Montag, 27. Januar 2020

Die Helikopterbande und das Raubtier aus China, Christina Ebertz und Claudia Weikert, Beltz & Gelberg



Die Helikopterbande und das Raubtier aus China, Christina Ebertz und Claudia Weikert, Beltz & Gelberg

Fenja (5. Klasse, 10 Jahre) lebt in Berlin Friedenau und träumt davon mal mit ihrem Vater in dessen Helikopter zu fliegen oder mit ihrem Opa Nobby im Flugzeug. Doch ihre Mutter, die städtische Unfallschutzbeauftragte findet das viel zu gefährlich. Daher darf sie die Grenzen des Kiezes auch nicht überqueren. Dann werden sie und ihr bester Freund Aspi (eigentlich heißt er Wilhelm, aber der Name gefällt ihr nicht und wegen seines Asperger Syndroms nennt sie ihn Aspi) zu einem Chinesischkurs angemeldet. Dort treffen sie auf den quengeligen Noah und die fordernde Zoe. Eigentlich macht der Kurs Spaß, nur mit dem Lehrer stimmt was nicht, irgendwas verheimlicht er vor ihnen und seine Verletzungen sind auch merkwürdig. Außerdem soll ein Pandabär in Brandenburg gesichtet worden sein, den Opa Nobby wegen der Prämie unbedingt aufspüren will. Nun bricht das Ermittlerfieber aus und Fenja und Aspi geraten mit ihren Chinesischkameraden in ein aufregendes Abenteuer.


Dieses Buch hat meine Jüngste geschenkt bekommen, von zwei Berliner Psychotherapeuten, die in Brandenburg leben. Aspis Eltern sind auch beide Psychotherapeuten und im Laufe des Abenteuers geht’s von Berlin nach Brandenburg. Ja, Aspi ist anders, er nimmt die Welt anders wahr, aber so groß macht es in dieser Geschichte keinen Unterschied, denn der verwöhnte Noah und die berechnende Zoe sind da eine ganz andere Hausnummer und erst Fenjas überängstliche Mutter. Normal ist also irgendwie immer auch relativ, drum nimmt Fenja ihren besten Freund einfach so wie er ist. Bei Noah und Zoe ist das allerdings bisweilen ganz schön anstrengend und bei Zoe unvorhersehbar. Fenja ist irgendwo mit ihrer Familiengeschichte etwas in der Mitte. Aspi ist aufgrund der viel beschäftigten Eltern sehr selbstständig, aber keinesfalls vernachlässigt, Fenjas Mutter ist übervorsichtig, während ihr Vater ihr deutlich mehr Spielraum ließe, wenn er nur dürfte. Den Vogel schießt Noahs Mutter ab, die tatsächlich einem Helikopter gleicht und Noah fast schon die Luft zum Atmen nimmt bzw. diese gegen Süßigkeiten tauschen würde, ginge dies. Noah braucht nur zu knatschen, schon bekommt er seinen Willen und was Süßes, aber nur unter mütterlicher Aufsicht, dabei schlummert durchaus ein schlauer Kopf unter seiner Zuckerschnute. Zoe ist das das krasse Gegenteil zu diesen Wohlstandskids. Sie muss jeden Cent zweimal umdrehen, weil sie mit ihrer Mutter von Hartz IV lebt. Dennoch scheint sie fest entschlossen zu sein, das beste aus ihrer Situation zu machen und sich selbst zu fördern. Ihr Ehrgeiz und ihre Selbstständigkeit sind beeindruckend, auch wenn ihre Teamfähigkeit und Empathie durchaus ausbaufähig sind! Klar sind alle Kinder überzeichnet, aber das ist auch gut so, um die jungen Leser zur Selbstreflexion zu bewegen. Könnten sie nicht auch etwas selbstständiger werden? Würden sie sich das trauen? Quengeln sie nicht zu oft, um den eigenen Willen durchzusetzen?


Der Krimiteil ist etwas vorhersehbar, aber immerhin sind ihre Aktionen nicht abwegig und für Kinder in der Tat machbar. So können Kinder sich selbst an ihre Stelle träumen und auch einmal Helden in so einer Aktion sein wollen.

