Freitag, 20. Juli 2018

Tante Rotz legt los, Andrea Schütze, gelesen von Annette Frier, DAV



Tante Rotz legt los, Andrea Schütze, gelesen von Annette Frier, DAV

Die Sommerferien beginnen und zum dritten Mal in Folge verreist Familie Wohlleben nicht, weil die Eltern keine Zeit haben. Mama verhandelt gerade als Richterin den wichtigsten Fall ihrer Karriere und bei Papa steht die Eröffnung der Ausstellung des wichtigsten Künstlers seiner Karriere in seiner Galerie an. Das ginge ja noch, hätte nicht Mama jede Minute der Ferien  der Zwillinge Zacharias und Cassandra bereits mit sinnvollen Ferienkursen verplant. Eine Nanny soll sie von Kurs zu Kurs fahren, damit die Ferien optimal genutzt werden. Doch plötzlich sagen alle aus heiterem Himmel ab. Die Mutter gerät in Panik und ruft jeden an der ihr einfällt, allerdings sind selbst die Großeltern schon verplant. Bis auf Papas Tante Rotzinda, die er meidet wie die Pest, steht keiner zur Verfügung. Somit kommt die ältere Dame von Adel und Vermögen und den Kinder bleibt der Mund offen stehen. Nicht nur ihr Name ist außergewöhnlich! Sie hält auch nichts von den Wohllebenschen Erziehungsmethoden, sondern bringt den Kinder erst mal rotzfrech bei, alle Regeln über den Haufen zu werfen und Spaß zu haben! Denn wofür hat man einen Pool, um nicht darin zu toben? Erst einmal sind die Kinder deutlich irritiert, aber nach und nach gefällt ihnen diese merkwürdige Tante immer besser. Als sie dann auch noch, einem Verbrechen auf die Spur kommen, gibt es für ihre Kreativität kein Halten mehr!

Willkommen bei Tante Rotz, einer Mischung aus Mary Poppins und Pipi Langstrumpf. Denn Tante Rotz ist nicht wie andere Tanten, sie ist tatsächlich ein kleines bißchen magisch. Anders können sich die Zwillinge nicht all die erstaunlichen Fähigkeiten ihres stummen Chauffeurs und ihrer französisch sprechenden Fuchsstola M. Renard erklären. Allerdings zaubert Tante Rotz nicht richtig, es sind nur so kleine feine Wunderlichkeiten. Für die Zwillinge ist es eine Offenbarung, all die Freiheiten, die sie plötzlich genießen dürfen, als Tante Rotz die unsinnigen Regeln der Eltern über Bord wirft. Denn bei Tante Rotz herrscht nicht die komplette Anarchie oder Chaos und die Zwillinge haben ein fein entwickeltes Gespür für Recht und Unrecht. Es ist viel mehr ein Appel an viele Eltern, ihre Kinder auch einfach mal Kinder sein zu lassen und ihre Tage nicht völlig zu verplanen, wie sinnvoll ihnen dies auch scheinen mag. Trotz ihres rotzigen Lachens hat Tante Rotz ein Herz aus Gold und hilft in der Not, ohne daß die Eltern es auch nur ahnen, an welcher Katastrophe sie eigentlich haarscharf vorbei geschrammt sind. Denn die Tante geht mit den Kindern nicht auf Verbrecherjagd, dies ist kein Krimi, sie versuchen elegant den Schaden des Verbrechens abzuwenden, auf kreative Weise. Damit verlässt Anja Schütze mit ihrer Geschichte ausgetretene Pfade. Die Kinder kommen der Polizei nicht bevor und schlagen ihnen kein Schnippchen. Die Lösung ist vielmehr ausgesprochen originell. Die Magie nur ganz zart, so daß sich die Kinder stets wundern, ob es hier so mit rechten Dingen vor sich geht, oder ob es wirklich Tantenmagie ist. Dabei kommt der vorlaute M. Renard mit seinem französischen Akzent bei den zuhörenden Kindern besonders gut an, auch wenn er anfangs eine echte Überraschung ist, gewinnen ihn die jungen Zuhörer schnell lieb. Allerdings fürchte ich, daß die Zuhörer aufgrund dieser Geschichte nicht ihre späteren Berufe planen. Richter auf dem Land können gut von ihrem Einkommen leben, in München z.B. ist dies aber schon schwieriger, aber so wohlhabend wie in dieser Erzählung sind normale Richter, außerhalb der oberen Gerichte nicht und viele Galeristen kämpfen stetig ums Überleben.

