Ein Fall für Wells & Wong (7) Mord hinter den Kulissen, Robin Stevens, Knesebeck Verlag
London 1936: Nach all der Aufregung in Hongkong soll ein wenig
Gras über die letzten skandalösen Verbrechen um die Töchter aus besserer Gesellschaft,
die ehrenwerte Daisy Wells (15) und Hazel Wong (14), Tochter eines reichen und
mächtigen Hongkonger Privatbankiers, wachsen. Daher sollen sie noch nicht
sofort zurück auf ihr Mädcheninternat, sondern noch ein paar Wochen bei Daisys
Onkel Felix und Tante Lucy bleiben. Das klingt für beide wirklich
vielversprechend, denn Lucy ist prima und hat oft viel Verständnis für sie.
Doch nur allzu bald ist auch Lucy beruflich so stark eingebunden, dass sie sich
nicht um sie kümmern kann. Hausmädchen Bridget lehnt es schlichtweg ab, auf sie
aufzupassen. Da kommt Lucy der grandiose Einfall, dass es der glamourösen Daisy
großen Spaß bereiten könnte, bei einer echten Theaterproduktion mitzuwirken. Da
das legendäre Shakespeare Theater „Rue“ gerade in finanziellen Schwierigkeiten
steckt, ist die Inhaberin gegen Entgegennahme von ein paar diskreten
Scheinchen, nur allzu gerne bereit, die Mädchen für Nebenrollen zu besetzen.
Immerhin grassiert gerade die Grippe und ihr Ensemble schrumpft immer weiter
zusammen. Schnell schon bemerken die jungen Detektivinnen, dass es unter der
vertraulichen Oberfläche des „Rue“ nur so brodelt vor Animositäten und
Eifersüchteleien. Allzu bald tauchen Drohungen gegen die talentierte aber
biestige Hauptdarstellerin auf und dabei bleibt es nicht...
So ein Theater ist ein Kosmos für sich, dem hier der jungen
Leserschaft intime Einblicke gewährt. Fast alle Darsteller haben anscheinend
etwas zu verbergen. Dabei sollte man bedenken, dass die Gesetze und
Moralvorstellungen damals noch völlig andere waren als heute. Vieles was bei
weniger toleranten Zeitgenossen heutzutage zu Schmähkommentaren und
Beleidigungen führt, galt damals als Verbrechen. Schauspieler waren bereits
damals nicht nur extravagant, sondern auch schildernde Paradiesvögel vielerlei
Couleur und Neigung. Hier scheint die Luft regelrecht zu vibrieren vor
unterschwelligen Emotionen und dem Unheil, das sich schon früh ankündigt, aber
doch einige Zeit auf sich warten lässt, bis man die Darsteller besser kennt und
man für Sympathien und Antipathien auch seitens des Lesers ein besseres Gespür
bekommt. Dabei zeichnen sich auch erstaunliche persönliche Entwicklungen ab,
ähnlich wie in Hongkong. Eigentlich ist die zurückhaltende Hazel überhaupt
nicht scharf auf einen Auftritt auf der Bühne, aber in der Annahme, dass es
wichtig für Daisys Ego sei, überwindet sich Hazel. Dabei beobachtet sie ganz
erstaunt, wie ausgerechnet Daisy bisweilen zum verdrucksten, stammelnden
Mäuschen wird und hat auch schon einen Verdacht woran es liegen könnte. Je verunsicherter
die Detektei-Vorsitzende wird, desto kühner wird die Schriftführerin. Auch wenn
dieser Fall ebenfalls außerhalb des Internats spielt, kommen doch einige alte
Bekannte vor, nicht nur Lord und Lady Mountfitchet, man darf sich also auf
Wiedersehen freuen.
Selbst wenn dieser Fall in einer längst vergangenen Zeit spielt,
in der die Forensik noch in den Kinderschuhen steckte und es vor allem auf
Alibis und Möglichkeiten ankam, ist der Fall diesmal richtig kniffelig. Jedes
Detail zählt und die Hinweise in scheinbar dahingesagten Kommentaren, sollte
man nicht unterschätzen. Dennoch bin ich diesmal nicht von selbst
dahintergekommen. Der Stil ist zwar nicht salopp, aber dennoch für die heutige
Jugend gut verständlich und keinesfalls trocken. Die temperamentvolle Daisy
würde dies auch nicht zulassen.
Ganz wundervoll ist auch diesmal die Gestaltung mit den sortierten
Personenverzeichnissen, den Plänen von den Theaterebenen und von den
wichtigsten Londoner Schauplätzen des Falls. Ganz zum Schluss findet sich dann
wieder Daisys Glossars mit den wichtigsten Begriffen aus der Theaterwelt, die
man als Teil der Zielgruppe oft noch nicht kennt.
Sehr interessant fand ich diesmal auch die Anmerkungen der
Autorin, die darauf hinweist, dass gelebte Homosexualität bei Männern in
Großbritannien bis 1967 als Verbrechen bestraft wurde (das wurde selbst bei
Prominenten wie Dramaturg Oscar Wilde knallhart durchgezogen), in der
Bundesrepublik wurde der §175 StGB der männliche Homosexualität generell
bestrafte, erst 1969 abgeändert und erst nach der Wiedervereinigung 1994
komplett abgeschafft. Für die Zielgruppe ist all das lange her, aber erst 2003
wurde in England Sektion 28 abgeschafft, der es verbot in Kinder- und
Jugendbüchern über LGBTQ-Menschen zu schreiben. Ich habe mich beim Vorlesen für
meine Kinder oft gewundert, warum es nun gefühlt ständig Bücher über
„Regenbogenfamilien“ gibt und früher nie, aber das erklärt für mich einiges...
Es soll eine Generation heranwachsen, die offener und toleranter ist. Dies auch
in Bezug auf die Hautfarbe, denn nicht nur Hazel hat keine rosa Haut und blonde
Haare, aber das Herz am rechten Fleck und eine rasche Auffassungsgabe.
Ein wundervoller historischer Krimi, der diesmal richtig kniffelig
ist und viele wichtige Themen anspricht und nachdenken lässt darüber, was sich
seit 1936 alles verändert hat und was sich immer noch verändern muss.
Ich bedanke mich ganz herzlich beim Knesebeck Verlag für mein
geliebtes Rezensionsexemplar.