Dienstag, 1. November 2022

Sterz und der Mistgabelmord, Ein Steiermark-Krimi, Isabella Archan, Servus Verlag

Sterz und der Mistgabelmord, Ein Steiermark-Krimi, Isabella Archan, Servus Verlag

 

Ferdinand Sterz, 36, ist nach ersten Erfolgen bei der Steirischen Kripo von der Steiermark zu Europol nach Köln fast schon geflohen. Seit dem Unfalltod seiner Mutter in seiner Kindheit, herrscht zwischen ihm und seinem Vater quasi Eiszeit. Alles erinnert ihn zu sehr an sie und die Sinnlosigkeit ihres Verlustes. Warum musste es ausgerechnet seine Mutter treffen? Doch als frühmorgens Lena, seine einstige Verlobte, Liebe seines Lebens und Schwester seines einstmals besten Freundes Ludwig anruft, um ihn über dessen Ermordung zu informieren, kehrt Sterz zurück. Für ihn ist klar, dass er sich von Europol in das örtliche Ermittlerteam versetzen lassen will. Trotz der Geister der Vergangenheit, ist er entschlossen, den Mord an seinem einzig wahren Freund aufzuklären. In der Soko reagiert der Leiter abweisend, aber seine neue Partnerin Gitte Busch, eine Zugezogene aus Wien, ist nicht nur engagiert, sondern schafft es auch immer wieder ihn mit Humor, auf den Boden zurück zu holen. Der Mord scheint ebenso grausam wie sinnlos zu sei. Während die Ermittlungen auf der Stelle zu treten scheinen, enthüllen ihm sein Vater und die Patentante seiner Mutter, erschreckende Wahrheiten über ihn selbst. Wie gut, dass Gitte stets an seiner Seite ist.

 

Ein Mord mit einer Mistgabel, so kaltblütig und absurd, dass die Ermittler im Dunkeln tappen. Außerdem scheinen alle Infragekommenden entweder ein unerschütterliches Alibi zu haben, oder unauffindbar zu sein.

Sterz ist ein ungewöhnlicher Held, etwas abweisend und schwer zugänglich, ein echter Einzelgänger, doch Gitte scheint ihn zu knacken, wobei die attraktive Pathologin Dr. Casella auch einen Zugang zu ihm findet. Erfrischenderweise ist hier der Kommissar, bzw. Inspektor weder Kettenraucher, noch Alkoholiker, oder Tablettenabhängig, nur eben nicht unbedingt ein Menschenfreund. Seine freudlose Kindheit nach dem tödlichen Verkehrsunfall seiner Mutter hat ihn zu sehr traumatisiert. Kein Wunder also, dass ihm trotz erfolgreich bestandener Führerscheinprüfung Schweiß ausbricht, sobald er hinterm Steuer sitzt. Ein Ermittler der nicht Auto fährt, auch das ist außerhalb von Großstädten möglich. Dieses logistische Problem, das er immer wieder in den Griff bekommt, gefällt mir ebenfalls, gibt es ihm doch eine sehr eigene Note. Er jammert nicht, er macht einfach. Bisweilen auch ganz alleine, was in einem Team nicht gern gesehen ist, aber er lässt sich auch nur ungern in die Karten gucken. Für Gitte mit ihrer offenen, humorvollen Art gibt er sich allerdings echt Mühe.

 

Sehr direkt und unverblümt schildert Isabella Archan die Gedanken und Gefühle dieses Ermittlers, der noch seine innere Mitte sucht. Die Leere in sich versucht er mit Arbeit aufzufüllen, aber das geht nicht so einfach. Man wird seine Vergangenheit nicht los und die Menschen, die einem nahestehen zu ignorieren bringt auch nichts. Manche Gefühle müssen einfach raus, oder zumindest muss man sich mit ihnen auseinandersetzen. So wird dieser sehr persönliche Fall, zu einer Auseinandersetzung mit sich selbst und seiner Vergangenheit. Um nicht wegen Befangenheit aus dem Team, das ihn ja eigentlich gar nicht will, ausgeschlossen zu werden, verheimlicht Sterz, dass Ludwig bzw. Wiggerl einst sein einziger und bester Freund war. Umso mehr erschüttert es Sterz, als er auf dessen Hof, den Tatort zurückkehrt und dessen desolaten Zustand bemerkt. Was ist hier nur geschehen während all der Jahre, in denen er seine eigene Vergangenheit zu verdrängen versuchte? Ich hatte bis kurz vor Schluss das Gefühl im Dunkeln zu tappen und etwas ganz entscheidenes zu übersehen. Als ein zweiter Mord geschieht und auch Sterz Leben in Gefahr gerät, wird es immer spannender. Dabei wird die steirische Kulisse hervorragend in die Geschichte integriert, ebenso wie die Vorbehalte gegenüber Menschen, die sich allzugewählt ausdrücken....

 

Der dunkelgrüne Farbschnitt gefällt mir ausgesprochen gut und hat auf den ersten Blick mein Herz erobert!

 

Ein sehr ungewöhnlicher und spannender Krimi, der hoffentlich der Auftakt zu einer neuen Reihe ist.

 

Ganz herzlichen Dank an Isabella Archan und den Servus Verlag für mein Rezensionsexemplar!