Bei Zwillingen ist Annette Frier, die selbst Zwillingsmutter ist, völlig in ihrem Element. Die bekannte Schauspielerin und Komödiantin (u.a. Danni Lewinsky), kann hier nach Herzenslust rotzig lachen und frech sein. Die Kinder sind übrigens durchaus wohl erzogen und nicht frech. Das empfinde ich als Mutter sehr angenehm, weil ich es oft in Geschichten nicht mag, wenn Kinder völlig ungehemmt und rücksichtslos handeln, ohne über die Konsequenzen ihres Tuns nach zudenken. Meist bekommt die Geschichte dann das Etikett Pipi Langstrumpf und gut ist. Aber Pipi und Michel haben stets nur Unsinn getrieben und nichts wirklich schlimmes angestellt. Tante Rotz bringt Zach und Cassy, wie sie sie nun nennt, bei aus sich heraus zu kommen und das Leben zu genießen, Regeln zu hinterfragen, aber nicht prinzipiell abzulehnen. Dadurch können auch Eltern Annette Friers freche Kuchenorgien und Pralinenexzesse genießen.

Andrea Schütze, ist hier wieder eine sehr unterhaltsame und außergewöhnliche Geschichte mit einer Prise Magie gelungen, ganz ohne Einhörner oder Feen.

Eine sehr gelungene Mischung, die Annette Frier frech und kurzweilig aufs Ohr zaubert.

Donnerstag, 19. Juli 2018

Doktorspiele, Jaromir Konecny, digital publishers



Doktorspiele, Jaromir Konecny, digital publishers

Andi ist 16 Jahre alt und lebt mit seinen Eltern und der jüngsten seiner 3 Schwestern in einem Einfamilienhaus, im besseren Teil von Neuperlach (München). Sein Vater ist eigentlich Studiomusiker, aber findet keine Aufträge mehr, daher bringt seine esoterische Mutter sie mehr schlecht als recht mit ihrer Naturheilpraxis durch. Seine Mutter findet er dabei oft ziemlich peinlich und verrückt und seinen Vater ein Weichei, der nichts auf die Reihe bekommt. Das macht seinen altersbedingten Hormonstau natürlich nicht besser. Seinen besten Freund aus Kindergartentagen hat vor zwei Jahren seine Mutter beleidigt, seitdem sind sie Ex-Freunde. Nun hängt er mit Harry ab, der versucht mit derben Witzen Mädchenherzen zu erobern, dabei hat er vor ihnen genauso Schiss wie Andi, bis auf seine Sandkastenfreundin, die schöne Bea. Auch wenn Andi auf dem Fußballplatz der große Stürmer ist, bringt er bei Mädchen keinen gescheiten Satz raus. Doch dann soll seine Großcousine zwei Wochen in den Ferien bei ihnen verbringen, ausgerechnet Lilli, mit der als er sie das letzte Mal sah, als 6 jährige Doktorspiele machte. Sie fand sein bestes Stück damals sehr klein, wenn sich das rumspricht!

Eigentlich habe ich mir nach „Der Fänger im Roggen“ und „Die neuen Leiden des jungen W.“ geschworen, keine Bücher mehr über Jungs mit Hormonstau zu lesen. Das Gejammere, ohne eigene Originalität langweilt mich. Der Titel hätte mich also abgeschreckt, wenn es nicht der erste große Erfolg von Jaromir Konecny gewesen wäre, der mich immer wieder laut zum Lachen bringt. Es ist nun kein schöngeistiger, feinsinniger Humor, sondern der der Pannen der Pubertät, des Alltags und des Fremdschämens. Dennoch ungemein lustig.

