Donnerstag, 5. September 2019

Das Herz am langen Zügel, Antje Szillat, Roman, Knaur



Das Herz am langen Zügel, Antje Szillat, Roman, Knaur

Malin ist 31 Jahre alt und geht in ihrem neuen Job als Produktmanagerin ihrer Firma in Hamburg, in welcher sie nach dem Abi mit der dualen Ausbildung anfing, völlig auf. Sie liebt ihr schickes Hamburger Leben, die Eleganz, die berufliche Herausforderung und mit ihrer Assistentin versteht sie sich blendend. Nur ob der gutaussehende Wirtschaftsanwalt Claas wirklich der Richtige für sie ist, dessen ist sie sich noch nicht so sicher, obwohl er für einen so erfolgreichen Anwalt wirklich ein extrem netter Kerl ist. Ihre Assistentin empfindet ihn als Jackpot! Gerade als sie in ein wichtiges Meeting zu ihrer ersten eigenen Produktkampagne starten will, wird sie zurückgehalten. Ihre Mutter ist am Telefon und lässt sich diesmal nicht abwimmeln. Ihr Vater hatte einen Unfall und wird gerade operiert. Malin kann es nicht fassen und fährt nach fast zwei Jahren wieder zu ihren Eltern aufs Land. Ihre Eltern und auch der elterliche Reitstall haben sich sehr verändert, viel zu lange war sie nicht mehr hier, um es zu bemerken. Auch den neuen, angeblich verrückten Hengst kennt sie noch nicht, obwohl sie alle vor ihm warnen, ist es Liebe auf den ersten Blick und nicht nur bei ihm…..
Dieser Roman startet wie so viele Frauenroman, mit einer starken, erfolgreichen Frauenfigur, die scheinbar alles hat und erfreulicherweise nicht auf den Kopf gefallen ist. Oder doch? Ernsthaft, ist es wirklich so schlau nur zu arbeiten und dafür seine Familie zu vernachlässigen und sie immer auf später zu vertrösten? Man hat nur einen Vater und eine Mutter und die leben nicht ewig. Das wird Malin schmerzlich bewusst, doch es fällt ihr unglaublich schwer sich ihrer Vergangenheit, ihren Eltern und ihrer Zukunft zu stellen. 


Wer bin ich? Wer war ich? Will ich wirklich sein, wer ich auf dem besten Weg bin zu werden? Außerdem gefällt es mir sehr gut, daß das Thema der Altersversorgung der Landwirte angesprochen wird. Es ist nämlich tatsächlich so, daß Landwirte die einbezahlte Altersversorgung nicht mit Erreichen der Altersgrenze erhalten, sondern nur gegen Nachweis, daß der Hof verkauft oder verpachtet wird, dabei ist es für Landwirte immer schwieriger Nachfolger für die Betriebe zu finden. Immerhin basiert auf diesem Nachwuchsproblem ein komplettes Fernsehformat. Anwälte wie Claas haben das Problem nicht, sie können einfach weiterarbeiten, so viel sie wollen und erhalten dennoch ihre Bezüge aus dem Versorgungswerk mit Erreichen des mittlerweile 67. Lebensjahres. Die Auswirkungen dieser Ungerechtigkeit treffen Malin mit voller Breitseite. Denn mit Anfang Siebzig ist ihr Vater doch kein junger Hüpfer mehr. Auch wenn er fit für sein Alter ist, braucht er Hilfe. Sehr sensibel werden hier die Nöte beider Generationen geschildert und es wird Malins Dilemma auch wirklich genügend Raum im Roman eingeräumt. Daher kam die Liebesgeschichte für mich ein wenig abrupt und schnell, im Vergleich hierzu. Das hat mich etwas grummeln lassen, bis ich merkte, daß die Autorin es sich so einfach nun doch nicht gemacht hat, denn… hier will ich nicht zu viel verraten.
Die Charaktere sind mit Bedacht gezeichnet, wobei mir besonders der grummelige Stallknecht ans Herz wuchs und Cousine Helen. Es ist ein Roman, kein schwerpunktmäßiger Liebesroman. Wer nun lange, leidenschaftliche Szenen im Stroh erwartet, wird dann doch etwas enttäuscht. Dafür werden Tierliebhaber belohnt, denn nicht nur der traumatisierte Junghengst darf seinen Weg ins Leserherz finden, sondern auch ein kleiner Jack Russell Terrier, der natürlich ein sehr attraktives Herrchen hat.
Sehr liebevoll ist die Gestaltung der Kapitelanfänge, die jeweils ein Pferdespruch aus aller Welt ziert. 
Es ist ein sehr schwungvoll geschriebener Roman, über eine junge Frau die ihren Weg finden muss und sich dabei mit ihrem früheren Ich und ihrer Rolle als Einzelkind konfrontiert sieht. Dabei ist die Geschichte mit Romantik und Tierliebe gewürzt, wobei ich den landwirtschaftlich/tierischen Teil stärker finde, als den romantischen. 

Allerdings finde ich es sehr gut, dass auch ihr Ex-Freund nicht als Voll-Horst dargestellt wird, bei dem man sich fragt, wie sie denn an den gekommen ist. Man merkt, dass es nicht passt, aber seine Würde bleibt gewahrt, so wie bei allen Persönlichkeiten in diesem Roman. Lediglich Malins Chef hat eine Ähnlichkeit mit einem Abziehbild, aber man muß ja auch ein Feindbild aufbauen dürfen. 


