Donnerstag, 8. Juli 2021

Die fremde Spionin, Titus Müller, gelesen von Oliver Brod, Random House Audio, 2 MP3 9 h 54 min leicht gekürzt

 

Die fremde Spionin, Titus Müller, gelesen von Oliver Brod, Random House Audio, 2 MP3 9 h 54 min leicht gekürzt

 

Dies ist der Auftakt zur Spionin-Triologie, die 3 Jahrzehnte umspannt. Sie beginnt kurz vor der endgültigen Teilung Deutschlands durch den Bau der Berliner Mauer. Die junge Ria Nachtmann hat gerade mit 20 ihren Abschluss als Sekretärin bestanden und dank der guten Beziehungen ihrer Adoptiveltern steht sie kurz vor dem Antritt einer Stelle im Außenhandelsministerium der DDR. Vor 10 Jahren kamen Stasi-Offiziere und haben ihre Eltern verhaftet, weil sie trotz ihrer prominenten Stellung in der Regierung kritische Stimmen geäußert haben. Während die Eltern nach Hohen Schönhausen gebracht wurden, wurden Ria und ihre jüngere Schwester voneinander getrennt, um sie dem jeweiligen schlechten Einfluss zu entziehen und sie von linientreuen, kinderlosen Paaren zu sozialistischen jungen Frauen heranziehen zu lassen. Doch Ria ist seither voller Wut und Hass auf diesen Staat, der ihr ihre Familie nahm. Als der BND versucht sie als Spionin anzuwerben, sieht sie darin ihre Chance ihre verlorene Schwester wieder zu finden. Sie hält fortan Augen und Ohren bei der Arbeit offen, während es immer schwieriger wird, scheinbar unbemerkt Informationen in den Westen zu schmuggeln. Denn im BND sitzt ein Maulwurf, dem die Aktivitäten im Ministerium nicht entgehen. Ria steht fortan unter besonderer Beobachtung.

Ich war ja schon länger auf Titus Müllers historische Krimis neugierig, aber eine Reihe über eine Spionin, gelesen von einem Mann, von einem Sprecher von dem ich noch nie gehört hatte? Das hat mich ehrlich gesagt skeptisch und zögerlich gemacht. Oliver Brod hat ein großes Talent die besondere Sprechweise eines Menschen zu imitieren, egal ob Erich Honecker oder Walter Ulbrecht. Reinhard Gehlen. KGB-Killer Fjodor Sorokin oder den berlinernden Alexander Schalck, sie klingen unglaublich lebendig. Wie man an dieser beispielhaften Aufzählung merkt, ist der Anteil männlicher Rollen in der Männerwelt der Spionage und Gegenspionage ausgesprochen hoch. Da dieses Agentenabenteuer teilweise aus Rias Sicht und teilweise aus der sie benutzender Männer geschildert wird, hätte ich es trotz der brillanten Stimmwunders Brod noch besser gefunden, wenn Rias Passagen von einer weiblichen Sprecherin übernommen worden wären. Ich muss aber einräumen, dass ich niemals im Unklaren war, aus wessen Sicht die Geschichte gerade erzählt wird. Das ist jederzeit klar und deutlich. Neben dem Schicksal von Ria geht es nämlich ebenso um das Schicksal des KGB-Killers Fjodor Sorokin, der ebenso wie Ria dank der unangekündigten („niemand hat vor eine Mauer zu errichten!“ sozialistischen Abschottung von seiner Familie getrennt wird. Immer wieder kreuzen sich ihre Wege. Ria ist auf ungewöhnliche, katzenhafte Weise schön, was ihr bei einigen Männer durchaus zu ihrem Vorteil gereicht. Irgendwie scheinen sie sich für sie verantwortlich zu fühlen, dabei zeigt Ria immer wieder, dass sie eigentlich ganz gut auf sich selbst aufpassen kann.

 

Sehr gut gefällt mir, dass die Frage nach Gut und Böse nicht ganz so einfach ist. Nach dem 2. Weltkrieg haben teilweise dieselben Menschen in Schlüsselpositionen weitergearbeitet, die bereits unter den Nazis einflussreich waren. So ist es kein Wunder, wenn der ehemalige Nazi-Offizier Gehlen, der erste Leiter des Nachrichtendienstes in Westdeutschland, damals noch Organisation Gehlen, beim Aufbau seiner Strukturen und Durchführung der Missionen kein Pardon kennt. Der BND schneidet nicht so gut ab, aber Geheimdienste sind auch keine Sozialeinrichtungen, sondern eher eine staatlich organisierte Kriminalität. Dabei werden Menschen wie Schachfiguren benutzt, Menschen, deren Schicksale man hier miterlebt. Ria habe ich sofort gemocht, ihren BND Verbindungsoffizier Häner fand ich interessant aber nicht uneingeschränkt sympathisch, da er immer wieder in Konflikt zwischen seinem Gewissen und den Anweisungen seines Dienstherren gelangt. Alexander Schalck, Rias Vorgesetzen im Ministerium ist da schon eine andere Nummer, doch immer wieder, wenn ich dachte „was für ein widerlicher Kerl“ überraschte er mich positiv, indem er sich für Rias Schutz einsetzt, viel stärker als Häner dies jemals vermag.

 

Ein spannender Spionageschicksalsroman, der mit der Vollendung der Berliner Mauer zu enden scheint und dennoch denkt man, das kann es doch noch nicht gewesen sein. Nein, denn Ria und Sorokin werden noch zwei weitere Bände lang einander immer wieder in schicksalhafter Weise begegnen, schätze ich.

