Mittwoch, 10. Oktober 2018

Belgravia, Julian Fellowes, gelesen von Beate Himmelstoß, 2 MP3, der Hörverlag



Belgravia, Julian Fellowes, gelesen von Beate Himmelstoß, 2 MP3, der Hörverlag

London 1841 James Trenchard ist ein ehrgeiziger, fleißiger Mann, der sich aus einfachen Verhältnisses, als Proviantmeister der englischen Armee zur Zeit der letzten napoleonischen Schlachten, in Belgien, hochgearbeitet hat. Damals in Belgien lebte er mit seiner intelligenten, weitsichtigen Frau Anne, seiner schönen, aber dickköpfigen Tochter Sophia und seinem zu weichen Sohn Oliver. Sophia hatte es durch Hartnäckigkeit geschafft, der Familie Eintrittskarten für einen privaten Ball in höchsten aristokratischen Kreisen zu besorgen, da sie und der Neffe der Gastgeberin Edward Brockenhurst, eine heimliche Liaison hatten. Während Edward kurz darauf auf dem Schlachtfeld fiel, starb Sophia im Kindbett. Ihr Sohn wurde heimlich einem kinderlosen Landpfarrer in Obhut gegeben. Nun 25 Jahre später ist James Trenchard ein reicher Bauunternehmer und nimmt den nichtsahnenden Enkelsohn Charles Probe unter seine Fittiche. Dieser hat nach einem Studium und einer erfolgreichen Zeit in einer Bank nun eine Baumwollspinnerei erworben und ist in seinen Anfängen sehr froh über seinen Mentor und Mäzen, sehr zur Missbilligung von Sohn Oliver. Als die hochwohlgeborene Lady Brockenhurst erfährt, daß der Sohn ihres einzigen Kindes lebt, nimmt sie so regen Anteil an seinem Werdegang, daß die feine Gesellschaft sich zu wundern beginnt. Das nimmt sie hin, da ein illegitimes Kind eines Sohnes, nicht die gesellschaftliche Ächtung bedeutet, wie dies für die Familie der Mutter sein könnte. Doch ist dies nicht die einzige Gefahr, auch der designierte Brockenhursterbe und die Dienstboten schmieden ihre eigenen Pläne für ihr vermeintliches Glück.

Dieses Hörbuch stammt aus der Feder des Autors der erfolgreichen BBC-Serie „Downton Abbey“ und das macht sich sofort bemerkbar, auch wenn diese Geschichte in einer anderen Zeit spielt.
Geschildert wird diese Familiengeschichte, in der die Schicksale eines alteingesessenen Adelsgeschlechts mit der einer neureichen Kaufmannsfamilie unwiderruflich miteinander verwoben sind, aus verschiedenen Perspektiven. Es gibt keine Hauptfiguren, denen Blickrichtung man annimmt, doch gleich mehrere intelligente und starke Frauen, mit denen man sympathisieren kann, bzw. deren Kunst zur Intrige man in anderen Fällen nur bestaunen kann. Die Damen dieses Gesellschaftsromans, sind deutlich gerissener, als die Männer, deren gesellschaftliche Stellung zu Beginn der viktorianischen Regentschaft deutlich gefestigter ist. Die Industrialisierung kommt in Schwung, der Bau der großen Eisenbahnstrecken lässt Entfernungen schwinden und die Städte scheinen näher aneinander zu rücken. Landgüter werden nach Fertigstellung der Bahnlinien deutlich schneller erreichbar sein. Es wird der Fokus jedoch weniger, auf die Entwicklung und die Folgen des Fortschritts wie der Verelendung der Arbeiterklasse, wie bei Dickens gelegt, als viel mehr auf die gesellschaftliche Stellung, der aufsteigenden, reichen Kaufmannsklasse. Diese haben oft ein vielfaches an Vermögen gegenüber dem bisweilen stark verarmten Adel, der alles tut, um den Untergang ihrer Häuser durch geschickte Heiraten zu verhindern und die Fassade aufrecht zu erhalten. Besonders deutlich wird dies an Lady Maria, auf deren Schönheit die Hoffnung ihrer verarmten Mutter liegt, die aber deren Intellekt und Menschenkenntnis. nicht im geringsten zu schätzen weiß. Doch gerade diese Eigenschaften verhindern ihren gesellschaftlichen Untergang und behüten sie vor den um sie herumtobenden Intrigen.