 

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Montag, 31. Oktober 2022

Einfach nur Paul, Tania Witte, gelesen von Jonathan Berlin & Isabel Abedi, 6 h 10 min. digital only, German Wahnsinn Records

 

Einfach nur Paul, Tania Witte, gelesen von Jonathan Berlin & Isabel Abedi, 6 h 10 min. digital only, German Wahnsinn Records

 

Paul (16) ist Sänger der Schulrockband „Going under“ obwohl er Rock hasst und meint, er könne nicht singen. Aber die Bandmitglieder sind seine besten Freunde, sie verlassen sich für den Bandwettbewerb auf ihn und in Gitarristin Amira ist er hoffnungslos verliebt. Mit seinem Vater kann er gar nicht, der hat auch Null Verständnis für seinen Look, während er zum Glück die coolste Mutter aller Zeiten hat. Nicht nur die, auch seine kleine Schwester Linn, eine absolut clevere Nerdin ist die beste Schwester der Welt. Bis sie für ein Bioreferat einen Familienblutgruppentest macht und feststellt, dass Paul irgendwie nicht ganz dazu gehören kann. Kein Wunder, dass Paul sich von seinem Vater immer abgelehnt gefühlt hat und sie so gar keine Gemeinsamkeiten haben. Doch es ist ganz anders und das wirft ihn völlig aus der Bahn!

 

Ehrlich, einige Coming-of-Age Romane lassen mich absolut kalt, auch Klassiker wie „Der Fänger im Roggen“. Ich finde die „Helden“ dieser Geschichten absolute Jammerlappen, die gar nicht zu schätzen wissen, was sie haben, sich im Selbstmitleid suhlen, statt die Dinge in die Hand zu nehmen. Hier ist es anders. Ich kann verstehen und fühlen, dass Paul bis ins Mark erschüttert ist, dass die ständigen Wendungen ihn ebenso emotional überfordern, wie all die Möglichkeiten, die ihm offenstehen, oder auch nicht. Er braucht Zeit das alles sacken zu lassen und es wirft ihn völlig aus der Bahn, aber er lässt sich nicht einfach runterziehen. Er weiß jederzeit wer seine Freunde sind und dass er sich auch auf Linn jederzeit verlassen kann. Er muss also nicht alles in Frage stellen, auch wenn er zu Beginn fürchtete auch sie zu verlieren. Als er aber merkt, dass dem nicht so ist, versucht er nach und nach, sein Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen und ihm die neuen Impulse und Richtungswechsel zu geben, die er schon längst hätte in Angriff nehmen sollen, sich aber nicht getraut hat. Als er es tut, bricht seine Welt nicht wie befürchtet zusammen, im Gegenteil! Das macht unglaublich Mut, nicht nur nach seinen Stärken und Zielen zu suchen, sondern sie auch anzugehen. Alles ist möglich, auch eine neue Liebe und vielleicht sogar eine Familie plus. Immer wenn Paul das Gefühl hat, jetzt irgendwie klar zu kommen, kommt es noch dicker und es werden absolut moderne Jugendsorgen, in einer Welt, die scheinbar offen und tolerant genug für alles ist (vor allem in Berlin), thematisiert. Asexualität, Transgender, Nicht-Binär.... das kann auch einen ganz „normalen“ Hetero-Teen aus den Latschen hauen, wenn es ihn indirekt betrifft. Dabei gefällt mir sehr gut, dass hier auch die Asexualität angesprochen wird, denn wir sind bisweilen so tolerant und übersexualisiert, dass für das Fehlen kein Raum zu bleiben scheint und es gedanklich meistens völlig untergeht.

 

Sprachlich gelingt es Tania Witte sehr gut, jung zu klingen, ohne sich sprachlich anzubiedern. Man nimmt ihr Pauls Gedanken als seine eigenen ab. Das liegt nicht nur an der Erzählperspektive in der Ich-Form, sondern eben auch an der Sprache, die sich auch durchaus in den zwei wechselnden Perspektiven von Paul und „K“ unterscheidet.

 

Die szenische Inszenierung hat mir unglaublich gut gefallen, gerade weil ich mit E-Musik nicht viel am Hut habe. Die Einspielungen haben mir ganz deutlich gemacht, wie Pauls Musiker Herz schlägt, wie er seine Gefühle ausdrückt und das ist eben nicht Sex, and Drugs and Rock'n Roll! Jonathan Berlin klingt absolut authentisch als Jugendlicher, dem der Boden unter den Füßen weggezogen wird und dadurch im Gefühlschaos versinkt. Doch nicht nur er sucht nach sich selbst, auch seine leibliche Mutter tut dies. Doch statt in Musik, drückt „K.“ ihre Gedanken in einem Tagebuch für ihren Sohn aus. Diesen Part übernimmt Isabel Abedi, die „K“s Hoffnungen, Ängste und Entwicklung aus dem Tagebuch übernimmt. Es ist, als ließe sie einen in „K“s Kopf blicken, in dem alles herumwirbelt und Angst und Unsicherheit mit der Hoffnung konkurrieren. Mutterliebe ist schon was ganz Besonderes, aber ist es das auch, wenn die Mutter einfach geht? „K“ versucht mehr sich zu erklären, als sich zu rechtfertigen. Schwierig aus Pauls Sicht, aber nachvollziehbar aus „K“s. Isabel Abedi gelingt es „K“s Emotionen und Unsicherheiten einen Klang zu verleihen und somit ihre Emotionen hörbar und besser spürbar zu machen.

 

Was mir wirklich gut gefällt, ist dass diese Geschichte ein offenes Ende hat, weil Jugend nun mal Entwicklung bedeutet und warum müssen wir jetzt schon wissen, wie Paul in 20 Jahren sein wird? Aber seine Selbstfindung ist soweit abgeschlossen, dass wir wissen, dass er klar kommen wird und das nicht alleine!

 

Ein Held mit Ecken und Kanten, der seinen Weg geht und Mut macht, Mut auch seine Gefühle und Wünsche anzunehmen und zu leben.

 

Ganz herzlichen Dank an German Wahnsinn Records und Donate Altenberger!

 

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