 

Ich wurde in meiner Neugierde auf diesen Autor nicht enttäuscht und bin gespannt, wie es mit Spionage und Gegenspionage weitergehen wird.

 

Ich bedanke mich ganz herzlich bei Random House Audio und dem Bloggerportal für spannende Stunden in der deutsch-deutschen Vergangenheit.

 

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Montag, 5. Juli 2021

A.S. Tory und die verlorene Geschichte, S. Sagenroth, Jo Schuttwolf, audible

 

A.S. Tory und die verlorene Geschichte, S. Sagenroth, Jo Schuttwolf, audible

 

Der 16 jährige Sid (Siegfried Sagenroth) aus Hannover und die 20 jährige Chiara aus Italien haben in den letzten Ferien eine Menge erlebt und dabei immer wieder Hinweise per Mail von dem ebenso hochbetagten wie wohlhabenden A.S. Tory aus London erhalten. Als das Abenteuer vorbei war, blieb die Neugierde der Jugendlichen nach der Herkunft Torys. Wer war er eigentlich und warum nahm er so viel Anteil an ihnen und erwies sich als so großzügig? Kurz vor den Herbstferien meldet er sich per Mail zurück. Er schickt ihnen zwei Fotos aus dem Jahre 1938 und eine Anzeige zu einem 95. Geburtstag in Berlin. Wenn die zwei sich auf die Reise in Torys Vergangenheit begeben würden, würde Sid nicht nur mehr über ihn, sondern auch über sich selbst erfahren. Diese kryptische Info lässt die zwei nicht mehr los, natürlich begeben sich beide auf den Weg nach Venedig. Dort treffen sie den Vorsteher des alten jüdischen Ghettos, der sich tatsächlich an die Familie Turani erinnert, nach der sie fragen sollen. Interessiert lauschen die zwei seinen Schilderungen zum jüdischen Leben im Wandel der Zeiten in der Lagune. Allerdings erfahren sie auch, dass es die Familie nach Wien verschlagen hat, ihrem nächsten Etappenziel, ehe sich am Ende in Berlin die Puzzleteile zusammensetzen werden.

 

Der Einstieg ließ mich wundern, war ich mir doch sicher, dass meine Eltern mir eine solche Reise nie erlaubt hätten, schon gar nicht ohne diesen ominösen Mr. Tory wenigstens mal gesprochen zu haben. Das Geplänkel und die gelegentlichen Eifersüchteleien der beiden fand ich ganz amüsant. Die Orte und Themen ihrer rätselhaften Spurensuche waren wirklich aufschlussreich und gut gewählt. Sie zeigen ganz klar, wie Europa immer, zu allen Zeiten von Antisemitismus geprägt wurde, mal offener, mal verdeckter und nicht immer überall gleich stark, aber kein Ort war eigentlich für Juden eine sorglose Heimat. Oft wurde nach den schändlichsten Taten ein Deckmäntelchen über die Täter ausgebreitet und nach einer gewissen Weile, schien es, als hätten sie eine weiße Weste. Sid und Chiara sind ausgesprochen gründlich. Neben ihrer Neugierde verbindet sie die Liebe zur Musik und zum Abenteuer. Doch bisweilen tendieren sie zum Monologisieren. Das klingt dann weniger nach Jugendlichen, als nach meinem Mann, einem Lehrer ;) Da der Sprecher dieser Ich-Erzählung zwar lebendig spricht, aber einfach deutlich älter als ein Sechzehnjähriger klingt, hat diese Kombination in mir bisweilen eine gewisse Distanz beim Hören erzeugt, die es verhinderte, dass ich voll und ganz eintauchen konnte. Dabei finde ich die Thematik klasse. Zwei Jugendliche auf den Spuren der Vergangenheit, ziehen sie die Parallelen zu damals und heute und müssen leider erkennen, dass in den Köpfen einiger die Zeit still stehen geblieben ist. Die Fassade hat sich verändert, aber nicht die Boshaftigkeit dahinter. Neben ihrer Recherche finden die zwei die Zeit über Musik und das Leben zu quatschen und zu philosophieren. Sie nähern sich zart an, um sich in ihrer Unsicherheit wieder zu entfernen. Ihre ungewöhnliche Situation überrascht sie manchmal selbst. Doch letztendlich behält Tory recht, Sid erfährt etwas Wichtiges über sich selbst und seine Familie. Dennoch ist es auch für Chiara nicht weniger interessant, denn Tory übernimmt einen Großteil der Kosten ihrer Reise und an dieser aufregenden Reise wachsen sie beide. Während nun Chiara und Sid wissen, wer A.S. Tory wirklich ist, hat dieser an seinem Lebensende die Möglichkeit, sein Familienschicksal in Ehren zu halten und noch mal in Erinnerungen zu schwelgen und letzte Chancen zu nutzen. Das Band zwischen den Jugendlichen wird durch diese Erlebnisse noch fester geknüpft, ihre Verbindung enger, auch wenn einige ihr Altersunterschied erstaunt. Aber ist das Leben nicht viel zu kurz für solche Klischees? Eben!

 

Eine Geschichte über Toleranz, Wissbegierde, Freundschaft und Geschichte, die sich nie wieder wiederholen darf! Ab 12 Jahren.

 

Vielen lieben Dank an S. Sagenroth für mein Hörexemplar!

 

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