Der Stil ist frisch und zeitgemäß. Gut verständlich mit plastischen, aber nicht zu komplizierten Sätzen. Der Humor durch die starken Unterschiede der Charaktere frischt die Geschichte auf und macht sie leicht lesbar.

Die Illustrationen, die zu Beginn eines jeden Kapitels eine ganze Seite füllen sind sehr ausdrucksstark und ansprechend, aber leider gibt es keine weiteren Illustrationen, was aber gerade bei der Zielgruppe der 9 – 11 Jährigen aus unserer Sicht wünschenswert wäre.

Ein schönes Buch mit ungewöhnlichen und inklusiven Helden, denn irgendwie sind sie ja alle nicht ganz „normal“ und das zeigt ganz klar: „Was ist schon normal?“ Ist nicht eh jeder Jeck anders? Drum lebe lieber ungewöhnlich!

Samstag, 25. Januar 2020

Der Hof der Wunder, Kester Grant, gelesen von Marie Bierstedt, Random House Audio, 2 MP3 9 h 25 min.



Der Hof der Wunder, Kester Grant, gelesen von Marie Bierstedt, Random House Audio, 2 MP3 9 h 25 min.

1823 in einem alternativen Paris, in dem die Revolution gescheitert ist. Der Hof schlemmt, während das Volk weiterhin hungert. Es hat sich eine Parallelgesellschaft der vom Kömogshof Vergessenen gebildet: Der Hof der Wunder, nennt sich das Regiment der Verbrecher, es hat ein eigenes Gesetz, eigene Regeln und eigene Strukturen geglieder in 9 Verbrechensgilden und Grundsätze. Die zwölfjährige Nina ist ausgemergelt, zierlich und unterernährt, dafür flink und geschickt, wird sie von ihrem versoffenen Vater Tabernier, einem Herrn der Diebesgilde für Einbrüche missbraucht und um in seiner Schänke zu arbeiten. Ihre geliebte Schwester Azelma, die sie anstelle der durchgebrannten Mutter großzog, ist am Boden zerstört und weint seit Tagen. Sie vertraut Nina ihrem Geliebten an und empfiehlt ihr sich als Junge zu kleiden und auf den Schutz des Boten der Gilden, ihres Geliebten zu vertrauen. Der übergibt sie der Obhut von Thomasis, dem Meister der Gilde der Diebe. Schnell zeigt sich ihr besonderes Geschick zu klettern und in gesicherte Räum einzudringen. Sie wird eine Katze und wird unter dem Namen „Die schwarze Katze“ bewundert. Doch sie vergisst nie, dass ihr Vater ihre Schwester an den grausamen Tiger, den Meister der Gilde des Fleisches in die Prostitution verkauft hat. Sie überlegt fieberhaft, wie sie sie befreien kann. Wegen der scheinbaren Aussichtslosigkeit ihres Unterfangens nimmt sie die schöne und wehrlose, junge Ettie unter ihre Fittiche. Sie würde alles dafür tun, um sie vor der Gier des Tigers zu schützen. Diese Mission riskiert nicht nur einen Krieg unter den Gilden, sondern einen Auffuhr in ganz Paris.


