Mein Körper gehört mir! ProFamilia, Illustrationen von Dagmar Geisler,
Loewe Verlag
Dies ist die Geschichte von Clara, einem fröhlichen, selbstbewussten
Kindergartenkind. Sie erzählt von sich, ihrem Körper den sie ganz genau im
Spiel betrachtet, ihren Freunden mit denen sie tobt und sich gegenseitig
kitzelt. Sie stellt fest, dass sie wächst und ihr Körper sich dadurch
verändert. Was bleibt ist, daß es ihr Körper ist, über den sie zu bestimmen
hat, weil sie weiß, was er mag und was nicht. Angenehme Berührungen setzen
Vertrautheit und Vertrauen voraus, in der Familie und von Freunden. Von
Unbekannten oder ferneren Verwandten mag sie es gar nicht! Da sagt sie ganz
klar und deutlich ihre Meinung und ermutigt die Zuhörer es ihr nachzumachen und
es schon mal laut und deutlich zu üben! Sollte das nicht reichen, ermutigt
Clara sich Hilfe bei einer Vertrauensperson zu suchen. Zum Schutz des Körpers
und der Seele ermutigt sie zur Achtsamkeit, ohne es so zu nennen, da es für die
Zielgruppe der Kinder ab 5 Jahren zu abstrakt wäre.
Dieses Buch hat es sich zur Aufgabe gemacht, Kinder vor Missbrauch zu
schützen, indem es ihr Körperbewusstsein stärkt und sie ermutigt ihre
Bedürfnisse klar und deutlich auszudrücken und bei Bedarf „nein!“ zu sagen. Um
sich mehr mit dem eigenen Körper zu beschäftigen ist dem Buch hinten eine
Körperlandkarte beigefügt, die gleich zwei Seiten hat, so daß sie auch
verschiedene 2 Kinder ermutigen kann, diese nach eigenem Vorbild zu gestalten,
anzumalen und zu markieren. Wer schon schreiben kann, kann sie natürlich auch
beschriften, oder z.B. die Eltern oder Erzieher bitten dies zu tun. Dies ist
ein Angebot um das eigene Körperbewusstsein zu steigern, daß Kinder angenehmen
können, aber natürlich auch das Recht haben sollten, zu sagen „mag ich nicht,
habe ich keine Lust zu!“.
Die Illustrationen sind freundlich und farbenfroh, so daß Kinder sich
angesprochen und gut aufgehoben fühlen. Dagmar Geisler ist eine seit über 25
Jahren erfolgreiche Kinderbuchillustratorin,
so daß ihr unverkennbarer Stil Kindern bekannt vorkommt und der
Wiedererkennungseffekt ein Gefühl des Vertrautseins schafft.
Sprachlich ist es einfach und gut verständlich, schwierig ist lediglich die
dahinter stehende Problematik, die Kindern hier aber einfach und kindgerechte
Wege zum Selbstschutz zeigen soll.
Gut finde ich, daß keine Gruppe in den Fokus gestellt wird, keine
Institutionen oder Vereine, denn es sind Menschen, reale Personen, die den
Missbrauch begehen, der vertrauenswürdige Rahmen einer angesehenen Institution
oder Vereins macht es den Tätern nur einfach leichter, da es sie vor dem
Misstrauen Dritter schützt. Doch nicht die Täter sollen im Vordergrund stehen,
sondern die Kinder. Wenn sie ihren Körper als ganz persönlichen Teil ihrer
selbst betrachten und kennen lernen, dann wissen sie, was sie mögen und was
nicht. Sie lernen auf ihre Bedürfnisse zu achten und sollten ihre persönlichen
Grenzen überschritten werden: „Nein“ zu sagen. Sie werden aufgefordert, im
Zweifel Hilfe zu suchen, bei einer Person ihres Vertrauens. Dabei ist dies
absichtlich neutral gehalten, da der Missbrauch fast ausschließlich durch
vertraute Personen erfolgt. Aus meiner Berufserfahrung weiß ich, daß die Täter
am häufigsten in der Familie zu suchen sind, leider ist es am häufigsten der
Vater und die Mutter schaut weg und schützt das Kind nicht. Das macht für mich
das verwendete Beispiel mit dem gemütlichen Kuscheln mit dem Vater etwas
problematisch. Sofern Kinder betroffen sind, trauen sie sich dann wirklich
noch, sich einer Vertrauensperson außerhalb der Familie, z.B. einer Erzieherin
oder der Sozialpädagogischen Familienhilfe anzuvertrauen? Es sind nicht immer
die Väter, aber oft. Natürlich gibt es stärkendes und gesundes Papa-Kuscheln,
sollte aber ein betroffenes Kind im Kindergarten dieses Buch vorgelesen
bekommen, kommen ihm hoffentlich Zweifel.
