilt. Er ist so lieb, dass er Hector nie verpetzt und auch dann noch nett zu ihm ist, wenn Hector richtig fies zu ihm ist. Helen (13) ist voll pickelig, aber so strebsam und artig, dass man sich um sie eigentlich gar nicht kümmern muss. Sie macht den Eltern nur Freude! Hector schlägt da voll aus der Art. Er ist mit seinen zwei Freunden der meist gefürchtete Junge der Schule. Ständig muss er nachsitzen und vor allem Streberin Mailie kann er nicht ausstehen. Als der Obdachlose Thomas mit seinem Einkaufswagen ihn und seine Freunde von seiner Bank im Park vertreibt, sinnen sie auf Rache. Die wird ganz schön fies, aber dummerweise hat Mailie ihn beobachtet. Dann wird die Literaturrallye von Helens Klasse abgesagt, weil in der Londoner City die Statue von Pu dem Bär aus dem Bahnhof Paddington gestohlen wurde. Zurück blieb ein merkwürdiges gelbes Zeichen, genau wie bei den darauffolgenden spektakulären Diebstählen. Hector erinnert sich so ein Zeichen auch bei Thomas gesehen zu haben, ebenso wie ihn selbst. Endlich kann er sich als Held beweisen und der Polizei seine Beobachtung melden! Allerdings kommen ihm bald Zweifel, ob das was er gemeint hat beobachtet zu haben, nicht nur eine Täuschung war. Ein Versuch den Obdachlosen die Schuld in die Schuhe zu schieben. Notgedrungen nimmt er ausgerechnet mit Mailie und den Obdachlosen einer Suppenküche, die Ermittlungen auf.

 

Eine interessante Mischung aus Themen, die scheinbar nicht zusammen passen. Bei solchen Versuchen denke ich oft, dass etwas weniger mehr gewesen wäre, weil es zu viel des Guten sei. Hier nicht! Hier muss es so sein, weil die Themen ineinandergreifen und nur zusammen funktionieren. Hier wird nicht versucht noch schnell ein weiteres Thema aufzugreifen, um tiefgründiger zu wirken, sondern es geht darum, dass eigentlich nichts so ist wie es scheint. Alles hat mehrere Seiten und die wenigsten sind einfach gut oder nur schlecht. Daher sollte man immer wieder seine eigenen Überzeugungen hinterfragen und sich nicht von Vorurteilen blenden lassen.

Ehrlich, Hector ist eigentlich ein Anti-Held, ein Mobber, der schwächere Kinder tyrannisiert und keine Skrupel zu haben scheint. Einer der es liebt, wenn andere Angst vor ihm haben und der nur dadurch auffällt. Doch plötzlich bietet sich ihm die Gelegenheit als Held wahrgenommen zu werden, obwohl er eigentlich etwas richtig Fieses getan hat. Im Laufe der Geschichte wird einem Hector aber immer sympathischer, denn man merkt, dass er sich eigentlich nur nach Aufmerksamkeit sehnt und weil er nicht so scheinbar perfekt ist wie seine Geschwister, dann eben durch Ärger. Aber er ist nicht durch und durch verdorben. Er stellt sich selbst in Frage und ist durch und durch ehrlich. Das kann sich zwar bei ihm niemand so recht vorstellen, aber ihm ist es wichtig. Mailie hingegen ist nicht einfach eine Streberin, sie hilft mit Herz und Seele in einer Suppenküche, in der auch ihr Vater aktiv ist. So unvorstellbar es scheint, so sehr gelingt es ihr und den Obdachlosen Hector auf Spur zu bekommen. Wenn man die Obdachlosen und ihre Schicksale kennenlernt, dann sind es plötzlich keine „Penner“ mehr, sondern liebenswerte Personen, die nach ihrem geheimen Codex leben. Als ich von mehr als 20 Jahren in Brighton lebte, wurden im Winter tatsächlich Obdachlose in den teuersten Gegenden von den Bezirksverwaltungen mit Wasser nass gespritzt, um sie daran zu hindern, dort vor den Augen der Touristen und Geschäftsleuten sich ihr Nachtquartier zu suchen. Dass dies den Tod der Obdachlosen bedeuten konnte, wurde billigend in Kauf genommen. Mir war es gar nicht so bewusst, dass über London verteilt, an literarisch bedeutsamen Orten, so viele Statuen an berühmte Kinderbücher von Paddington über Peter Pan bis Harry Potter verteilt erinnern. Zum Glück liegt dem Hörbuch aber ein Nachbuslinienplan bei, in welchem diese eingezeichnet sind, ebenso wie die Geheimzeichen der Obdachlosen (die aber wahrscheinlich der Kreativität der Autorin entspringen, damit die wahren Codes geheim bleiben). Mehr dazu erfahrt ihr mittels QR-Code auf der Karte. Auf deren Rückseite findet sich übrigens die Trackliste.

 

Die Themen die Onjali Q. Rauf hier anspricht sind also absolute Londoner Realität, in allen Bereichen. Das macht diese Geschichte auch so authentisch und glaubhaft. Eine Geschichte, die berührt und am Ende richtig spannend wird, wenn das ungleiche Team versucht die wahren Täter zu überführen. Manchmal ist es auch etwas witzig, wenn auch nicht ganz so sehr, wie „der Junge aus der letzten Reihe“, aber nicht weniger berührend. Denn von Mailie erfährt Hector die Schicksale der einzelnen Obdachlosen, auf die er bisher so herabblickte.

 

Julian Greis beweist einmal mehr sein Gespür für Stimmungen, Atmosphäre und Charaktere. Er kann Hector ebenso gemein, wie auch entschlossen oder nachdenklich-verschämt klingen lassen. Sensibel und lebendig entführt er ins Herz einer Stadt voller Widersprüche, mit einem eigenwilligen Ermittlerteam, wie es so noch nicht vorkam. Ich hoffe, dass es ihm mit seiner sympathischen Stimme gelingt, die Hörer für das Schicksal der Obdachlosen zu sensibilisieren und nicht alle gleich abzuschreiben.

 

Ein warmherziger Einblick in die Londoner City und das knallharte Vorgehen skrupelloser Geschäftemacher. Eine Geschichte voller Humanität, Herz und Humor ab 8 Jahren, die ich jedem über 8 Jahren nur ans Herz legen kann!

 

Vielen lieben Dank an die Hörcompany für mein Hörexemplar!

 

Hier findet Ihr eine Hörprobe:

https://www.hoercompany.de/index.php?op=neuerscheinungen&isbn=978-3-96632-035-1

 

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