Es beginnt mit einem Zitat aus dem Dschungelbuch und es werden noch einige folgen, denn für Nina steht das Leben im alternativen Paris 1823 einem Überlebenskampf im Dschungel gleich. Sie als kleines, hilfloses Menschenmädchen muss lernen, in diesem Urwald zwischen Verbrechen und Maßlosigkeit zu überleben. Doch erinnert es mich eigentlich mehr an eine alternative Erzählung von Victor Hugo's „Les Misérables“. Es gibt eine Vielzahl von Personen und Gesellschaften. Sehr interessant finde ich den alternativen königlichen Hof kennenzulernen, an dem der Dauphin (Thronfolger) in völliger Ignoranz des Leids seines künftigen Volkes in Pomp und Überfluss aufwächst. Er ist unendlich einsam und ahnt nichts von den rücksichtslosen Intrigen seiner Eltern und deren Beratern. Neben dem Adel geht es dem Bürgertum auch recht passabel, so dass sich die Studenten den Luxus leisten können, einen erneuten Aufstand zu planen, der die herrschenden Strukturen beenden soll. Soviel Idealismus können sich die Elenden der Gilden nicht leisten. Wobei man durchaus einräumen muss, dass es den Meistern der Gilden nicht an Materiellem fehlt, doch die Nahrung wird knapp und das bekommen auch sie zu spüren. Es fällt ihnen schwer ihr Gefolge zu ernähren, Hunger und Verzweiflung zeichnet die Kinder der Gilden. Einzig Nina gelingt es scheinbar mühelos zwischen all diesen Kulturen und Strukturen zu wandeln und sich deren Wünsche zu nutze zu machen, in ihrem Bestreben nach Freiheit für ihre Schwestern. Eigentlich ist in dieser Welt Freundschaft nicht möglich, da zu gefährlich, doch ist es genau das, wonach sich viele heimlich sehnen und was sie in Nina sehen. So schart Nina Verbündete um sich, die sich eigentlich niemals unterstützen würden, doch Nina macht das Unmögliche möglich.

Zuerst hat mich Ninas allzu leichte Bereitschaft zu stehlen und ihr Stolz auf ihr Geschick, abgestoßen, ebenso wie ihre scheinbare Rücksichtslosigkeit. Wieso nur hat ihre Schwester sich für sie geopfert? Doch Nina ist klug, listig, mutig und loyal. Dadurch hat sie nicht nur Verbündete erobert, sondern auch mein Zuhörerherz. Aber selbst als ich Nina noch nicht mochte, war ich irgendwie vom Hörbuch gefesselt und wollte immer wissen wie es weitergeht. Kann Nina eigentlich schaffen, was sie sich vornimmt, wo es doch unmöglich ist? Ihre Pläne sind ja nur halbgar und nicht wirklich zu Ende gedacht, aber da kommt letztendlich immer ihre persönliche Überzeugungskraft und ihre Fähigkeit sich Verbündete zu machen ins Spiel. Die Unterwelt des Hofes der Wunder, fasziniert und stößt gleichzeitig ab. Es gibt jede Menge Regeln, die es zu lernen gibt und Nina lernt schnell, was ihr von viel größerem Nutzen ist, als es Schönheit wäre. Doch muss sie eine enorme Anziehungskraft dank ihrer Ausstrahlung und Persönlichkeit haben, so wie ihr das Undenkbare gelingt. Ich habe mich keine Minute gelangweilt, bisweilen fand ich diese Welt der Elenden aber sehr hart und grausam.


Die schlanke Pappklapphülle finde ich sehr ansprechend und geschmackvoll gestaltet. Allerdings hätte ich mich hier eine Übersicht über die Gilden und auch den königlichen Hof und die Sûreté gewünscht. Gerade bei Hörbüchern kann man schon mal durcheinander kommen, wobei das auch tatsächlich eine Frage des Geschicks des Autors ist. Ich hatte mal ein Hörbuch mit einer unendlich langen Personenliste aller im Hotel Vorkommenden und hatte daher Hemmungen zu beginnen, habe sie jedoch nie benötigt, es war mir immer klar, um wen es sich handelte. Hier musste ich während des Zuhörens bisweilen nachdenken und währenddessen ging die Handlung natürlich weiter.

Marie Bierstedt empfinde ich als hervorragende Wahl! Die Intrigen am Hof der Wunder werden ausschließlich aus der Sicht der jungen Nina und in der Ich-Form erzählt. Marie Bierstedt klingt jung, entschlossen, unwiderstehlich, freundlich, erzürnt und doch auch verletzlich. Ausdrucksstark unterstreicht sie die Spannung, so sehr, dass ich sie bisweilen kaum aushalten konnte und erst mal auf „Pause“ drückte. Sie spricht klar und verständlich und durch die zahlreichen Tracks, kommt man immer wieder gut an die letzte Stelle zurück. Der Sound ist kristallklar und gut ausbalanciert.

Ein wirklich guter und spannender Start in eine neue Fantasy-Triologie, bei der ich auf die Fortsetzung gespannt bin.

Ich bedanke mich ganz herzlich bei Random House Audio und Lovelybooks für das Hörexemplar.