Die Unausstehlichen & ich - Das Leben ist
ein Rechenfehler, Vanessa Walder, gelesen von Maximiliane Häcke, der Hörverlag,
3 CDs 3 h 33 min, gekürzt, ab 9 Jahren
Das Buch hat meinen beiden Töchtern so gut
gefallen, daß sie gerne noch das Hörbuch hören wollten, damit sie ganz schnell
wieder in die Geschichte hineinfinden, sobald Band 2 erscheint. Außerdem geht
es um ein fluchendes Heimkind, dessen ständigen Kraftausdrücke in der
Printversion mit Durchstreichungen „zensiert“ sind.
Enni (11) ist ein Heimkind, das schon in verschiedenen Heimen, WGs und auch
Pflegefamilien war. Doch mit ihren Wutausbrüchen, bei denen es in ihren Ohren
rauscht und sie nur noch rot sieht, bleibt sie nirgends lange. Bis sie in eine
wirklich nette Pflegefamilie kommt, die sie wie eine Tochter behandelt. Ihr
Pflegebruder Noah (12) ist einsame Spitze! Hier will sie nie wieder weg. Doch
dann muß der Pflegevater beruflich in die Schweiz, da soll Enni dann doch nicht
mit. Noah flippt aus und zieht Enni in seinen unüberlegten Plan mit hinein. Da
ist Ärger vorprogrammiert und Enni landet in einem piekfeinen Privatinternat
für Schüler mit besonderen Bedürfnissen. Eigentlich ist es dort gar nicht
schlecht, selbst die Lehrer erkennen ihre mathematische Begabung. Doch Enni
will abhauen und Noah finden. Leider gleicht Internat Saaks fast einer Festung
und diese zu verlassen wird ihre kniffeligste Knobelaufgabe, bei der sie
zwangsläufig Hilfe braucht....
Nach ihrer Ausbruchsaktion muß Enni zum
Schulpsychologen, da erzählt sie dann die ganze, wahre ungeschönte Geschichte.
Natürlich mit den in Saaks verpönten und strafbewehrten Flüchen und
Schimpfwörtern. Aber was soll man schon sagen, wenn das Leben …. Eben! Der
Psychologe lässt sie ungeschönt reden, aber in einem Kinder- und Jugendbuch? Da
hilft nur die Zensur und an Stelle jedes unziemlichen Begriffes gibt es längere
oder kürzere Zensurpiepse, je nachdem wie ausschweifend sie sich auslässt. Was
beim Lesen lustig ist und seiner Schimpfkreativität freien Lauf lässt, kann beim
Hören bisweilen ganz schön nerven, insbesondere wenn Enni auf 180 ist. Zum
Einschlafen stört es ganz besonders, man gewöhnt sich langsam daran, aber es
ist suboptimal.
Durch die Ich-Perspektive weiß der Hörer immer nur so viel, wie Enni bzw.
so viel, wie sie von sich Preis gibt, denn über ihre Eltern spricht sie nicht
und wehe wer sie bei dem Namen nennt, den ihr ihre Eltern gaben! Das dürfen nur
diese.
Enni hat viel mitgemacht bisher in ihrem Leben und sich diverse
Überlebensstrategien angeeignet, über die die meisten Hörer aus behüteten
Elternhaus nur staunen können (und die sie hoffentlich nicht anwenden
wollen).
Richtig toll finde ich den Inklusionsgedanken in dieser Geschichte.
Alle haben ihren Ballast mit sich herum zu tragen, aber niemand möchte deswegen
bemitleidet werden, sondern als Mensch für voll genommen werden. So lernt man
durch Enni, die fast schon alles gesehen hat, ihre Mitschüler mit ihrem Blick
kennen, immer erst die Person mit ihren Besonderheiten, bis auf das Handicap,
das erwähnt sie immer so nebenbei. Das finde ich sehr charmant, mal den Focus
weg von der Behinderung zu nehmen und sei es „Diätis“ (dieser Begriff, ist doch
ein Knaller, oder?). Jeder von ihnen trägt sein Päckchen mit sich herum,
dennoch hatte ich jetzt nie den Eindruck, daß die Autorin es jeder Minderheit
recht machen wollte, damit sich jeder angesprochen fühlt. Nein, die Personen
werden ungeschönt dargestellt, mit ihren Stärken, aber auch Schwächen. Die
einen werden dadurch sympathischer, aber nicht alle - wie im echten Leben.
Enni ist so ungewöhnlich, daß die Geschichte zu überraschen mag. Es ist nicht
von Anfang an klar, was mit Enni passiert, man weiß nur sie hat Ärger und echt
was auf dem Kerbholz und muß nun mit einem Psychodoc sprechen, wer das aber
ist, zeigt sich erst nach ein paar Kapiteln, weil diese Erkenntnis bereits
etwas über das Ende verrät, aber es ist ja auch eine Fortsetzung mit den
Unausstehlichen geplant, da wird Enni wohl kaum von diesen getrennt werden.
Dennoch eine wirklich erfrischende Erzählweise.
Da ich beruflich den ganzen
Tag mit Dingen zu tun habe die schief gehen und mein Mann Sonderpädagoge ist,
war es mir wichtig, mit den Kindern Geschichten kennen zu lernen, in dem Kinder
mit besonderen Bedürfnissen zu Wort kommen und die Geschichte aus ihrer Sicht
schildern dürfen, denn dann klingt es oft ganz anders. Es geht mir auch um das
Vermitteln von Respekt! Auch diesen Kindern gegenüber, die aus welchen Gründen
auch immer, nicht bei ihren Familien leben. Das ist Vanessa Walder, der Autorin
von „Das wilde Mäh“ und noch über 80 weiteren Kinder- und Jugendbüchern,
ausgezeichnet gelungen. Dabei geht es nicht um pädagogische Phrasen, sondern es
wird eine spannende Internatsgeschichte auf Ausbrecherniveau mit besonderen
Schülern. Dabei wird es am Ende noch mal besonders spannend und mit einem ganz
erhebenden Solidarisierungsende – da bleibt kein Herz unbewegt und das Auge
nicht unbedingt trocken.
Maximiliane Häcke ist eine perfekt gewählte Sprecherin. Sie klingt jung,
etwas eckig und kantig. Da klingt das „Vorsicht, nicht anfassen!“ gleich schon
in der Stimme mit. Sie beherrscht die Emotionenklaviatur von rotzig-rebellisch
bis unsicher und verstört. Das ist auch dringend nötig, da einige der
Mitschüler sich nicht ganz so tough präsentieren wie sie. Die Lautstärke ist
sehr gut ausbalanciert. Schwankungen sind lediglich gefühlt, aber nicht real,
d.h. der Lautstärkeregler kann durchgehend auf einer Position bleiben. Alles
ist gut verständlich. Im Innenteil der Klapphülle findet man eine farbige
Illustration von Barbara Korthues mit den Hauptdarstellern und Infos zur
Specherin und Autorin.
Die Geschichte und die Sprecherin haben uns ausgezeichnet gefallen, das
Zensur-Gepiepse leider nicht. Beide
Töchter (und die Mutter) warten schon ganz gespannt auf die Fortsetzung dieser
außergewöhnlichen Geschichte für ältere Kinder ab 9/10 Jahren.
Wir bedanken uns ganz herzlich bei der Hörverlag und dem
Bloggerportal für dieses ungewöhnliche Rezensionsexemplar.