Montag, 30. Dezember 2019

Northanger Abbey, Jane Austen, gelesen von Fritzi Haberlandt, Random House Audio, 6 CDs 6 h 29 min gekürzt



Northanger Abbey, Jane Austen, gelesen von Fritzi Haberlandt, Random House Audio, 6 CDs 6 h 29 min gekürzt

Catherine Morland ist jung und ziemlich durchschnittlich. Sie ist als älteste Tochter eines kinderreichen Landpfarrers aufgewachsen, der weder reich noch arm ist. In ihrer Gegend gibt es weder Landadel noch sonstige Familien, mit denen sich ein gesellschaftlicher Umgang anbieten würde. Obwohl sie mittlerweile im gesellschaftsfähigen Alter ist, würde ihr Leben unbedeutend weiterlaufen, hätte sie nicht Mrs. Allen, die gutmütige und oberflächliche Gattin des größten Landbesitzers ihrer Heimatgemeinde, ausersehen, sie nach Bath zu begleiten. Catherine, die als Wildfang aufwuchs, ist mit den Gebräuchen der besseren Gesellschaft nicht sonderlich vertraut und leicht zu beeindrucken. Das zeigt sich auch in ihrer Vorliebe für die 1794 so modernen und beliebten Schauerromane. In jeder freien Minute verschlingt sie Udolpho, statt sich mit schicklichen oder lehrreichen Betrachtungen oder Lyrik zu beschäftigen. In Bath kennt ihre Gönnerin anscheinend niemanden und so ist Catherine hocherfreut, als der ebenfalls durchschnittlich ausschauende, aber sehr wohlerzogene Mr. Henry Tilney sie zum Tanz auffordert. Fortan romantisiert sie von ihm, doch er scheint Bath verlassen zu haben. Dafür trifft Mrs. Allen eine liebe Schulfreundin wieder, deren älteste Tochter Isabella, unverzüglich die junge Pfarrerstochter zu ihrer Busenfreundin ernennt. Wohl ahnt sie schon, daß deren Bruder und der ihrige enge Studienfreunde sind.


Dieser Gesellschaftsroman nimmt wie kaum ein anderer von Jane Austens Werken, die Gesellschaft, die Rolle junger Mädchen und den damaligen literarischen Geschmack aufs Korn. Diese Heldin hat eine überschäumende Fantasie und leider ist sie allzu leicht zu beeindruckend. Sie traut ihren Mitmenschen fast nur das Beste zu, auch wenn ihr Verhalten eigentlich das Gegenteil erkennen lässt. In ihrer Unbekümmertheit und Neugierde, war vor über zwanzig Jahren, dies mein Lieblingsroman, einer meiner Lieblingsautorinnen. Doch inzwischen, hat sich mein Geschmack etwas gewandelt. Jane Austens spitze Feder, die sich selbst den Erwartungen an die Rolle von Frauen in ihrer Zeit widersetzte, vermag mich noch immer zu amüsieren. Das große Unrecht, daß der armen Catherine jedoch widerfährt, die anscheinend kaum einer um ihrer selbst willen schätzt (ja, sie hat weder den Esprit von Emma, noch den scharfen Verstand von Eliza Bennett oder das milde Gemüt und treffsichere Urteilsvermögen einer Anne Elliot) stimmt mich etwas traurig. Auch wenn Mr. Henry Tilney und seine Schwester Eleanor sich über diese Schmähung empört zeigen, da sie nicht in Catherine Verhalten oder Wesen begründet sind, sondern einfach auf falschen Erwartungen fußen. Natürlich wandelt sich letztendlich alles zum Guten und die Heldin vertraut den wahren, statt den allzu überschwänglichen und doch wankelmütigen Freunden. Catherine hat ein gutes Herz, aber noch nicht wirklich gelernt, diesem recht zu vertrauen. Das macht sie aber irgendwie umso liebenswürdiger.

