Dienstag, 14. Juli 2020

Long Way Down, Jason Reynolds, gelesen von Julian Greis u.a., Hörcompany, 1 MP 3 104 Min. ungekürzt



Long Way Down, Jason Reynolds, gelesen von Julian Greis u.a., Hörcompany, 1 MP 3 104 Min. ungekürzt

Will ist 15 Jahre alt, als sein 20 jähriger Bruder Shawn auf dem Weg in den 9 Blocks entfernten Laden, in dem Revier einer anderen Gang erschossen wird. Dabei sollte er doch nur die spezielle Hautcreme für seine Mutter abholen! Es ist nicht der erste gewaltsame Tod in seinem jungen Leben. In ihrer Gegend ist das nicht ungewöhnlich und so lernen die Kinder von Kleinauf sich bei dem ersten Anzeichen für eine Schießerei sich flach auf den Boden zu werfen. Doch der Schuss galt Shawn und so gab es kein Entkommen. Nun ist Will mit seiner weinenden Mutter allein, die Trost in der Flasche neben ihr sucht. Will ist fest entschlossen, sich nun an die Regeln zu halten, die ihm Shawn bei gebracht hat, die er von Buck lernte, als ihr Vater Mikey erschossen wurde, wie auch schon dessen Bruder Mark... eine schier unendliche Spirale der Gewalt, dank der Regeln:
Nr. 1 Weinen (Tu's nicht. Egal was passiert)
Nr. 2 Jemanden verpfeifen (Tu's nicht. Egal was passiert)
Nr. 3 Rache (Finde den, der getötet hat. Und töte ihn)
Will nimmt sich die nunmehr herrenlose Waffe seines Bruders, entschlossen das Gesetz der Straße zu Ende zu bringen und steigt in den Fahrstuhl mit dem Ziel von der Lobby aus, sich auf den direkten Weg zu dem Mörder seines Bruders zu begeben. Doch der Weg nach unten ist lang, auf jedem Stockwerk steigt jemand aus seiner Vergangenheit ein, der erschossen wurde und erzählt von Gewalt, Ohnmacht, Rache und Tod. Wird Will den Mörder seines Bruders töten?

Ungeschriebene Gesetze werden oft viel genauer befolgt, als die geschriebenen. Will hat das Gefühl, dass er keine Wahl habe. Dass er tun muss, was ein Mann tun muss, denn nach dem Tod aller anderen männlichen Familienmitglieder ist er nun der Mann im Haus und seine Mutter nur noch ein Schatten ihrer selbst. Sie ist völlig übermannt von den anscheinend nie enden wollenden Morden und Will will dies nun auch fortsetzen. Doch mit jedem der in den Fahrstuhl einsteigt und ihm von seiner Geschichte, von seinem Tod erzählt, kommt er ins Wanken, kommt er ins Grübeln, noch immer an den Regeln festhaltend, innerlich aufgewühlt und zerrissen. Sie führen ihm vor Augen, was auf ihn wartet, wenn er aussteigt und seinen Plan zu Ende bringt, aber auch, wie er wirklich ist. Er, Will der Junge, der mit Sprache spielt und Anagramme liebt und ihnen Bedeutung beimisst.

Eine Ode über eine Spirale der Gewalt, frei nach dem alten Testament: Auge um Auge... Wer den Fahrstuhlpassagieren zuhört begreift sehr schnell, dass dies keine Lösung ist, eher das Ende bzw. der Anfang von noch mehr Leid und Verzweiflung. Wie sind sie alle in diese Lage gekommen? Ging es ihnen wie Will? Was raten sie ihm? Hat er das Zeug dazu? Sehr gut, finde ich, dass sich auf den Aspekt der nicht enden wollenden Spirale der Gewalt konzentriert wird. Die Polizei ist nicht wichtig, es geht nicht um sie, denn mit ihnen spricht man nicht. So bleibt die Geschichte ganz klar auf Will, seine Entscheidung und die unzähligen Todesschüsse fokussiert.