Die Geschichte beginnt, wie viele dieser Art. Andi ist frustriert, bekommt bei den Mädels nichts gebacken, legt selbst Hand an und bemitleidet sich schon etwas selbst. Er hat es aber auch nicht leicht, in diesem Haushalt, der alles andere als Durchschnitt ist. Andi erzählt in der Ich-Form, frei von der Seele, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, also sehr direkt. Allerdings erspart der Autor seinen Lesern eine überzogen aufgesetzte Jugendsprache, andernfalls hätte ich abgebrochen. Mit hormongesteuerten Jungs, die Hand anlegen, habe ich literarisch wenig Geduld. Doch diesmal hat es sich endlich mal gelohnt weiter zu lesen, ich wurde nicht enttäuscht. Die Ausgangslage ist die gleiche, wie bei allen männlichen Jungfrauen von 16 Jahren, also ziemlich vielen Jungs. Aber anders als in anderen Büchern ist Andi kein Jammerlappen. Er erwartet nicht, daß er über Nacht einfach so der Mädelsschwarm wird, nein, er ist bereit was zu tun und zu ändern. Er überlegt sich so allerhand, was aber nicht unbedingt so erfolgreich klappt, sondern ziemlich peinlich für ihn und lustig für den Leser wird. Auch hiervon lässt er sich nicht unterkriegen. Während seine 18 jährige Schwester Christine ihr Wissen aus der Zeitschrift „Mädchen“ bezieht, treibt er sich in Internetforen  herum, hoch motiviert. Was echt toll ist: Andi ist kein Depp. Auch wenn sein Vater ein Bücherwurm ist und damit die Mutter auf die Palme bringt, studiert Andi auch eifrig Physikbücher, wenn die Aushilfslehrerin attraktiv ist, aber nicht für die blöden 08/15-Lehrer. Er fragt viel und bekommt auch entsprechend viele Antworten. Er kämpft sich beharrlich durch den Dschungel der verschieden Antworten und sucht seinen eigenen Weg und seinen eigenen Stil. Ganz klar geht das nicht ohne Peinlichkeiten von statten. Aber Andi merkt, wie auch schon der Autor: nichts ist für Frauen so attraktiv, wie zum Lachen gebracht zu werden. Das ist ein wirklich weiser Rat an die jungen männlichen Leser und bringt auch meinen Mann immer wieder zum Lachen, da ich ihm meine Lieblingsszenen verraten habe. Sich selbst hat Jaromir Konecny auch in die Geschichte mit hineingeschrieben, gemeinsam mit seinen zwei Söhnen auf dem Bolzplatz. Da das Buch erstmals 2009 erschien, ist es noch Whatsapp frei, die Teens haben zwar Handies, aber sie sprechen noch wirklich in der Realität miteinander und chatten nicht nur. Sehr entspannend zu lesen. Für diese erste eBook-Ausgabe, wurde es jedoch nochmal neu überarbeitet.
Außerdem fand ich toll, daß diese Geschichte ein Ende hat und nicht einfach an einer beliebigen Stelle endet (wie der Fänger im Roggen meines Erachtens). Lose Fäden werden zu einem großen Ganzen verknüpft zu einem ermutigenden Happy End. Da hat es sich wie gesagt gelohnt, das Buch zu Ende zu lesen.
Für Mädels ist das Buch aber auch interessant, es ist eigentlich die nackte ungeschönte Wahrheit, denn Andi kommt dem 16-jährigen Normalo deutlich näher als Vampir-Schönling Edward. Auch wenn Andi im Hormonrausch ist, ich mag ihn. Er ist einfallsreich und witzig.

Jaromir Konecny ist nach seinem Chemie Studium aus der Tschechischen Republik in die Bundesrepublik geflohen. Dennoch hat er sich als Poetry Slammer und Autor in einer für ihn fremden Sprache einen Namen gemacht. Besonders beachtenswert, da Naturwissenschaftler meist nicht sprachbegabt sind und die wenigen, die es gibt, werden meist Patentanwälte, da dort das große Geld winkt. Er hat sich zum Glück dagegen entschieden. Ist einfach auch keine humorvolle Berufswahl. Der Poetty Slam Einfluß macht sich auch in diesem Buch in Andis Liedtexten bemerkbar.

Auch wenn ich zum Einstieg etwas länger brauchte, so hat es mich dann doch richtig gepackt und viel Spaß gemacht. 4,5 Sterne