Donnerstag, 6. September 2018

Opa Rainer weiß nicht mehr, Kirsten John, Illustrationen Katja Gehrmann, Knesebeck Verlag



Opa Rainer weiß nicht mehr, Kirsten John, Illustrationen Katja Gehrmann, Knesebeck Verlag

Dieses Bilderbuch behandelt das Thema Demenz. Meine 9-jährige Tochter fragte mich letztens was denn Alzheimer sei und dann mußte ich erklären. Dieses Bilderbuch soll es für kleine Kinder verständlicher machen, was Demenz bedeutet, denn für Kleinkinder wissen Erwachsene alles und können alles... aber manchmal ist dies nicht so und die Fähigkeiten lassen immer weiter nach.

Jeden Morgen bringt Opa Mia in die Schule. Dabei machen sie Wettläufe! Opa gibt Mia immer ordentlich Vorsprung und dennoch gewinnt immer er. Das wird auch in hundert Jahren noch so sein, behauptet er kühn! Doch leider hat er sich da geirrt! Auf einmal weiß Opa Rainer nicht mehr wo seine Schuhe sind und sucht nach ihnen an den merkwürdigsten Orten und erkennt sie auch nicht mehr unter all den anderen Schuhen wieder, dabei sehen Mias und Mamas doch ganz anders aus als seine! Das ist leider nur der Anfang, denn plötzlich hält er den Stecker für den Wasserkocher in der Hand und wundert sich, was das denn ist und was er damit anfangen soll. Auch das Essen wird schwierig und so kommt es, daß nun Mia ihrem Opa bei alltäglichen Dingen helfen muß und nicht mehr umgekehrt. Nach und nach lernt Mia zu begreifen, was die Krankheit für Opa bedeutet und daß er nun sie braucht.

Die Illustrationen von Katja Gehrmann sind toll, unsere Nachbarskinder 7,5 und 2 fahren voll darauf ab. Ich habe Ihnen das Bilderbuch vorgelesen, um zu sehen, ob die Zielgruppe der 5 – 7 Jährigen das Thema damit begreift. Alle drei fanden die Geschichte lustig. Sie haben auch wirklich darüber nachgedacht, wie ich im anschließenden Gespräch gemerkt habe. Allerdings wird das Wort Demenz nicht einmal erwähnt und so blieb es im Endeffekt meine Aufgabe mit den Kindern über Alzheimer und Demenz zu reden. Ihnen war das bislang kein Begriff, weil ihre Großeltern nicht darunter leiden und sie bislang noch keine Berührungspunkt mit dem Thema haben. Anfangs ist Opa superfit und der total Held für Mia, und plötzlich kann er weniger als ihr kleiner Bruder. Dieser Teil, der die Auswirkungen der Demenz zeigt, daß er alle Lebensbereiche erfasst, ist sehr ausführlich dargestellt. Es fehlt mir aber irgendwie so der Schlusspunkt, an dem man merkt, daß nun die Kinder dem Opa bei dem Alltäglichen helfen müssen, jetzt da sie ja schon groß sind und bei den Alltagsaufgaben wissen wie sie gehen. Das Beispiel mit dem Essen eines Schokokekses finde ich relativ ungriffig, denn meines Erachtens gibt es keine richtige oder falsche Art einen Keks zu essen, man isst ihn mehr oder weniger krümelig, oder man lässt es bleiben...

Das Coverbild auf welchem der Opa das schmutzige Geschirr in die Waschmaschine räumt fanden die Kinder superwitzig und es ist richtig gut geeignet, um die Neugierde zu wecken und in das Thema hinein zu finden. Alle drei Kinder mochten das Buch und haben es sich nach dem Vorlesen auch noch länger angeschaut und es sich gerne noch mal vorlesen lassen (aber ich bin ja eigentlich gerufen worden, um ein anderes Buch vorzulesen und habe dieses einfach nur dazwischengefuddelt).

Kerstin Johns Sprache ist für die Kinder sehr ansprechend und sehr gut nachvollziehbar. Sprachlich kommen keine Fragen auf, alle Begriffe sind verständlich und gebräuchlich oder werden gleich von Mia ihrem kleinen Bruder erklärt. Die Kinder waren also wirklich hoch zufrieden mit dem Buch. Ich aber nicht. Meine Unzufriedenheit ließ sich nicht so richtig gut greifen, ich fragte mich nur, ob dieses Buch Kindern das Thema wirklich nahebringt. Nachdem ich es getestet habe (nein, meine Nachbarskinder sind überhaupt nicht schwer von Begriff) denke ich immer noch, daß am Ende so der richtige Schlußpunkt fehlt. Es ist eine tolle Möglichkeit den Dialog zum Thema Demenz zu eröffnen, aber leider nicht selbst erklärend. Dafür ist es aber nicht belehrend und sehr kurzweilig und spricht Kinder vor allem emotional an.