Anfangs sind diese Treffen für ihn so unvorstellbar, dass er die ihm bekannten Personen nicht erkennt, da es ja unmöglich ist, was ihm da gerade passiert. Jeder der einsteigt hat Will geprägt und für ihn eine Bedeutung. Jeder/jede hat daher auch seine eigene Stimme, denn er spinnt nicht, er hört sie nicht nur in seinem Geiste, sie sind in dem Moment real! Will wird von Julian Greis gesprochen, dem Ed Sheeran der Hörbuchbranche. Seiner Stimme entkommt man gerade nicht, man hört sie überall, doch ist sie so angenehm, so einnehmend, dass man sich nicht satt hört, sondern gerne lauscht. Er klingt jung, unerfahren, gleichzeitig verunsichert und entschlossen. Seine innere Zerrissenheit ist unüberhörbar und dennoch nicht monoton, dafür wird er zwischen den Stockwerken viel zu oft von neuen Gefühlen überflutet. Die Stimmen der übrigen Fahrgäste sind gut gewählt. Besonders Konstantin Graudus als Buck gefällt mir sehr gut, seine Stimme ist tief und sonor, als hätte er den Blues, als hätte sein Leben eine Chance, hätte er nicht die Regeln befolgt, sondern stattdessen gesungen...

Jason Reynold liebt es, den Ausgang seinen Lesern/Hörern zu überlassen. Sie sollen seine Geschichte beenden, mitdenken, selbst für sich über den „richtigen“ Ausgang entscheiden. So war ich von dem Ende überrascht und etwas unschlüssig, wurde mir Wills Entscheidung doch nicht präsentiert, sondern von mir eine Entscheidung für ihn erwartet. An Wills Liebe zu Anagrammen spürt man seine Liebe zu Sprache. Diese zu übersetzen ist eine echte Leistung, da ziehe ich auch vor der Übersetzerin Petra Bös den Hut.

Ein interessantes Hörbuch, über das Gesetz der Straße und dass es Leben retten kann, wenn man eigene Entscheidungen trifft, statt anderer Gesetze unüberlegt zu folgen. Von der sinnlosen Gewalt in vielen schwarzen Vierteln in Amerika und der Machtlosigkeit der Gesetzeshüter dort, mit denen niemand spricht.

Ich bedanke mich ganz herzlich bei der Hörcompany für dieses Hörexemplar für meine Dienstagsreihe zum Thema #Blacklivesmatter

Hier findet Ihr eine Hörprobe:

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Montag, 13. Juli 2020

Playlist, Karolin Kolbe, Schneiderbuch



Playlist, Karolin Kolbe, Schneiderbuch

Die Sommerferien sind gerade vorbei, für die 14-jährige Mira gibt es fast nichts Schöneres, als mit ihren besten Freundinnen Fritzi und Özlem im Eiscafé rumzuhängen und zu quatschen. Dort ist es auch, wo sie ihnen von ihrer aufregenden neuen Idee erzählt. Ein Radiosender veranstaltet einen Bandcontest für Nachwuchsbands bis 18 Jahren! Dort möchte sie mit den drei Jungs aus ihrer noch namenlosen Band unbedingt teilnehmen, allerdings braucht man ein Bewerbungsvideo. Özlem bietet da sofort ihre Hilfe an, mit sowas kennt sich die einzige Tochter erfolgreicher Eltern aus. Auch die Jungs finden die Idee super. Von nun an wird geprobt, gefilmt und gepostet. Irgendwie verselbstständigt sich ihr Ruhm und die fröhliche, tolpatschige Mira steht ganz schnell im Mittelpunkt des Interesses. Die Meisten finden ihre Musik und ihre Filme toll, aber einige Kommentare sind auch ganz schön fies. Am engagiertesten ist Noisette16, der zumindest Mira auch im echten Leben zu kennen scheint. Wer kann sich nur hinter diesem Nickname verstecken und warum sagt er ihr nicht, was er zu sagen hat? Die Freundinnen beschließen dem Geheimnis auf den Grund zu gehen. Allerdings beanspruchen auch Schule und Familie Miras Aufmerksamkeit und so wird es ziemlich stressig!