Fritzi Haberlandt, die selbst ebenfalls keine klassische Schönheit, aber alles andere als Durchschnitt ist, lässt mit ihrer ironisch, freundlichen Lesung Catherine vor dem geistigen Auge des Zuhörers erwachsen. Etwas sperrig, sehr naiv, aber stets bemüht und freundlich, führt Fritzi Haberlandt beschwingt durch das gesellschaftliche Bath und seine Sitten und Gebräuche, um dann in das schaurig schöne und doch eigentlich ziemlich durchschnittliche Northanger Abbey zu entführen. Sie kitzelt mit ihrer Stimme aus diesem Klassiker Catherines Jugendlichkeit und Jane Austens Schmunzeleien über verbreitete Ansichten und Verhaltensweisen ihrer Zeit und ihres Standes hervor und verknüpft sie zu einem vergnüglich-geistreichen Hörerlebnis. Auch wenn es eine eigentlich konventionelle Aschenputtelgeschichte auf den ersten Blick zu sein scheint, macht es die Sprachgewandtheit von Jane Austen und der humorvoll, frische Schwung von Fritzi Haberlandt zu einer zeitlosen und doch kritischen Romanze mit Niveau.

Der Roman wurde sehr feinfühlig gekürzt und auch wenn dieses Hörbuch nur halb so lang dauert, wie die übrigen in ungekürzter Form: Northanger Abbey ist auch als Buch deutlich kürzer als ihre übrigen Werke... Der Geist und der Feinsinn, sowie die sprachliche Eleganz blieben erhalten, auch wenn mich gerade zu Beginn die Übersetzung bisweilen ein wenig die Stirn runzeln ließ. Einige Begrifflichkeiten wirkten auf mich angestaubter als die über 200 Jahre alte Vorlage. Schade, denn im Übrigen lässt diese Umsetzung nichts zu wünschen übrig. Aber, es ist die einzige Übersetzung des Werkes, die ich kenne, da ich die Buchvorlage mehrmals im Original gelesen habe. 
Dennoch ist es ein äußerst empfehlenswertes Hörbuch und auch zum Einstieg in die Welt des Landadels von Jane Austen geeignet.

Sonntag, 29. Dezember 2019

Vielleicht – Eine Geschichte über die unendlich vielen Begabungen in jedem von uns, Kobi Yamada, Illustration Gabriella Barouch, Adrian Verlag



Vielleicht – Eine Geschichte über die unendlich vielen Begabungen in jedem von uns, Kobi Yamada, Illustration Gabriella Barouch, Adrian Verlag

Zu Beginn des Buches sieht man ein Mädchen, das die Hände aneinander gelegt hat, so dass sie eine Mulde bilden und ein Miniaturgebirge mit Wildvögeln darin betrachtet. Die Frage wird aufgeworfen, ob man sich schon mal gefragt hat, warum man hier sei? Dabei wird die Leserschaft direkt in der Du-Form angesprochen und angeregt, sich eigene Gedanken auf diese Frage zu machen. Es folgen auf den nächsten rund 40 Seiten Gedanken und Anregungen zu dieser elementaren Frage.

