Samstag, 2. Januar 2021

Fräulein Gold (1) Schatten und Licht, Anne Stern, gelesen von Anna Thalbach, Argon Verlag, 1 MP3 8 Stunden 4 Minuten, Lesefassung

 

Fräulein Gold (1) Schatten und Licht, Anne Stern, gelesen von Anna Thalbach, Argon Verlag, 1 MP3 8 Stunden 4 Minuten, Lesefassung

 

Berlin 1922, die junge Hebamme Hulda Gold ist in ihrem Viertel rund um den Winterfeldtplatz sehr beliebt. Doch hilft sie nicht nur dort Kindern auf die Welt, sondern auch in den zahlreichen Elendsvierteln der Stadt. Als sie einer jungen Mutter in den muffigen Häusern im Bülowbogen hilft, erfährt sich nicht nur vom Glück neuen Lebens. Diese ist ganz erschüttert, weil ihre Nachbarin, die für sie wie eine Ersatzmutter war, tot aus dem Landwehrkanal gezogen wurde. Einst eine geachtete Schwester in der Nervenheilanstalt Dalldorf, fing sie nach dem Tod ihres Mannes und ihrer Tochter an der Spanischen Grippe an zu trinken. Trotz ihrer Hingabe für die Kranken, Siechenden und Kriegszitterer, wurde sie irgendwann entlassen und begann mit Prostitution. Dennoch glaubt ihre Nachbarin nicht an einen Selbstmord, die Rita war eine Kämpferin! Doch wo ist ihr Tagebuch, von dem die Hausmeisterin erzählte? Ebenso wie Rita und Hulda ist der undurchsichtige Kommissar Karl North selbst von Geistern seiner Vergangenheit getrieben und nur mäßig engagiert an dem Fall. Dass aber ausgerechnet Hulda immer wieder seinen Weg kreuzt und ihr süßes Näschen in fremde Angelegenheiten steckt, macht ihn wahnsinnig!

 

Berlin wenige Jahre nach dem Versailler Abkommen. Die Armut ist groß, gesunde Männer Mangelware. Das Bedürfnis mit einem Rausch um Elend und Kriegsgräuel zu vergessen ist immens und die neue rechte Bewegung des dubiosen Emporkömmlings Adolf Hitler wird von vielen kritisch beäugt, doch nicht von allen. Hulda genießt ihre Freiheit als selbstständige berufstätige Frau, mit Fahrrad. Auch wenn sie beim Anblick der neugeborenen Winzlinge feuchte Augen bekommt, mag sie nicht wegen einer eigenen Familie ihre Arbeit und ihre Freiheit aufgeben. Ihre einstige Beziehung zum anständigen Felix Winter, dem Erben des Caféhauses ist eine schöne, aber verblassende Erinnerung. Welch ein Kontrast dazu ist doch Kommissar Karl North, der wie auch Hulda seiner nicht untadeligen Vergangenheit voller Gewalt nicht entkommen kann und das Vergessen im Rausch sucht. Beide sind clever, bisweilen cleverer als gut für sie sein mag. Mit geschärftem Blick und genauer Beobachtungsgabe, gibt es nicht viel, was ihnen entgeht.

 

Eine historisch unstete und gerade deshalb so soghafte Zeit, die versucht, das Kriegselend zu vergessen, ohne bereits die alten Wunden verarztet zu haben oder den Wohlstand wiedererlangt zu haben, um das Überleben zu feiern. Der perfekte Nährboden für zahllose Verbrechen, derer die Polizei unmöglich Herr werden kann.

 

Anna Thalbach liest wieder gefühlvoll und abwechslungsreich. Sie schlüpft in die einzelnen Rollen, von der eingebildeten Caféhaus-Chefin bis zum Gossenkind, bei dem ihre Berliner Schnauze sich voll entfalten kann. Meist spricht sie Hochdeutsch, doch nicht wenn die Dirnen, Obdachlosen und einfachen Leute zu Wort kommen. Das erhöht die Authentizität ebenso wie das rauschhafte Gefühl, wenn Hulda in ihrer Gier nach Leben einen mit in die Abgründe und Spelunken der Stadt nimmt. Man hört ihr Huldas innere Zerrissenheit deutlich an, wenn Hulda selbst nicht weiß wer und wie sie eigentlich ist. Dabei kriechte einem ihre Stimme unter die Haut. Sie lässt einen Armut und Verzweiflung ebenso spüren, wie die Verachtung für die Kriegszitterer und andere Bewohner der „Irrenanstalt“. Die Bigotterie dieser heuchlerischen Selbstherrlichkeit derer, die sowohl dem Krieg, als auch der spanischen Grippe gut entkommen sind und in den wirtschaftlich angeschlagenen zu den Profiteuren gehören. Es klingt Verachtung und Empörung aus ihrer Stimme, denn wer hat das Elend schon freiwillig gewählt? Gemeinsam mit Anna Thalbach und Hulda Gold blickt man in die Abgründe Berlins in den 1920er und man sieht kein Gold, sondern Elend, Verrohung, Grauen und Untergang. Dennoch gibt es zum Ende einen hellen Silberstreif am Horizont, trotz der sich immer weiter zuspitzenden politischen Lage.

 

Anne Stern ist ebenfalls Berlinerin und lebt auch heute, nach ihrem Studium der Geschichte und Germanistik  und Promotion in deutscher Literaturwissenschaft noch dort. Vor ihrer erfolgreichen Reihe um die ermittelnde Hebamme in den wilden Zwanzigern, hat sie sich schon als Selfpublisherin einen Namen gemacht.