Beim Lesen des Buches hatte ich das Gefühl, als handele es sich um Eiscreme. Ganz schnell lesen, damit es nicht schmilzt! Aber das ist natürlich nur Blödsinn, ich wollte einfach wissen, wie es weitergeht, ob Mira herausfindet wer hinter Noisette16 steckt (das war mir allerdings ziemlich schnell klar, offensichtlich kann Mira kein Französisch), ob Mira ihre Schulnoten in den Griff bekommt, Özlem es schafft ihren Eltern klar zu machen, dass sie keine Nachhilfe braucht, ob Miras Mutter mal wieder eine Rolle in ihrem Leben spielen wird, ob die Band den Wettbewerb gewinnt?

Einer meiner heimlichen Lieblinge ist Özlem, Miras energiegeladene, engagierte Freundin, die genau weiß, was sie will, eine richtig gute Schülerin ist, aber dennoch ständig Nachhilfe nehmen soll, um noch besser zu werden! Die ist so klasse, dass sie einen auch ganz schön einschüchtern kann ;)

Mira ist ein Wirbelwind, der das Leben so nimmt, wie es gerade kommt. Sie ist mit sich im Reinen, genießt das Leben, auch wenn sie weiß, dass die beiden nicht perfekt sind. Na und, man hat nur dieses eine, also mache man das Beste daraus! Ihre große Schwester Madita ist zwei Jahre älter, und findet einige von Miras Aktionen ganz schön peinlich. Andersherum aber auch, denn Mira will auf keinen Fall wie Madita nichts als Jungs im Kopf haben! Da geht es nicht immer harmonisch zu und ihr alleinerziehender Vater, ein Erzieher ist bisweilen nicht nur mit dem Kochen überfordert! Dem Herrn Erzieher hätte ich ja bisweilen gerne mal die Leviten gelesen und ihm ein paar Takte zu pubertierenden Töchtern erzählt, da fehlt ihm offensichtlich aus dem Kindergarten völlig die Erfahrung! Super, dass die Mädels doch noch so gut geraten sind! Die Schwesterzickereien fand ich herrlich real beschrieben! Sehr gut beobachtet! Was mir auch sehr gut gefiel, war die Ernährung der Familie. Der Vater ist die absolute Kochkatastrophe! Wenn man liest, was sie essen, fällt einem auf, dass nie Fleisch dabei ist und sie es bisweilen auch vegan versuchen. Aber es wird mit keinem Wort explizit erwähnt! Laut Klappeninfo liebt die Autorin veganes Essen, aber es wird nie groß angesprochen, mahnend thematisiert, es wird einfach selbstverständlich praktiziert. Das kommt bei Kindern und Jugendlichen viel besser an, als Missionarisches. So erwähnt Mira allerdings nebenbei, dass ihre Mutter ja wisse, dass sie ja niemals nur so für einen Urlaub in ein Flugzeug steigen würde... Ein Statement – Punkt, darüber kann man nachdenken, aber es sprengt auch nicht den Rahmen des Buches. Sehr interessant finde ich die Familienkonstellation und wie einfühlsam, diese besondere Situation auch aus der Sicht der Töchter geschildert wird. Was ich neben der emotionalen Achterbahn von Miras Gefühlen noch so mochte, war das wachsende Bewusstsein, was denn die digitalen Spuren im Internet bewirken und dass alles was man ins Netz stellt, Folgen hat, nicht immer gute... Immer wieder kleine Gedankensplitter zum Nachdenken, die aber nie die Süße der Story erdrücken, sondern zartschmelzend wie Pistazieneis bleiben. Es ist ein Jugendbuch ab 12 Jahren und kein Horrorschocker oder Missionierungsbuch, aber Nachdenken schadet ja nie...

Wunderbar sommerlich leicht, aber nicht seicht. Voller Probleme, Gefühle und Hoffnungen von jungen Leserinnen ab 12 Jahren. Zum Dahinschmelzen schön!

Vielen lieben Dank an Buchcontact und den Schneiderbuch Verlag für mein Rezensionsexemplar! Ich liebe es!

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