Die Bewertung fällt mir nicht leicht und die Kinder und ich sind uns da wohl sehr uneinig. Die Jüngste (2) hätte das Buch am liebsten sofort mit in ihr Zelt geschleppt, um es in Ruhe länger zu betrachten.... Ich persönlich hätte mir einen „runderen“ Abschluß gewünscht.

Wir bedanken uns sehr beim Knesebeck Verlag für dieses gesprächsfördernde Rezensionsexemplar.

Mittwoch, 5. September 2018

Das rote Adressbuch, Sofia Lundberg, gelesen von Beate Himmelstoß und Susanne Schroeder, der Hörverlag



Das rote Adressbuch, Sofia Lundberg, gelesen von Beate Himmelstoß und Susanne Schroeder, der Hörverlag

Doris Alm wird 1928 in Stockholm, Schweden geboren. Ihr Vater hat eine kleine Schreinerei und die Familie hat ihr Auskommen. Eigentlich wäre der Vater lieber Forscher, er liebt Bücher und saugt Reiseberichte und wissenschaftliche Veröffentlichungen in sich auf, doch er folgt der Familientradition. Zum 10. Geburtstag schenkt er Doris ein rotes Adressbuch, in das sie alle Menschen, die ihr etwas bedeuten und denen sie im Laufe ihres Lebens begegnen wird, eintragen soll. Fortan wird es ihr größter Schatz sein, der sie rund um die Welt begleiten wird. Denn nur 3 Jahre später stirbt der Vater und die Familie hungert. Sie muß die Schule verlassen und zu einer feinen Dame als Dienstmädchen nach Stockholm, die sie später mit nach Paris nimmt. Auf der Straße wird sie von einem Modeagenten entdeckt und sie arbeitet fortan als Mannequin, doch der ausbrechende Krieg nimmt den Menschen das Geld für Luxus. Als sie den Brief ihrer großen Liebe erhält, der in zwischen in New York lebt, reist sie mit ihrer kleinen Schwester, die inzwischen bei ihr lebt, über den Ozean.
Stockholm 1917, Doris Leben neigt sich dem Ende zu. Anhand der Eintragungen ihres Adressbuches hat sie ihre Lebensgeschichte für ihre Großnichte Jenny im PC aufgeschrieben, in der Hoffnung, daß sie sie lesen und verstehen wird. Ihren Lebensweg, geprägt von Niederschlägen und Entscheidungen, die vielleicht bisweilen falsch gewesen sein mögen, sie aber stets zu neuen Menschen und Beziehungen brachten. Entscheidungen, die auch ihr, Jennys Leben prägten.