 

Damit man beim Zuhören nicht den Überblick verliert, ziert ein Stadtplan des damaligen Berlins die schmale Pappklapphülle, während die Tracklist im klaren Art Deco gefasst ist und einen Überblick über Ort und Zeit der knapp einen Monat lang dauernden Ermittlungen gibt.

 

Auf weitere Ermittlungen mit Hulda und Karl North bin ich schon echt gespannt! Die Mischung aus Krimi, Gesellschaftsroman mit historischen Einblicken gefällt mir sehr gut!

 

Ich bedanke mich ganz herzlich beim Argon Verlag für mein Hörexemplar!

 

Hier findet Ihr eine Hörprobe:

https://www.argon-verlag.de/2020/06/stern-fraeulein-gold-schatten-und-licht/

 

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Mittwoch, 30. Dezember 2020

Als die Nacht begann, Alexander Hartung, Edition M

 

Als die Nacht begann, Alexander Hartung, Edition M

 

Der 7. Fall für Kriminalhauptkommissar Jan Tommen und sein eigenwilliges Ermittlerteam.

Während Jan gerade bei der Anprobe seines Hochzeitsanzugs gelangweilt herumzappelt, wird er zu einem Einsatz in der Nähe gerufen. Mitten auf der Friedrichstraße ist eine junge, schöne Studentin auf offener Straße aus dem Hinterhalt erschossen worden. Macht ein Heckenschütze nun Berlin unsicher? Auch das Handyvideo eines ausländischen Touristen lässt keine eindeutig anderen Schlüsse zu. Als sie in das Privatleben des Opfers eintauchen wird der Fall immer unwirklicher, da unerklärlicher. Es scheint jegliches Mordmotiv zu fehlen. Mitten in die Verwirrung der Ermittler platzt die Nachricht eines zweiten Opfers. Ein junger Computernerd wurde in seiner Mittagspause auf einer Bank am See sitzend aus der Entfernung erschossen. Bis auf die Tatsache, dass auch seine Wohnung Rätsel aufgibt, scheint es keinerlei Verbindung zwischen den Opfern zu geben und alles auf Zufallstaten hinzudeuten. Das macht die Aufklärung der Mordserie nahezu aussichtslos.

 

Jan Tommens Ermittlerteam ist schon sehr speziell und arbeitet meistens jenseits der Legalität. Deswegen hält Jan seinen jungen, stets tadellos gekleideten Kollegen Patrick auch oft absichtlich im Dunklen über ihren Erkenntnisgewinn. Gerichtsverwertbar sind ihre Methoden zumeist nicht, dafür aber ausgesprochen effektiv. Da wäre Gerichtsmedizinerin Zoe, kettenrauchende, schöne Tochter des inzwischen inhaftierten Oberhauptes eines Verbrechersyndikates, aber ohne die Neigungen ihres Vaters. Chandu, ein Türsteher/Personenschützer von beeindruckender Statur und Fitness mit besten Kontakten in die Unterwelt und die der organisierten Kriminalität, dessen Freundschaft mit Jan daher besser geheim bleiben sollte. Doch wer könnte seinen Kochkünsten widerstehen? Und Hacker Max, mit unstillbarem Durst auf Ovomaltine-Cola und inzwischen offizieller Berater der Kripo Berlin und daher mit eigenem winzigen Büro ausgestattet. Max ist daher auch derjenige, der sich am Besten in das zweite Opfer hineinversetzen kann und dem die Ungereimtheiten von dessen Wohnung keine Ruhe lässt.

 

Der Fall ist schnell, scheinbar völlig unmotiviert und eiskalt berechnet. Trotz der Gnadenlosigkeit der Vorgehensweise, ist dieser Thriller schnell und spannend, doch nicht blutrünstig. Auch Pathologin Zoe seziert nicht seitenweise Leichen oder erläutert die Besonderheiten des Verwesungsprozesses. Fesselnd ja, aber nicht abstoßend, dafür mit jeder Menge trockenem Humor, der es mir leicht macht, dieses schräge Ermittlerteam zu mögen. Es macht Spaß nach Hinweisen zu fahnden, oder über andere Ermittlungsansätze nachzudenken, wenn Jan und Co. sich mal wieder festgebissen haben. Dieser Fall zieht allerlei zwielichtiges Gesocks an, denn irgendwo muss der Täter sich die Waffe ja besorgt haben. Dabei gibt es auch wieder Bezüge zu nerdigen Typen und Algorithmen, die ich echt interessant finde. So hatte ich keine Ahnung, dass stetig an Computerprogrammen gearbeitet wird, die zukünftige Verbrechen anhand bekannter Daten vorhersagen sollen. Es wird einem auch manchmal ganz anders zumute, wenn man mitbekommt, was den Hackern so alles möglich ist. Bisweilen sind hier die Grenzen etwas fließend. Die Ermittler treffen sich immer wieder bei Chandu zum Essen, um die neuesten Ansätze und Erkenntnisse auszutauschen und später in Telefonkonferenzen, da die Zeit fürs Essen einfach nicht mehr reicht. Gut für Jan, der ja immerhin noch in seinen Hochzeitsanzug, eine Nummer kleiner, passen soll.

Am Ende spannt sich der Bogen zum Prolog, der anfangs den Leser ziemlich ratlos lässt, letztendlich aber absolut schlüssig ist.

 

Spannend, überraschend, solide und kurzweilig. 4,5 Sterne. Was will man von einem Thriller mehr?

 

Ich bedanke mich ganz herzlich für die Lovely Books Leserunde mit Autor!

 

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