Es ist wichtig „Nein“ sagen zu lernen. Doch gerade Kinder, die innerhalb
ihrer eigenen Familie missbraucht werden, sind bis zum ersten Übergriff so
eingeschüchtert und autoritär erzogen worden, dass sie aufgrund ihrer prägenden
Erziehung sich nicht trauen gegen das Familienmitglied deutlich zu werden. Für
Übergriffe gegenüber Aussenstehenden ist es jedoch sehr geeignet. Es ermutigt
Kinder auch, bei Onkeln oder Tanten, die sie kaum kennen oder nicht so mögen,
unangenehme Küsse oder Umarmungen abzuwehren.
Die Jubiliäumsaufgabe hat nun noch das Recht am eigenen Bild und seelische
Unversehrtheit durch den Schutz vor unerwünschten Filmeindrücken aufgenommen,
auf 3 Zusatzseiten. Das ist etwas kurz, aber dennoch ein wichtiges Thema. Schon
von meinen Kindern weiß ich, daß die Kleine schon früh Bilder von sich und noch
viel stärker Veröffentlichung dieser ablehnte, während die Große es liebte mit
Bildern von Kindergartenaktivitäten in der Lokalpresse abgebildet zu werden.
Kinder habe da ein ganz natürliches Gespür für ihre Bedürfnisse und diese
sollten respektiert werden. Dies gilt auch bei dem, was Kinder im Fernsehen
sehen. Einige Kinder können nicht schlafen, nachdem sie die Nachrichten gesehen
haben, andere nicht. Kein Kind sollte Pornos sehen, auch das ist ein Verstoß
gegen ihre Unversehrtheit (kommt aber leider vor). Unsere Nachbarskinder haben
sich zerstritten, weil der Große dem Kleinen detailliert Horrorfilme beschrieb
und nicht akzeptierte, daß der Kleine „Ich will das nicht hören“ schrie. Dieses
Buch kann nicht nur Kinder stärken, es kann auch Erwachsene mehr für die
Bedürfnisse von Kindern sensibilisieren.
Dieses Buch ist ein wichtiger Schritt zur Sensibilisierung von Erwachsenen
und Stärkung der Selbstwahrnehmung von Kindern. Es war mag aber nicht
problematische autoritäre Strukturen zu durchbrechen, die oft erst dem
Missbrauch den Boden bereiten und diesen ermöglichen. Es bietet keine wirkliche
Hilfe, sollte der Missbrauch durch Vertrauenspersonen erfolgen, da es nicht
hierzu ermutigt, weil es natürlich auch nicht alle Eltern unter Generalverdacht
stellen will und sollte.
Ein gutes Buch, daß aber leider nicht alle Probleme sexuellen Missbrauchs
und sexueller Gewalt im Keim zu ersticken vermag.
Ich bedanken mich ganz herzlich bei der Agentur Literarturtest und dem
Loewe Verlag für dieses Rezensionsexemplar.
Das Interview mit Dagmar Geisler folgt morgen....