Es gefällt mir gut, daß sowohl Anne und James Trenchard als auch Lady und Lord Brockenhurst vielschichtige Charaktere sind. Gerade Anne und Lady Brockenhurst taktieren, aber planen nicht gezielt jemandes gesellschaftlichen Untergang, wobei Lady Brockenhurst dies jedoch durchaus billigend in Kauf nimmt. James Trenchard ist jedoch vor allem ein ehrenwerter Kaufmann, der es durch Fleiß und Kaufmannsgeist es sehr weit gebracht hat, wenn auch noch nicht zu der gesellschaftlichen Position, die seinem Vermögen entspricht. Richtig hinterhältig und durchtrieben sind vor allem die Nebenrollen, deren soziale Absicherung so mies ist, daß sie natürlich auch nicht mit der Selbstverständlichkeit und Zuversicht in die Zukunft schauen können, wie eine hochwohlgeborene Lady Brockenhurst.

Beate Himmelstoß hat mich sehr positiv überrascht bei diesem Hörbuch. Bislang kannte ich sie vor allem aus Agatha Christie Vertonungen, in denen sie deutlich älter klang (gut Miss Marple ist auch nicht mehr die Jüngste). Gerade bei Susan Trenchard der Schwiegertochter finde ich ihre Interpretation sehr überzeugend. Jung, schön und taktierend. Lady Maria klingt vor allen Dinge jung und überschwänglich, jedoch nicht ganz so intelligent und gebildet, wie ihr Verlobter, der designierte Erbe der Brockenhursts beklagt. Bei Anne Trenchard und Lady Brockenhurst liefert sie sich selbst ein Duell der Geister, dem Lady Templehurst, die Mutter von Lady Maria, einfach nicht gewachsen ist. Doch auch die Herrenrollen bewältigt sie mit Bravour, ebenso wie die Dienstboten. Interessant fand ich auch, daß ein männlicher Autor, den weiblichen Protagonisten mehr Raum und Esprit gibt, die eigentlichen Stars der Geschichte, sind hier eindeutig die Frauen.

Julian Fellowes wurde 1949 in Ägypten geboren, wuchs in England auf und studierte in Cambridge. Er ist Schauspieler und Drehbuchautor. Für Gosford Park erhielt er den Oscar und Downton Abbey machte ihn berühmt. 2009 wurde er von Queen Elisabeth II in den Adelsstand erhoben. Wie bereits bei Gosford Park und Downton Abbey gibt es zahlreiche Protagonisten und Handlungsstränge mit Intrigen. Anders als in den klassischen Romanen von Jane Austen, den Brontes oder Charles Dickens, gibt es nicht eine erklärte Hauptperson, aus deren Sicht man die Welt sieht und mit der man mitleidet. Man nimmt mehr Anteil am Familienschicksal, als an Freud und Leid eines einzelnen. Hierdurch wird diese Geschichte, die durchaus ihre emotionalen Höhen und Tiefen hat, jedoch weniger emotional berührend, was ich etwas schade finde. Nichtsdestotrotz ist es dramatisch und spannend und ich wollte unbedingt beide MP3 zu Ende hören, obwohl mir das Medium eigentlich nicht sonderlich liegt.

Die Pappklappbox ist sehr edel und dem Sujet entsprechend gestaltet, der Anblick eines großen Herrenhauses umrahmt von einem Goldrahmen. Schade nur, daß auf ein Personenverzeichnis im Inneren verzichtet wurde, genügend Platz hätte sich auf den Pappflügeln befunden, denn gerade mit den Dienstboten, allen voran der Zuordnung der Zofen, habe ich mir etwas schwer getan.

Ein wirklich packendes und gut interpretiertes Hörbuch über die gesellschaftlichen Verquickungen zweier sehr unterschiedlicher Familien.

Ich bedanke mich ganz herzlich bei Lovelybooks und der Hörverlag für diesen Gewinn aus der „Der Sound der Bücher“-Aktion.

