Sonntag, 19. Mai 2019

Meine Checkliste zum Verlieben, Anja Janotta, Magellan Verlag



Meine Checkliste zum Verlieben, Anja Janotta, Magellan Verlag

Naomis (13) Leben steckt gerade fest und das nicht gerade in einem Alltag, den man festhalten möchte. Ihre Eltern haben sich getrennt. Seither umsegelt ihr Vater die 7 Weltmeere und ihre Mutter musste mit ihnen in eine billigere Wohnung, weit weg ziehen. Seither macht sie Yoga und liest Ratgeberliteratur am laufenden Meter. Darin gibt es auch eine Checkliste mit 36 Fragen des Psychologen Arthur Aron, die, wenn zwei Menschen, sie sich gegenseitig stellen, sie ehrlich beantworten und sich dann 4 Minuten lang still in die Augen schauen, sich verlieben. Ehrlich! Sie würde das ja gerne mit dem süßen Gustav aus ihrer Klasse ausprobieren, aber der ist angesagt und sie als die „Neue“ ist nur die Nummer 15 unter den 16 Mädchen der Klasse. Der schaut sie sicher nicht an. Nur die stille, aggressive Juli, die gerne mal zuschlägt, ist noch unbeliebter. Dann wird ihr für ein Bioexperiment Adrian, der unbeliebteste Junge und Asperger Autist zugeteilt. So gefühllos wie er seziert, könnte man doch mit ihm das Experiment wagen, so einer verliebt sich doch nicht, aber interessant wäre es schon. Bei Juli riskiert sie auch nichts außer Schlägen und die bekommt sie eh ab, was hat sie also zu verlieren? Ein Experiment, mit erstaunlichen Folgen.

Als Kind dachte ich, es wäre doch sicher mal cool, die Neue zu sein. Man ist neu, man ist anders, sicher für alle spannend und man kann sich neu erfinden, weil einen ja noch nicht jeder seit dem Kindergarten kennt. Aber sowohl bei Anja Janotta, als auch Ute Krause, die selbst als Kinder viel umzogen, steht zwischen den Zeilen ihrer Bücher, daß es alles andere als cool ist. Also glaube ich ihnen. Auch ansonsten kann ich Naomi gut verstehen, daß sie gefrustet ist, selbst ohne ihre ständigen Streitereien mit ihrem 9 jährigen Bruder Tim, für den sie immer Verständnis haben soll, weil er ja jünger ist. Doch wer hat Verständnis mit ihr und damit dass sie alle ihre Freunde verloren hat und ihr Vater sich nie meldet und wenn nur mittels Postkarte an Tim? So stellt Naomi ihre Fragen an die zwei unbeliebtesten Klassenkameraden und die Fragen zeigen Wirkung, nachvollziehbar. Nein, Naomi trifft keine gute Fee, aber die Fragen bringen zum Nachdenken, über sich und das Gegenüber und beim Lesen auch dem Leser selbst, wenn er ehrlich mit sich selbst ist. Für das Experiment hat sie sich harte Nüsse ausgesucht, Menschen bei denen sie bezweifelt, daß sie zu Gefühlen überhaupt in der Lage sind! Dies ist kein Märchen, Naomi wird nicht Ballkönigin, sie spielt auch keine Hauptrolle in der Schulaufführung, lediglich in dem Abenteuer, das ihr Leben ist. Den Soundtrack dazu, hat sie ja schon mit Crowded House, der Lieblingsband ihres Vaters und nun auch von ihr schon gefunden. „Don't dream it's over“ lässt sie nicht mehr los und schleicht sich in ihre Träume und in mein Ohr. Ebenso lassen sich Naomis Fragen nicht ohne weiteres abschütteln, nicht von ihr und nicht von Adrian oder Juli.
Naomi ist 13, sie hat die Sorgen und Nöte von vielen Mädchen dieses Alters. Sie handelt, denkt und fühlt wie eine 13 Jährige und ist daher auch bisweilen ebenso kindisch. Ihre Hoffnungen entsprechen dem Alter und daher wird nein, nicht wild geknutscht. Es ist kein Märchen, es ist ein, so-könnte-sein-Buch und dabei wunderschön. Es vermittelt der Zielgruppe nebenbei auch den Wert dessen was zählt und motiviert hinter die Fassade zu gucken. Auf nicht ganz angenehme Weise lernt Naomi auch zu schätzen was sie hat, statt nur nach etwas zu streben was sie nicht hat. Dabei gerät sie mit Adrian fürchterlich in Streit über die emotionale bzw. wissenschaftliche Frage, was denn Liebe ist und wie sie funktioniert (Absolut lesenswert!).