Ein leichter, beschwingter Roman mit Herz und Hirn, für wahre Tierfreundinnen, dem ich gerne 4,5 von 5 Sternen gebe.

Ich bedanke mich ganz herzlich für diesen Instagramgewinn bei der Autorin.

Dienstag, 3. September 2019

Die Waldmeisterinnen, Andrea Schütze, Illustration Petra Eimer, Boje Verlag



Die Waldmeisterinnen, Andrea Schütze, Illustration Petra Eimer, Boje Verlag

Holly Holunder und Lia Lavendel sind Zwillingsschwestern. Obwohl sie völlig unterschiedlich sind, so ist Holly eine geniale Erfinderin mit einer Vorliebe für riesige Hüte in denen auch ihr Eichhörnchen Brownie lebt, während Lia köstlich backt und die Gefühle und Wünsche um sich herum erspürt, verstehen sie sich blendend. Als daher ihr Heim durch die immer näher kommenden Menschen bedroht wird, ziehen sie in einen entlegeneren Wald den Wildwood Forest. Zuerst sind sie so mit dem Bau ihres Heimes und der Werkstatt beschäftigt, daß sie kaum jemanden kennen gelernt haben. Hoffentlich meidet man sie nicht! Wo stecken sie bloß alle? Na ja, vielleicht sollten sie auf sich und ihre Geschäft für Problemlösungen aller Art mit einem Willkommensfest auf sich aufmerksam machen. Als die Vorbereitungen abeschlossen sind, sind sie ganz aufgeregt, ob denn wohl jemand kommen wird, um ihnen ihre Probleme anzuvertrauen.

Holly und Lia sind sehr unterschiedlich, aber beide sehr sympathisch und einfallsreich, aber eben auf sehr unterschiedliche Weise. Dabei gehen sie sehr wertschätzend miteinander um. Jede von ihnen ist zwar völlig anders, aber das ist auch gut so und sie mögen sich so wie sie sind. Hollys Ideen und Erfindungen laden zum Staunen und Lachen ein. Um sich noch verbundener mit den Zwillingsschwestern zu fühlen, teilen diese im Anhang ihr Spezialrezept für Zucker-Zimt Power Porridge und eine Bastelanleitung für duftige Lavendelsäckchen mit ihren Leserinnen. Beides ist wirklich kinderleicht nachzumachen, wobei es beim Porridge doch ganz hilfreich ist, wenn ein Erwachsener mit ein Auge auf die Milch hat, um ein
 Anbrennen oder Überkochen zu vermeiden. Die Erklärung ist aber gut verständlich, mit Raum für eigene Entfaltungen und ein prima Beispiel für die beliebte Grundschulaufgabe einer Beschreibung als Deutsch-Klassenarbeit.

Durch Hollys und Lias Problemlösungsladen, lernen die Kinder, daß manchmal die Probleme des einen, auch die Lösungen des anderen sein können. Außerdem gibt es oft verschiedene Herangehensweisen an ein Problem, wobei die eigenen Stärken gefragt sind. Nicht alles lässt sich mit einer Erfindung lösen, manchmal braucht es auch eines besonderen Gespürs für die Nöte der Nachbarn. Sehr abwechslungsreich und liebevoll führt Andrea Schütze ihre Schützlinge in den Wildwood-Forrest, wobei auch immer wieder die Bedeutung der nahen Menschen für die Waldbewohner angesprochen wird.

Die Geschichte besticht durch wundervoll originelle Details. So ist der Schwanz von Eichhörnchen Brownie regenbogenfarbig, weil upsi bei Hollys Erfindungen nicht alles so auf Anhieb geklappt hat oder sie suchen eine Türklingel für ihren Laden, obwohl sie, upsi, noch gar keine Tür haben! Das ist für Kinder einfach nur zum Kichern und bleibt hängen! Dazu kommen die wunderschönen und detailreichen Illustrationen, von Petra Eimer, auf denen es soooo viel zu entdecken gibt!

Eingeleitet wird die Geschichte übrigens mit einer Rahmenhandlung auf vergilbten Seiten, wie in einem Märchenbuch und so endet dieser Band auch, mit Überlegungen wie es weitergehen könnte, ebenfalls auf vergilbtem „Pergament“. Ebenso ist auch die Karte des Wildwood-Forest gestaltet und erinnert somit aufs abenteuerlichste an eine Schatzkarte!

Die Geschichte ist recht kurz und die Illustrationen sehr großflächig. Dennoch sollten die Kinder schon lesegeübter sein, da keine Fibelschrift, sondern eine Schrift mit Serifen verwendet wird und die Textmenge pro Seite zum Teil recht hoch ist. Auch die Schriftgröße empfinden wir für 7 jährige als sehr anspruchsvoll. Es ist wohl eher ein Buch zum gemeinsamen Lesen oder Vorlesen, als ein Buch für Leseanfänger. Mit 10 Jahren fand meine Tochter die Geschichte aber immer noch richtig schön und für erfahrenere Leser ist die Lesbarkeit gut, da unbekannte Begriffe auch immer erklärt werden. Wir haben uns in die Bewohner des Wildwood-Forest verliebt und sind auf die Fortsetzung gespannt.

Wir bedanken uns ganz herzlich bei der Lesejury und dem Boje Verlag für diesen zauberhaften Reihenauftakt.