Doris scheint bisweilen von Rückschlägen erfüllt. Doch Doris lässt sich nicht unterkriegen, egal wie schlimm es wird, steht sie auf und kämpft, in Zeiten, die bisweilen erbarmungslos sind und in denen Frauen eigentlich nicht selbstbestimmt und frei leben, sondern Ehefrau und Mutter zu sein haben. Doris passt jedoch nicht in gängige Raster und so ist auch ihr Leben kein eintöniges Einerlei. Ob es deswegen aber unbedingt besser ist? Auf jeden Fall ist es viel bewegender, als ihre abgestumpfte Pflegerin meint, die davon ausgeht, daß alle alten Leute, Stockholm noch nie verlassen und nie etwas erlebt hätten. Man braucht alten Menschen jedoch nur zu zuhören und wird überrascht sein, wie entbehrungsreich ihr Leben bisweilen war und wie stark der Weltkrieg ihr Leben geprägt hat, selbst bei Schweden, deren Land offiziell neutral blieb. Alt bedeutet nicht zwingend langweilig.
Während Doris langem Leben hat sie viele Menschen kennen gelernt, wobei es nicht alle immer gut mit ihr gemeint haben. Aber die wenigen wahren Freunde, die sie getroffen haben, helfen ihr mit den Niederlagen umzugehen und sich immer wieder neu aufzurappeln und weiter zu machen, egal, wie aussichtslos die Situation auch erscheint. Niederlagen hat Doris leider viele hinnehmen müssen. All der Schmerz, den sie ertragen muß, ist bisweilen echt heftig und man wünscht ihr auch endlich mal glückliche Zeit, daß sie wenigstens in Ruhe und Frieden sterben darf, anders als viele Freunde und Verwandte von ihr. Doris Leben bewegt und macht nachdenklich. Waren ihre Entscheidungen immer richtig? Wie hätte ich gehandelt? Wäre das besser gewesen? Manche Wendungen habe ich so erwartet, andere trafen mich völlig unvorbereitet. Die Kürzungen habe ich als sehr behutsam empfunden. Gut, das Einpacken des Adressbuches vor jedem Neuanfang wird nun nicht explizit erwähnt, aber das finde ich auch nicht zwingend. Einzig Pflegerin Sarah, die ich in mein Herz geschlossen habe, mit ihrer offenen und respektvollen Art, könnte am Ende herausgekürzt worden sein, aber dessen bin ich mir nicht sicher. Längen hat das Hörbuch nach dem Kürzen auf jeden Fall keine und Verständnisschwierigkeiten oder Personenverwechslungen kamen trotz der Vielzahl der Menschen, die Doris Leben prägten bei mir nicht vor (das ist nicht selbstverständlich bei gekürzten Lebensgeschichten).
Am Ende hat mich ihr Leben wirklich bewegt. Ich hoffe, es regt einige Hörerinnen dazu an, sich die Geschichte älterer Verwandter oder Nachbar genauer anzuhören und ihnen mit größerem Respekt zu begegnen.
Inspiriert wurde diese Geschichte von wahren Begebenheiten von verschiedenen Mitgliedern der Familie der Autorin. Allerdings haben sie sich nicht alle in einer Person gehäuft, sondern sind mehreren von Ihnen passiert. Das Ende empfand ich dann auch als ein wenig unwahrscheinlich im Hinblick auf Doris außerordentlich hohes Alter. So bekam ich auch bisweilen beim Hören den Eindruck, daß es doch etwas viel für nur ein Leben sei, was Doris da passiert, daher ein halber Stern Abzug.

Die Zeitsprünge in den Erzählungen werden zum Einen durch die zwei verschiedenen Sprecherinnen, zum anderen durch die Nennung des Anfangsbuchstabens des Nachnamens der Person, um die sich die nachfolgenden Erinnerungen drehen werden, offensichtlich. Der Einsatz von mehreren Sprecherinnen ist nun nicht ganz neu, aber hier gefällt mir die Auswahl sehr gut. Beate Himmelstoß Stimme klingt reif und erfahren. Zwar nicht zittrig und brüchig, was aber fürs Zuhören deutlich angenehmer ist. Ganz klar klingt die Stimme älter, als ihre Sprecherin aussieht, während Susanne Schroeders Stimme jünger klingt als sie. Sie erinnert mich in ihr außerordentlichen Weiblichkeit an die Stimme von Andrea Sawatzki. Warm, wohlklingend und voller Leben. Man kann sich gut die junge schöne Doris vorstellen, die das Leben mit allen Höhen und Tiefen mitnimmt, so wie es kommt, aber niemals belanglos oder eintönig. Beide Stimmen passen sehr gut zu den von ihnen personifizierten Persönlichkeiten, wobei es auch nicht stört, daß Beate Himmelstoß bisweilen Großnichte Jenny und die Pflegerinnen spricht, denn wie gesagt, klingt die Stimme reif, aber nicht zittrig und brüchig, aber immer ganz deutlich anders als die von Susanne Schröder.

Die Aufnahmequalität ist glasklar und gut ausbalanciert, sowohl bei der Hausarbeit, als auch beim Autofahren waren die Sprecherinnen jederzeit gut verständlich. Die Tracks fand ich sehr angenehm kurz und das es sich um einzelne CDs und nicht MP3s handelt sucht man sich trotz der zahlreichen Tracks niemals müde, beim Wiedereinstieg (ja, ich mag keine MP3, mein AutoMP3-Player, hüpft sehr gerne bei jedem Neustart zu Track 1 zurück, statt sich zu merken, wo wir stehen geblieben sind...)
Das Cover  lässt in seiner Gestaltung ein altmodisch gebundenes Büchlein vor dem inneren Auge entstehen, es ist eine sehr platzsparende Umverpackung, die die Entnahme der Tonträger während der Autofahrt erleichtert (es wird meine ich Pocketbook für Hörbücher bezeichnet).

Ein wirklich sehr gut gemachtes Hörbuch, daß mir deutlich besser gefallen hat, hat viele andere Hörbücher über schicksalshafte Lebensgeschichten, die ich in den letzten Jahren gehört habe. 4,5 von 5 Sternen (1 -)