Montag, 8. Oktober 2018

Lesung am 7.10.18 mit Kirsten Boie aus Ein Sommer in Sommerby



Lesung am 7.10.18 mit Kirsten Boie aus Ein Sommer in Sommerby

Im Rahmen des rheinischen Lesefests Käptn' Book waren wir auf einer Autorenlesung mit Kirsten Boie im Kunstmuseum Bonn. Für einige begann es erst einmal mit der Überraschung der Aussprache ihres Namens als „Beue“ statt „Boje“ wie wir immer dachten, bis wir die ersten Hörbücher von ihr kennen gelernt haben ;) Ja, eine hanseatische Autorin, wird wohl Boje heißen... dem ist aber nicht so. Auch bei der Vorstellung des Buchtitels lernte ich wieder dazu: „In Sommer in Sommerby“ wir Sommerbü ausgesprochen, das by = bü ist die skandinavische Endung für Dorf, denn dieses Sommerferiengeschichte spielt an der Grenze zu Dänemark und erzählt die Geschichte von den drei Geschwistern Martha (12), Mikkel und Mats, die wegen eines Unfalls ihrer Mutter in New York, die Ferien bei der ihnen unbekannten Großmutter verbringen müssen. Ihre Mutter hat sich vor einer gefühlten Ewigkeit mit ihrer Mutter so überworfen, daß der Kontakt abbrach, doch als nun Papa zu Mama ins Krankenhaus fliegt, ist niemand anderes da der auf die Geschwister aufpassen kann. Vor Ort erleben die Kinder einen Kulturschock. Das kleine Reetdachhaus der Oma steht zurückgezogen auf einer Halbinsel, es gibt kein Fernsehen, kein Telefon und Internet schon gar nicht. Die Drei werden auch nicht verwöhnt, sie müssen mit anpacken, denn die Großmutter verdient sich ihren Lebensunterhalt mit selbst gemachter Marmelade und es ist Saison. Als das urige Idyll sich als bedroht erweist, merken die Kinder erst, wie sehr es ihnen ans Herz gewachsen ist und denken gar nicht daran klein beizugeben.

Kirsten Boie hat einige typische Passagen ausgewählt und endete an einer der spannendsten Stellen, als die Geschwister mit dem kleinen Motorboot der Oma in Seenot geraten. Ein echter Cliffhanger!

Kirsten Boie hat eine unglaublich warme Stimme, mit der sie geduldig die Fragen der Kinder aus dem Publikum beantwortet hat. Sie erklärte, daß die Rehe sehr gerne Blumen essen, wann immer sie die Gelegenheit dazu haben. Wie sie nach der Adoption ihres Sohnes die Idee hatte ein Kinderbuch zu schreiben (Paule ist ein Glücksgriff) und danach aufhören wollte, was ihr der Oetinger Verlag jedoch genauso erfolgreich ausredete wie Paul Maar. Dass sie für ihr zweites Buch gerade mal 18 Tage Zeit hatte, was ihr für die Geschichte sehr leid tue, weil man es ihr anmerke.

Als ehemalige Lehrerin versuche sie vor allem zu erzählen und möglichst nicht Botschaften zu vermitteln, da Kinder es nicht mögen belehrt zu werden. Manchmal, wie bei Thabo, dem Detektiv und Gentleman, sei es ihr jedoch ein Herzensanliegen, den Kindern in Deutschland zu zeigen, wie z.B. in Namibia die Kinder leben, daß sie es dann doch mache. Bei Sommerby sei es ihr aber nicht darum gegangen.

Sie erklärte, wie sie sich die Namen für ihr Hauptfiguren ausdenke, indem sie sich hier zum Beispiel überlegt hat, wie die Eltern eigentlich so sind und was sich solche Eltern wohl für ihre Kinder für Namen aussuchen würden, wohl doch eher nordische, wie eben Martha, Mikkel und Mats (im Gegenteil zu den Kindern aus „Entführung mit Jagdleopard“).

Mit „Ein Sommer in Sommerby“ hat sie im Sommer 2016 begonnen und weil sie sich gerade vor Ort befand, in dem Gebiet, in dem auch diese Geschichte spielt, war sie gerade in der richtigen Stimmung und schaffte es, daß Buch binnen 3 Monaten zu schreiben. Dennoch hat es noch bis zum Frühjahr 2018 gedauert, ehe es in die Buchläden kam.

Die großen und kleinen Zuhörer hatten viel Spaß an den zum Teil sehr persönlichen Erzählungen und Ausführungen einer der bekanntesten Kinderbuchautorinnen Deutschlands und bedankten sie mit großem Andrang am Signiertisch.