Ich finde die Antworten auf die Frage nach dem Sinn des Seins für Kinder bisweilen zu abstrakt und für mich klingen sie auch sehr nach ehrgeizigen Zielen. Ich hätte mich sehr über Aussagen wie „weil Du mit Deinem Lächeln, die Welt ein wenig schöner machen kannst“ oder so gefreut. Die Begabungen sind ja sehr unterschiedlich verteilt. Einige Menschen können die Welt einfach mit einer besonders freundlichen Art und ihrem liebevollen Wesen bereichern, andere machen große Entdeckungen. So ausgedrückt können auch kleine Kinder es verstehen. Wenn hier „Vielleicht bist du hier, um Licht an Orte zu bringen, die viel zu lange dunkel waren“ steht, ist dies für die offizielle Zielgruppe ab 5 Jahren, nicht klar. Anders jedoch bei der Aussage „Oder vielleicht wirst du Menschen mit deiner Begeisterung mitreißen?“. Wobei ich nicht weiß, ob 5 Jährige unbedingt den Begriff Begeisterung immer kennen. Es empfiehlt sich auf jeden Fall dieses Buch gemeinsam mit Kindern zu lesen und genau auf diese zu achten und vielleicht auch mal nachzufragen ob alle Begriffe verständlich sind. Am ärgerlichsten finde ich allerdings bei einem hinreißenden Bild die meiner Meinung nach fehlerhafte Übersetzung „Vielleicht wirst du einmal etwas erfinden, das noch niemand zuvor gesehen hat?“. Dieser Satz müsste meines Erachtens entweder „Vielleicht wirst du einmal etwas finden, das noch niemand zuvor gesehen hat?“ oder „Vielleicht wirst du einmal etwas erfinden, das noch niemand zuvor erfunden hat“ heißen, aber so ist der Satz sprachlich unlogisch. Es sind viele schöne Gedanken, aber genau dieses Beispiel zeigt auch, dass es sich an eine sehr spezielle Zielgruppe richtet: Gebildete Eltern mit hohen Erwartungen an die Besonderheit ihrer Kinder, die diese fördern und erwarten, dass etwas ganz Besonderes dabei zu Tage treten wird. Es warnt auch davor, dass man manchmal das Gefühl hat zu scheitern (auch ein Begriff, der für kleine Kinder zu abstrakt ist) und man dann aufstehen und weiter machen muss. Eigentlich ein wertvoller Gedanke, dennoch habe ich stets das Gefühl von elterlichem Erwartungsdruck nicht abschütteln können. Das ist aber einfach ein subjektives Gefühl meinerseits beim Lesen, unbestimmt, vielleicht, weil einige recht anspruchsvolle Begrifflichkeiten, in dieser für Kinder wirklich zauberhaften und magischen Illustration mit eingebunden sind.


Die Illustrationen von Gabriella Barouch sind zauberhaft und laden zum Verweilen und Betrachten ein. Viele liebevolle kleine Details gibt es zu entdecken. Besonders liebte meine Tochter das kleine Schweinchen, das als treuer Begleiter des Kindes auf fast jedem Bild zu sehen ist und wie das Kind vor riesigen Fliegenpilzen steht und die weißen Flecken entfernt. Da musste sie kichern über die Idee, diese derart zu entgiften. Allerdings wunderte sie sich ebenso wie ich über die seltsame Kopfbedeckung aus Blättern und mit Vogelschnabel. Diese Frage beschäftigte sie sehr intensiv und lenkte sie wie mich, sehr vom eigentlichen Thema des Buches ab: „Mama, ich glaube die Zeichnerin kann keine Menschenhaare zeichnen, sondern nur Tierfelle und hat dem Kind deshalb die Kappe aufgesetzt“. So ganz hat es mich nicht überzeugt und beschäftigt mich noch immer. Ich finde es schade, das solch eine unerklärliche Frage den Fokus verschiebt und den Zauber des Buches herabdimmt. Einige der Illustrationen haben etwas magisches an sich, wie z.B. das Mädchen durch eine Treppe mit seinem Schwein im Inneren eines Buches verschwindet.


Eine kindgerechtere Sprache hätte ich mir für diese wirklich unglaublichen Bilder und kurzen Texte gewünscht, dann hätten nicht nur die Farben und Illustrationen mein Kind verzaubert, sondern auch der Text. Dabei ist meine Tochter immerhin schon 10 Jahre alt und kennt Begriffe wie „scheitern“ „bedeutsam“ und „Begabung“. Es ist wirklich sehr schön, richtet sich für mich aber nicht an jedes Kind, sondern an Kinder des Bildungsbürgertums. Wobei ich hier das Gefühl habe, dass vermittelt wird, Du bist begabt, zeig uns was Du kannst, - scheitern gilt nicht, mach weiter. Ich spüre Erwartungsdruck und eben nicht nur die Ermutigung, man selbst zu sein.

Ein wunderschönes Buch, auf das meine Tochter sich sofort gestürzt hat und sofort auch gelesen hat. Dessen Aussagen sie jedoch auch etwas zwiegespalten zurückließen.

Ich bedanke mich ganz herzlich beim Adrian Verlag und buchcontact für dieses herrlich illustrierte Bilderbuch.