Ist das wirklich ein Buch für Mädchen ab 12, oder doch eher für die Mütter, die gerne hätten, daß ihre Töchter das lernen? Nee, es ist wirklich für Mädchen, denn man fühlt mit Naomi. Nicht nur sie, auch die stille Juli, in der innerlich ein Vulkan aus Frust und Angst brodelt und Adrian, der in seiner emotionalen Wahrnehmung nicht dem Durchschnitt entspricht, sind sehr gut und nachvollziehbar beschrieben. Leider ist auch sehr nachvollziehbar, wie seine Mitschüler auf Adrian reagieren, auch wenn sie wissen, das er anders ist. Gerade Asperger Autisten werden gerne in Regelschulen inkludiert und 2 h die Woche Hilfe durch einen Sonderpädagogen hilft da nicht, gegen die allgegenwärtigen Besonderheiten in der Wahrnehmung und im Verhalten. Daher hat Anja Janotta in altersgerechter Sprache (die Vorbilder stellen ihre Füße unter ihren Tisch) eine Geschichte erzählt, die zwar ein wunderbares Ende hat, aber keines, an dem Hollywood interessiert wäre, zu subtil. Gerade das gefällt mir. Im Leben sind es meist nicht die großen Bling-Bling-Momente, die das Leben verändern, sondern die kleinen, feinen Momente des Glücks, das zarte Erwachen. Sie ermutigt hinter die Fassaden der Mitschüler zu blicken, um verborgene Freundschaftsjuwelen bergen zu können. „Now we're getting somewhere“!. Den Soundtrack zum Buch von Crowded House kann ich nur empfehlen, ebenso wie dieses Jugendbuchjuwel.

Ich bedanke mich ganz herzlich bei Anja Janotta, für diese Einblicke in Naomis, Julis und Adrians Seelenwelt.

Und wer nun neugierig auf den Soundtrack zum Buch ist, kann ihn hier hören. Viel Spaß!

Freitag, 17. Mai 2019

Emilia und der Junge aus dem Meer, gelesen von Sascha Icks, DAV



Emilia und der Junge aus dem Meer, gelesen von Sascha Icks, DAV

Dieses Hörbuch beginnt mit einem Zitat aus Andersons kleiner Meerjungfrau und Berthold Brechts Drei-Groschen-Oper, das ist durchaus berechtigt, da inhaltliche Ähnlichkeiten sicherlich auch bewußt in Kauf genommen wurden.

Emilia ist 10 Jahre alt und die Tochter des Leuchtturmwächters. Nachdem sie gerade 2 Wochen lang zur Schule ging, wurde sie wieder herausgenommen, da ihre Mutter schwer erkrankte und sie sie pflegen sollte. Nach ihrem Tod, musste sie sich um ihren Vater kümmern. Der ertränkte seinen Kummer über den Verlust seiner Frau und seines Unterschenkels (über diesen Vorfall schweigt er sich aus) in Schnaps. So ist Geld stets knapp und Nahrung auch. Als ein Sturm aufzieht, stellt Emilia fest, daß sie keine Streichhölzer mehr haben. Sie zieht trotz des Unwetters los, doch die Hölzer werden ins Meer geweht und ein Unglück geschieht. Da der Leuchtturmwächter seiner Aufgabe nicht nachkam, muß er für den Schaden aufkommen. Er wird für 7 Jahren im Turm eingesperrt und Emilia muß im Gruselhaus des schwarzen Admirals arbeiten, als Dienstmädchen. Das Haus ist herunter gekommen. Genau zu ihrer Ankunft wird der langjährige Diener Josef zu Grabe getragen und fast alle Dienstboten verlassen fluchtartig das Haus. Denn Josef versorgte seit Jahren das Monster im Turmzimmer. Nun traut sich niemand mehr in dieses Zimmer, nur Emilia, die die Sehnsucht nach dem Leuchtturm in das höchste Zimmer des Hauses zieht. Was sie dort entdeckt, verändert ihr Leben, ihres und das aller Mitglieder des Haushalts.

Die Geschichte beginnt über eine lange Zeit skandinavisch traurig melancholisch. Nur die Stimme von Sascha Icks und die Zusicherung der Bloggerbetreuerin des Verlages, daß es eine wunderschöne Geschichte sei haben mich weiterhören lassen (meine Familie zeigte da mehr Durchhaltevermögen). Geschichten in denen Kinder in großer Armut leben und von den Verantwortlichen rücksichtslos und gemein behandelt werden, sind nicht so mein Fall. Doch nach und nach zog mich diese märchenhafte, merkwürdige, ungewöhnliche Geschichte in ihren Bann. Die Härte und die Kälte, die Emilia, genannt Lämpchen in dem Admiralshaus entgegenschlägt, hat mich schon etwas mitgenommen. Doch nach und nach schafft es das Mädchen mit ihrer Herzensgüte und ihrer Freundlichkeit aus ihren Mitmenschen das Beste heraus zu kitzeln. Immer mehr Menschen, denen sie begegnet lassen sich von ihrer entwaffnenden Art anstecken. Auch das „Monster“ dessen Geheimnis sie nach und nach lüftet und das sie dadurch befreit, vertraut sich ihr an.

Bei dem Titel hatte ich mir etwas völlig anderes vorgestellt. Es ist immerhin ein niederländisches Kinderbuch und die niederländischen Filme auf Kika sind immer echte Mutmacher und spenden Trost. Anfangs spendet niemand Emilia Trost und gerade diese Trostlosigkeit fand ich schwer erträglich. Bei den angekündigten Piraten dachte ich eher an Peter Pan, aber es ist doch eher der eingangs zitierte Anderson der zum Tragen kommt und in eine fantastische Welt voller Abscheu und Liebe entführt. Auch wenn das Cover eher an kleine Kinder denken lässt, ist es für solche nicht geeignet. Bisweilen ist die Geschichte ganz schön gruselig und ab 10 Jahren ist wirklich absolut passend. Die Autorin ist wohl selbst von dem Märchen der kleinen Meerjungfrau fasziniert und der Frage nachgegangen, was wohl so aus einer Meerjungfrau noch hätte werden können, wenn sie nicht das gar zu garstige Ende von Anderson ereilt. Dieses Märchen geht hart aber herzlich aus. Nein, niemand heiratet, aber Freiheit und Wiedersehen sind auch Werte, die keineswegs geringer sind.

Sascha Icks ist absolut faszinierend in ihren sanften gleitenden Übergängen von sanft, über bedrohlich zu verängstigt oder selbstsicher. Ihre Stimme beherrscht die gesamte Klaviatur der Emotionen, aber auch der Charaktere in ihrer Vielschichtigkeit. Auch die russischen siamesischen Zwillinge bekommt sie absolut überzeugend hin, ohne daß es aufgesetzt oder übertrieben klingt. Sie klingt einfach so, wie diese Geschichte klingen muss! Zudem ist ihre Stimme wunderschön warm, weich und wohlklingend. Es ist ein Genuss ihr zuzuhören.

Diese Geschichte ist ganz anders, völlig eigen, einfach unvergleichlich. Die Schönheit von Sascha Icks Vortrag lässt mich fast meine persönlichen Animositäten vergessen, die aber meine persönlichen sind. Meine Große mochte gerade die gruseligen, unheimlichen und spannenden Stellen sehr, während mein Mann vor allem die leisen, sensiblen Stellen mochte.  Die Jüngste fand es geheimnisvoll.

Ein Hörbuch das absolut im Gedächtnis bleibt und aus der Masse heraussticht, sowohl stimmlich, als auch inhaltlich.

Ich bedanke mich ganz herzlich beim DAV-Verlag für über 7 Stunden ungekürzte Höremotionen.